Was die Menschen beim Warten in der Schlange zu Ehren der Königin erleben
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LP3CHQ2ADBFM3D5J34VR6DGHMI.jpeg)
Mitglieder der Öffentlichkeit stehen in der Warteschlange auf der South Bank in London gegenüber dem Palace of Westminster, um Königin Elizabeth II. vor ihrer Beerdigung die letzte Ehre zu erweisen.
© Quelle: Victoria Jones/PA Wire/dpa
London. Knapp acht Stunden lang stehen eine Auslandskorrespondentin, ein Geschäftsmann, ein Buchhalter im Ruhestand mit seiner Frau sowie eine Beraterin an, um am Sarg von Königin Elizabeth II. vorbeigehen zu können. Später verlassen wir fünf staunend die majestätische Halle, in der er steht.
Zuerst muss ich meinen Platz in der Schlage der Trauernden in London einnehmen. Ein Freiwilliger namens Kofi schreibt meine Zahl auf - auf einem Armband steht, dass ich Nummer 3017 in der Schlange bin. Ich schaue nach hinten und sehe, dass die Schlange bereits um ein Dutzend Menschen gewachsen ist. Sie zieht sich entlang des südlichen Ufers der Themse kilometerlang in Richtung der Westminster Hall, wo die verstorbene Monarchin aufgebahrt ist.
+++ Alle Entwicklungen im Liveblog +++
Menschen würden sich normalerweise wahrscheinlich nie begegnen
Uns wurde gesagt, wir sollten uns auf das lange Warten einstellen. Es könnten bis zu 30 Stunden werden. Wir dürfen nur einen Rucksack mitbringen. Essen und Getränke müssen vor dem Betreten der Halle weggeworfen werden. Ich habe mich so ausgerüstet, wie ich es bei einem schwierigen Einsatz machen würde: Schichtenweise und wasserfeste Kleidung, um mich auf das berüchtigt wechselhafte Londoner Wetter einzustellen. Hinzu kommen Protein-Riegel und ein vollständig geladener Akku für eine Ersatzportion Strom. Außerdem habe ich Unmengen an Kugelschreibern dabei und trage gute Schuhe.
Die Menschen stehen in einer einzigen Reihe Schlange. Schweigend begutachten meine Mitwartenden und ich uns gegenseitig. Vorzufinden sind Ramakant und seine Frau Usha - zwei Rentner, die von Bergen begeistert sind. Auch da ist Daniel, ein gut gelaunter Geschäftsmann aus Essex, der sich auf die Neuausstattung von Büros spezialisiert hat. Ebenfalls mit mir wartet eine Beraterin, deren Identität ich nicht nennen darf, weil sie blau macht, um anzustehen.
Normalerweise würden wir uns wahrscheinlich nie begegnen. Doch uns hat ein historisches Ereignis zusammengebracht, zumindest für die nächsten Stunden. Wir sind jetzt eine Art Gemeinschaft.
„Das ist eine einmalige Erfahrung“
Jeder hat seine eigenen Gründe, warum er sich hierher begeben hat. Ramakant und Usha haben die Queen bewundert. Daniel fand ihre Hingabe toll. Die Beraterin sagt, sich von der Königin zu verabschieden, sei etwas, das sie für sich selbst tun müsse. Und ich? Ich war neugierig. In letzter Zeit habe ich mir Gedanken übers Sterben gemacht.
Vor einer Woche war ich im Irak, um zu beobachten, wie Tausende Pilger für ein schiitisches Fest in die heilige Stadt Kerbela reisen, bei dem 40 Tage lang der Tod von Imam Hussein betrauert wird, einem Enkel des islamischen Propheten Mohammed, der im 7. Jahrhundert lebte.
Heute sehe ich eine Schlange von Trauernden, die ganz anders als die Prozession im Irak aussieht. Im Irak zogen die Menschen bei 40 Grad Celsius in schwarzen Sachen umher. In London fürchten die Menschen, dass es regnet.
Was in der Schlange zu sehen ist: Menschen, die in dicken Schmökern lesen, Gruppen von Freunden, die sich unterhalten und Sekt teilen. Eine Frau, die Tai Chi übt.
