So fieberte Sigmund Jähn mit Astro-Alex

„Wenn du zu viel rumdenkst, wirst du unsicher. Es kommt, wie es kommt“: Sigmund Jähn (geb. 13.02.1937) war der erste Deutsche im Weltall. Er ist in Strausberg (Brandenburg) zu Hause.

„Wenn du zu viel rumdenkst, wirst du unsicher. Es kommt, wie es kommt“: Sigmund Jähn (geb. 13.02.1937) war der erste Deutsche im Weltall. Er ist in Strausberg (Brandenburg) zu Hause.

Strausberg. Sigmund Jähn ist tot. Der erste Deutsche im All starb im Alter von 82 Jahren. Bis zuletzt interessierte er sich für die Raumfahrt, fieberte auch mit Alexander Gerst mit, als der ins All abhob. Das folgende Interview erschien im Mai 2018.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Herr Jähn, wo erleben Sie den Start von Alexander Gerst?

Live vor Ort. Im kasachischen Baikonur. Dafür hat der Alex gesorgt.

Das ist ja eine nette Geste.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das ist mehr. Wir verstehen uns sehr gut. Alexander Gerst hat mich aus seinem letzten Urlaub vorm Start angerufen und mir gesagt, dass er sich freue, mich beim Abheben dabeizuhaben. Da habe ich ihm erzählt, dass daraus nichts würde – weil ich nämlich keine Einladung erhalten hätte. Zwei Tage später war sie im Kasten. Das hatte Alex durchgesetzt, das macht nicht jeder. Ich war auch bei seinem ersten Start dabei. Nun freue ich mich für ihn auf den zweiten. Am liebsten würde ich mit einsteigen.

Mentor und Freund: Der Kosmonaut Sigmund Jähn (l) und der Esa-Astronaut Alexander Gerst stehen sich seit Jahren nahe.

Mentor und Freund: Der Kosmonaut Sigmund Jähn (l) und der Esa-Astronaut Alexander Gerst stehen sich seit Jahren nahe.

Sind Sie eigentlich Kosmonaut oder Astronaut?

Wissen Sie, das war mir schon immer egal. Wir sind alle Raumfahrer. Das zählt.

Ihr Start als erster Deutscher ins All jährt sich am 26. August zum 40. Mal. Erinnern Sie sich noch daran, was in diesem Augenblick in Ihnen vorging?

Unmittelbar vorm Start ging der Puls schon ein bisschen hoch, klar. Am aufregendsten war für mich aber die Erklärung, die ich noch abgeben musste.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Was für eine Erklärung?

Sowas offizielles, das zwischen Politbüro und der sowjetischen Seite abgesprochen war. Dass ich als DDR-Bürger der erste Deutsche im All bin und meinen Flug dem 30. Jahrestag der DDR widme. Also, meine größte Angst vorm Start war, dass ich mich hierbei verhasple. Dann ging es endlich los.

Gab‘s ein Stoßgebet an irgendeinen Gott?

Nein. Ich glaube, ich habe an meine Mutter gedacht.

Keine Furcht vor den Gefahren?

Nein, dann darfst du nicht fliegen. Ich musste mich mal in 400 Meter Höhe aus einer MIG 17 katapultieren, weil ein Triebwerk ausgefallen war. Seitdem bin ich bei der Fliegerei davon überzeugt: nur keine Aufregung. Und bei einer Rakete ist das ja noch unnützer, weil die Automatisierung viel höher ist. Wenn du zu viel rumdenkst, wirst du unsicher. Es kommt, ie es kommt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Und wenn die Rakete ihren Auftrag erfüllt hat…

… dann gibt es einen kleinen metallischen Schlag und es wird ruhiger. Nach neun Minuten bist du 200 Kilometer weit weg. Dann weißt du, dass du nicht mehr runterfällst und Teil im All bist.

„Ich bin der Alte geblieben“

Welche Aufgabe hatten Sie zuerst zu erfüllen?

Ich musste die Stellung der Sterne in bestimmten Abständen mit bis zu 40 Sternkarten vergleichen, die ich nach und nach aufblätterte. Wenn alles übereinstimmte, wusste Kommandant Waleri Bykowski, dass wir auf Kurs sind. Zwei Tage benötigten wir um die Nähe der Raumstation Sajut zu kommen. Ich war für die Daten zuständig, also Entfernung und Geschwindigkeit. Das Andockmanöver führte Waleri händisch aus.

Stimmt es, dass der erste Blick auf die Erde von dort oben einen verändert?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ich glaube, ich bin der Alte geblieben. Aber der Anblick ist schon grandios, dieses blau. Wunderschön und eigentlich unbeschreiblich. Ich sah auf der anderen Seite aber auch ungereinigten Rauch aus Fabrikanlagen, der einen hunderte Kilometer langen Schweif zieht. Das erschreckt einen.

