Vom Krieg verstreute ukrainische Jungen fliegen als Eishockeyteam nach Kanada
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Ein Puck liegt auf einem Eishockeyfeld (Symbolbild).
© Quelle: picture alliance / Andreas Gora
Montreal. Sean Bérubé hielt es zuerst für einen Scherz, als er gebeten wurde mitzuhelfen, ein Eishockeyteam aus ukrainischen Flüchtlingsjungen zusammenzustellen - Kindern im Alter von elf und zwölf Jahren, vertrieben vom Krieg und verstreut in Europa. Die Idee war, sie zu einem renommierten Eishockey-Turnier in die kanadische Stadt Québec zu fliegen. Nicht als Zuschauer, sondern als Teilnehmer.
Es begann im März vergangenen Jahres. Da saß Bérubé, ein Geschäftsmann, der aus der Gegend von Québec stammt, in der rumänischen Hauptstadt Bukarest mit Ewghenij Pyssarenko zusammen, mit dem er als Teenager in der Ukraine Eishockey gespielt hatte. Just davor war er in die Ukraine gereist, um - unterstützt von Pyssarenko - seinem früheren ukrainischen Eishockey-Trainer und dessen Familie zu helfen, vor dem russischen Angriffskrieg zu fliehen. Voller Dankbarkeit sagte Bérubé, er schulde Pyssarenko ein Bier. „Nein, ich habe eine andere Sache, um die ich dich bitten möchte“, erhielt er als Antwort. „Ich bitte um einen anderen Gefallen.“
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Bérubé freut sich auf das Lächeln der Kinder
Und dieser Gefallen entwickelte sich zu einer Mission. Es war ein langer und nicht leichter Prozess, das ukrainische Team nach Kanada zu bringen, wo es beim Québec International Peewee Hockey Tournament in der Gruppe der Elf- und Zwölfjährigen antreten wird. Es ist ein Wettbewerb, an dem einst spätere Größen wie Wayne Gretzky und Guy Lafleur teilnahmen. Die ukrainischen Jungen werden am 11. Februar im Centre Vidéotron zum ersten Spiel aufs Eis treten, gegen die Junior Bruins aus dem US-Staat Massachusetts.
Bérubé freut sich nach eigenen Angaben vor allem darauf, die Kinder lächeln zu sehen, „nach all dem Chaos und all den Problemen, die sie in den vergangenen Monaten durchgemacht haben“, sagte er diese Woche in Kanada, bevor er sich auf den Weg nach Europa machte. Die größte Hürde sei der Papierkram gewesen. Die Jungen leben mit ihren Müttern in verschiedenen Ländern Europas, während ihre Väter daheim in der Ukraine an den Frontlinien gegen die russischen Angreifer kämpfen.
„Die Unterschrift ihrer Mütter zu erhalten, war der leichtere Teil“, schilderte Bérubé. „Das Schwierigste war es, die Unterschrift von den Vätern zu bekommen. Sie sind alle auf dem Schlachtfeld. So mussten wir einen Kurierdienst benutzen, um sie unterschreiben zu lassen.“
Vorbereitungen laufen auf Hochtouren
Pyssarenko sagte von Rumänien aus, dass er zunächst nach ukrainischen Trainern gesucht habe, um dann eine Liste von potenziellen Spielern zusammenzustellen. Dann habe er Bérubé kontaktiert, der das Unterfangen aus eigener Tasche finanziert. Diese Woche war der Geschäftsmann noch dabei, die letzten Flugtickets zu kaufen, Reiseversicherungen abzuschließen und sich zu vergewissern, dass Gastgeber-Familien in Québec auf die Ankunft der Jungen vorbereitet sind.
Er habe sich bei der Ukraine revanchieren wollen, so Bérubé über sein Engagement. „Ich hatte eine großartige Zeit, als ich als Teenager dort war, und so habe ich das Gefühl, dass es meine Pflicht ist.“
Über Weihnachten gab es in Rumänien Probespiele. Pyssarenko zufolge haben sich einige Jungen schon von früher gekannt - als Eishochey-Teamkameraden oder Spielgegner. Sie werden zum Wochenende wieder in Rumänien zusammenkommen, aus Ländern wie Lettland, Deutschland, Ungarn und der Slowakei anreisen, bevor es dann am 1. Februar zunächst nach Montreal und schließlich nach Québec geht.
Pyssarenko: „Sie müssen an eine bessere Zukunft glauben können“
„Erstes Ziel ist es, diesen Kindern zu zeigen, dass alles möglich ist, dass Träume wahr werden können, sogar, wenn es daheim eine schwierige Zeit ist und Krieg herrscht“, sagte Pyssarenko. „Sie müssen an eine bessere Zukunft glauben können, und sie können ein Beispiel für andere Leute überall auf der Welt sein.“
Bérubé machte sich jüngst auf den Weg nach Europa, um vier Spieler an der ukrainisch-rumänischen Grenze abzuholen. Zwei Jungen stammen aus der Stadt Cherson, die monatelang von den Russen besetzt war, und zwei weitere aus der ebenfalls bombardierten Hafenstadt Odessa. Mindestens ein Spieler hat seinen Vater im Krieg verloren. Bei der Vorbereitung des Visum-Antrages für den Jungen bemerkte Bérubé, dass nur die Unterschrift der Mutter vorlag. „Ich fragte sie, ob sie eine Scheidungsurkunde oder etwas Anderes hat, und sie sagte mir nichts und schickte mir schlicht die Sterbeurkunde für den Vater. Ich habe sie mir angeschaut und gesehen, dass es erst vor ein paar Monaten geschehen ist.“
Veranstalter: „Sie werden sich den Rest ihres Lebens daran erinnern“
Pyssarenko hat selbst 1993 beim Turnier mitgespielt, ein paar Jahre nachdem die Ukraine ihre Unabhängigkeit von der einstigen Sowjetunion erklärt hatte. „Es war kein leichtes Leben für uns, aber es war sehr, sehr wichtig, nach Kanada zu gehen, einen großen Schritt zu machen, die Welt zu sehen, Eishockey zu sehen“, sagt er rückblickend.
Patrick Dom, der Manager des Wettkampfes vom 8. bis 19 Februar, ist überwältigt von der Reaktion, die die Teilnahme des ukrainischen Teams ausgelöst hat. Der Vorverkauf für den 11. Februar, wenn die Mannschaft ihr erstes Spiel bestreitet, habe Rekorde gebrochen, sagt er. Und was die Jungen selbst betrifft, hofft er auf eine nachhaltig positive Erfahrung. „Wenn sie (die Ukrainer) in der Zeit, die sie hier sind, einfach vergessen können, was drüben vor sich geht (...) - das ist es, was wir wollen. Sie werden sich den Rest ihres Lebens daran erinnern.“
RND/AP