„Das ist eine einmalige Erfahrung“, sagt Ramakant. Usha ist fasziniert davon, dass Elizabeth II. noch Stunden vor ihrem Tod arbeitete. Wie sie zwei Tage vor ihrem Tod die Machtübergabe von Ex-Premierminister Boris Johnson an Liz Truss leitete. „Stellen Sie sich all die Dinge vor, die sie hinter den Kulissen getan hat, im Hintergrund, von denen keiner von uns irgendetwas weiß“, sagt Usha.
Sie können nicht glauben, dass Elizabeth tot ist. Obwohl sie wussten, dass sie nicht für immer leben konnte. „Haben Sie ihre Fingerspitzen bemerkt?“, fragt Daniel mit Blick auf den letzten öffentlichen Auftritt von Elizabeth zwei Tage vor ihrem Tod. „Sie waren fast durchsichtig, nicht war?“
Wir schweigen, lauschen den leisen Geräuschen der Themse.
In der Halle herrscht Schweigen
Es sei gut, dass sie bald nach ihrem Ehemann Prinz Philip gestorben sei, sagt Daniel. Bei seinen Eltern sei es genauso gewesen; sie seien im Abstand von zwei Wochen gestorben. „Das ist wirklich der beste Tod.“
Die Beraterin duckt sich, um nicht von einem Fernsehteam bemerkt zu werden. Später scrollt sie durch soziale Medien, um sicherzugehen, dass sie in keinen internationalen Nachrichtensendungen gelandet ist. Sie bekommt einen Anruf von einem Kollegen und sagt, sie sei nur gerade Mittagessen holen.
Menschen stehen stundenlang Schlange für den Abschied von der Queen
Seit Mittwochnachmittag können die Menschen in Großbritannien Abschied von der gestorbenen Queen Elizabeth II. nehmen.
© Quelle: dpa
Ich frage sie, warum sie ihren Kollegen nicht einfach sage, dass sie hier sei. „Es ist einfach eines dieser Dinge, die ich für mich selbst tun und nicht erklären müssen will.“
Ramakant hat als Rentner mit seiner Frau die Welt bereist. Sie waren an den Niagara-Fällen und auf dem Kilimandscharo. „Man darf nicht bis morgen warten“, sagt er. „Du könntest tot sein.“ Links neben uns zu sehen ist die nationale Gedenktafel für Opfer des Coronavirus.
Die Beraterin muss auf Toilette. Doch die Schlange geht gerade schnell voran. Also teilen wir unseren Standpunkt mit ihr, kurze Zeit später winken wir sie zu uns. Wir befinden uns jetzt einige Meter weiter vorne.
Im letzten Abschnitt sehen wir die Sicherheitskontrolle kurz vor dem Eingang zur Halle. Wir sind überrascht, wie schnell die Schlange vorangekommen ist. Ramakant wird davon abgehalten, bei der Kontrolle seine Schuhe auszuziehen. „Das ist nicht wie Gatwick!“, scherzt ein Polizist mit Verweis auf einen der Flughäfen von London.
In der Halle herrscht Schweigen. Wir schauen hoch zur Decke, wir blicken nach unten und dort ist er: der Sarg der Königin auf einer erhöhten Plattform, umgeben von Wachleuten. Auf dem Sarg funkelt eine Krone mit 3000 Diamanten.
Die Schlange wird in zwei Reihen geteilt. Jeder von uns bekommt drei Sekunden, um sich von der Königin zu verabschieden. Eine ältere Frau erhebt sich aus ihrem Rollstuhl und bekreuzigt sich. Daniel kniet. Ramakant und Usha senken ihre Köpfe. Dann bin ich dran. Draußen geht die Sonne unter.
„Wir hätten uns wahrscheinlich niemals getroffen, wenn das nicht wäre“, sagt Daniel später. Wir tauschen Telefonnummern aus. „Selbst tot tut sie noch ihre Arbeit.“
Gesamtdauer des Erlebnisses an diesem Tag: etwas mehr als siebeneinhalb Stunden.
Ramakant dreht sich zu mir um: „Also, was werden Sie über uns schreiben?“
RND/AP