Besser geworden ist das kaum.

Als ich auf Fotos von Alex die riesigen Lücken durch Abholzungen im Amazonas-Regenwald sah, wurde mir angst und bange. Die Macht des Geldes macht unsere Erde kaputt. Wie schnell das gehen kann, sieht jeder, der Donald Trump beobachtet. An einem Tag stehen wir kurz vor einem Krieg, am nächsten ist wieder Friede, Freude, Eierkuchen. Einfach irre.

Wären Sie gern mal ausgestiegen, so wie andere Raumfahrer vor und nach Ihnen?

Oh ja! Das war leider nicht vorgesehen auf unserer Mission. Schade.

Sigmund Jähn in seinem russisch-deutschen Raumanzug.

Sigmund Jähn in seinem russisch-deutschen Raumanzug.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Technik ist heute sicher wesentlich komplexer als zu Ihrer Zeit. Was hat sich noch verändert?

Die Technik und die unzähligen Experimente verlangen viel Wissen und handwerkliche Fähigkeiten der Raumfahrer. Ich hoffe für sie, dass das Essen besser geworden ist.

Gab es das bei Ihnen wirklich aus der Tube?

Hier (Jähn zieht eine Metalltube aus einem kleinen Sack), das ist Gemüsesuppe. Na ja, es war eher Brei. Und hier (Jähn holt eine flache Plastikfolie heraus) haben wir Kirschsaft. Die Freunde haben sich Mühe gegeben, aber was soll’s? Niemand fliegt zum Essen ins All.

Bilder der Erde zieren Jähns Wohnung

Über der Eingangstür in Jähns Haus prangt eine Darstellung der Erde aus Keramik. Um sie herum schwebt auf seiner Umlaufbahn Sojus 31, das Raumschiff des Duos Bykowski/Jähn, auf dem Weg zur sowjetischen Raumstation Saljut 6. „Das ist ein Geschenk von Thomas Reiter“, erklärt Jähn. Reiter, beurlaubter Brigadegeneral der Bundeswehr, war 1995 der erste Deutsche, der einen Weltraumausstieg unternahm.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die meisten deutschen Raumfahrer waren schon hier in Strausberg zu Gast, viele russische sowieso. Sie haben sich alle mit ihrer Unterschrift an der Tür zu Jähns Arbeitszimmer verewigt. „Wir sind eine Mannschaft“, sagt der 81-Jährige. Über sich spricht er nicht so gern, über die Raumfahrt an sich oder die Missionen anderer kann er hingegen ohne Punkt und Komma reden. Dabei ist sein Weg als gelernter Buchdrucker aus Morgenröthe-Rautenkranz im sächsischen Vogtland ins Weltall ziemlich ungewöhnlich. Und in der engeren Auswahl für seinen Start waren eigentlich andere, verrät er.

Sekt für den Pionier: Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn erhält beim Empfang im Staatsrat der DDR in Berlin im Jahr 1978 ein Glas Sekt. Links der Staatsratsvorsitzende der DDR, Erich Honecker.

Sekt für den Pionier: Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn erhält beim Empfang im Staatsrat der DDR in Berlin im Jahr 1978 ein Glas Sekt. Links der Staatsratsvorsitzende der DDR, Erich Honecker.

War fliegen eigentlich Ihr Kindheitstraum?

Als Sechsjähriger bewunderte ich die Flugzeuge, die in Schwärmen über uns flogen. Ich wusste damals nicht, dass sie gerade Plauen bombardiert hatten. Mein Vater ließ mich Buchdrucker lernen, der wollte nicht, dass ich abhob. Aber als die DDR begann, eigene Luftstreitkräfte aufzubauen, war ich dabei. Flugzeuge begeistern mich bis heute.

Und wann wurde gefragt, ob Sie noch höherhinaus wollten?

Ungefähr zwei Jahre vor dem Start, im Sommer 1976. Ich war einer von 15 Männern, die gefragt wurden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ihre Frau war begeistert?

Sie hat sich zumindest nicht quergestellt. Erika und unsere beiden Töchter zogen dann auch mit ins Sternenstädtchen bei Moskau.

Sie waren gleich erste Wahl?

Nein. Ich war die Nummer drei und Eberhard Köllner, der ja später Ersatzmann war, die Nummer vier. So wurde das auch Honecker gemeldet. Wir vier fuhren also nach Moskau.

Und was gab den Ausschlag?

Moskau. Dort wurde die Reihenfolge von den sowjetischen Fachleuten und Ärzten umgedreht. Mein Körper verhielt sich in der Schwerelosigkeit optimal, und ich sprach wohl am besten russisch. So wurde ich die Nummer eins und Eberhard Köllner die Nummer zwei.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das war für Sie beide schwierig, oder?

Natürlich. Wir kannten uns schon von der Militärakademie, und Eberhard Köllner wäre auch gern geflogen. Wir behielten aber unser gutes Verhältnis.

Nachdem Sigmund Jähn und Waleri Bykowski knapp acht Tage später in der kasachischen Steppe gelandet waren, wurde der Deutsche mit Ehrungen überhäuft: Held der DDR, Held der Sowjetunion, sogar ein Frachter der DDR-Handelsflotte wurde auf den Namen „Fliegerkosmonaut der DDR Sigmund Jähn“ getauft. Brigaden und Schulen erhielten seinen Namen, er wurde als Aushängeschild der DDR im In- und Ausland herumgereicht. Das Thema ist ihm unangenehm.

Wie haben Sie den Sigmund-Jähn-Kult in der DDR wahrgenommen?

Das war ein schwieriges Kapitel. Ich hatte wirklich viele schöne Begegnungen mit einfachen Menschen, die ehrlich begeistert waren. Andererseits war ich in der Partei, ein guter Genosse und wurde für diesen Flug ausgesucht. Ich wusste somit, dass meine Aufgabe nicht mit der Landung erledigt war und erfüllte sie. Das hieß zu zeigen, wozu die kleine DDR in der Lage war. Ich habe mich jedoch nicht verbogen, sondern so aufgeführt, wie ich es von meinen Eltern, die einfache Leute waren, gelernt hatte.

Fanden Sie es nicht befremdlich, dass sogar ein Schiff nach Ihnen benannt wurde?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Was willst du in der Situation dagegen tun? Da wurde ein Programm abgespult, das lief wie eine Uhr. Natürlich wäre mir nicht im Traum eingefallen, dass Schiffe, Gebäude oder Arbeitsbrigaden meinen Namen tragen werden. Der Kapitän des Schiffes war ein herzensguter Mann, der mich verstand. Denn dessen Vater war der erste Kapitän der DDR-Handelsflotte gewesen – und hatte Aufgaben wie ich zu erfüllen. So war das eben in der DDR.

Ein 14 000 Tonner der Rostocker Neptunwerft ist auf den Namen MS „Fliegerkosmonaut der DDR - Sigmund Jähn" getauft worden.

Ein 14 000 Tonner der Rostocker Neptunwerft ist auf den Namen MS „Fliegerkosmonaut der DDR - Sigmund Jähn" getauft worden.

Ärgert es Sie, dass im Westen eher Ulf Merbold genannt wird, wenn es um Deutsche im All geht?

Nein. Ich kann mich eigentlich nicht über mangelnde Bekanntheit beschweren. Letztes Jahr, als ich 80 wurde, erhielt ich Hunderte Briefe, auch von Menschen aus dem Westen.

Sie sind mit Merbold, der wie Sie aus dem Vogtland stammt, noch zu DDR-Zeiten über die Alpen geflogen. Wie ging das denn?

Wir trafen uns nach seinem Raumflug bei einer Tagung in Salzburg. Ich durfte ja in den Westen für solche Veranstaltungen. Er sagte mir, er sei mit dem Flugzeug da und fragte mich, ob wir nicht eine Spritztour über die Alpen machen wollten. Ich sagte: Gern! Es war ein wunderbarer Flug.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Und Ihre Aufpasser aus der DDR?

Die haben das gar nicht erfahren. Oder besser: zu spät. Ist ja nichts passiert (grinst).

Verbindet Sie noch etwas mit Ihrem Ex-Kommandanten Bykowski?

Seine Enkel waren vor kurzem gerade ein paar Tage hier bei mir in Strausberg. Er selbst kränkelt ein bisschen im Moment.

Sigmund Jähn, im Gespräch mit RND-Chefkorrespondent Thoralf Cleven in Strausberg.

Sigmund Jähn, im Gespräch mit RND-Chefkorrespondent Thoralf Cleven in Strausberg.

Alexander Gerst sagte vor ein paar Wochen, Sie seien sein Freund und würden ihn inspirieren. Was schätzen Sie an ihm?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Zunächst einmal ist er ein sehr kluger Mensch, ein Entdecker. Und dann ist Alex ein sehr herzlicher Mensch. Auf einer Reise von Moskau nach Peking fand er in einem Laden in Irkutsk ein Abzeichen, auf dem der 1978-er-Flug von Bykowski und mir mit unseren Konterfeis verewigt war. Er kaufte es, nahm es mit auf seinen ersten Flug und mailte mir von dort ein Foto von dem Abzeichen im Raumschiff. Das hat mich tief berührt.

Gibt es eigentlich so eine Art Raumfahrer-Glückauf?

Keine Ahnung. Ich wünsche Alex und seinen Kollegen eine gute Mission. Und kehrt heil wieder zurück!

Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken