Rekordsommer 2018 – und was kommt jetzt?
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Das von der ESA am 06.08.2018 veröffentlichte Foto zeigt den Rhein, Bonn, Köln und Düsseldorf, sowie die Tagebaue Altdorf, Etzweiler und Garzweiler in Nordrhein-Westfalen, fotografiert von Astronauten Alexander Gerst aus der Internationalen Raumstation.
© Quelle: ESA/Alexander Gerst/dpa
Hannover. Wie wird der Sommer 2019 werden? Meteorologen sind es gewohnt, Fragen nach der Zukunft gestellt zu bekommen, die sie nur schwer beantworten können. Aber gerade ist es schon extrem: Beim Deutschen Wetterdienst stapeln sich die Anfragen von Versicherungen, Neugierigen und Landwirten. Die Branche brummt, Wetteronline feiert Klickrekorde und bietet zum Jahreswechsel den Kalender „Wetterextreme“ an. Normal ist eben nichts mehr nach dem Sommer 2018.
Gut möglich, dass uns im nächsten Jahr wieder ein Dauergrau zwischen Mai und September droht. Denn rein meteorologisch betrachtet war der Sommer 2018 zunächst einmal ein Zufallsprodukt.
Ein Hochdruckgebiet blieb wochenlang zwischen zwei Tiefs eingekeilt. Die feuchten Westwinde, eigentlich typisch für die Jahreszeit in unseren Breitengraden, wurden konsequent abgehalten. Das Ergebnis war ein Sommer der Superlative: megaheiß, megatrocken, megalang. In der Sprache des Deutschen Wetterdienstes klingt das so: „Es war extrem warm und sonnig, gebietsweise herrschte enorme Dürre.“
75 Tage mit mehr als 25 Grad
Und wie! Nicht in allen Kategorien konnte der Hitzesommer 2013, bisher der Maßstab aller Dinge beim Schwitzen, geschlagen werden. Aber in den entscheidenden: In ganz Deutschland gab es im ablaufenden Jahr 75 Tage, an denen 25 Grad oder mehr gemessen wurden – damit wurden alle Rekorde seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881 gebrochen.
So viel Sommer wie 2018 gab es also noch nie in Deutschland. Im Wetterbericht haben wir Bernburg an der Saale kennengelernt – es war der heißeste Ort. An insgesamt zwölf Tagen wurden in der Kreisstadt in Sachsen-Anhalt Temperaturen von mehr als 35 Grad gemessen. Am 31. Juli gab es hier mit 39,5 Grad den höchsten Einzelwert des Sommers 2018 in Deutschland, wie der Deutsche Wetterdienst ehrfürchtig berichtet. An der Saale wohlgemerkt und nicht in Südfrankreich.
Schmerzliche Folgen für die Bauern
Die besondere Kombination aus Hitze und Dürre ließ das Wetter nicht zuletzt für die Landwirte wieder zu einer elementaren Frage werden. Dass das Überstehen des Winters davon abhing, dass die Heuernte gelang, liegt zwar schon viele Generationen zurück.
Dieser Sommer aber hatte zumindest schmerzliche Folgen für die Bauern: Allein beim Getreide liegen in der Jahresbilanz die Erträge um 16 Prozent unter dem dreijährigen Mittel der Vorjahre. Schleswig-Holstein (minus 31 Prozent), Brandenburg (minus 27 Prozent), Sachsen-Anhalt (minus 26 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (minus 25 Prozent) und Niedersachsen (minus 26 Prozent) waren am stärksten betroffen.
Nur Wetter – oder doch der Klimawandel?
Von Juni bis Ende August schien im bundesweiten Durchschnitt rund 770 Stunden lang die Sonne, damit liegt die Bilanz um 30 Prozent über dem Sollwert von 604 Stunden. Und als in den Schaufenstern der Innenstädte schon die Herbstmode präsentiert wurde, ging draußen die Hitze einfach weiter.
Zu diesem Zeitpunkt waren schon die letzten Reste jener Leichtigkeit verflogen, mit denen dieser Sommer im Mai begonnen hatte. Deutschland hat sich durch die letzten Wochen der Hitze geschleppt – schwitzend, genervt und geplagt von einer neuer Sorge: Ist das da draußen wirklich nur Wetter – oder eben doch der Klimawandel?
Am 7. August schickte der deutsche Astronaut Alexander Gerst von der Raumstation ISS ein Bild und eine Botschaft. Zu sehen waren vertrocknete Landschaften am Rhein, versehen mit einem Satz aus dem All: „Schockierender Anblick: Alles vertrocknet und braun, was eigentlich grün sein sollte.“
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Dürre-Botschaft aus dem All: Der deutsche Astronaut Alexander Gerst an Bord der Internationalen Raumstation ISS kurz vor seiner Rückkehr zur Erde.
© Quelle: ESA/NASA
Zu diesem Ergebnis konnte man auch beim Blick aus dem Wohnzimmer in den Vorgarten kommen, gleichwohl aber hat die Aufnahme aus 408 Kilometern Entfernung viel bewegt in Deutschland. Es kann wohl kaum normal sein, dass das große Schwitzen erst dann beginnt, wenn man aus dem Urlaub im Süden zurückgekehrt ist. Und es kann wohl kaum normal sein, dass auf den Äckern statt Weizenhalmen nur Stummel stehen.
Wer dramatische Belege für die Veränderung des Klimas sucht, der wird im Jahr 2018 jedenfalls schnell fündig: Es begann mit extremen Frühjahrsregenfällen in Südeuropa, ging über zu tödlichen Schlammlawinen auf Mallorca im Spätsommer und endete mit einem Flammeninferno in Kalifornien im Herbst.
An Zufall allein mögen da jedenfalls selbst jene nicht mehr glauben, die den Klimaforschern eigentlich nicht folgen wollten. Der Klimawandel war für viele Deutsche zuvor eher ein Anlass für theoretische Debatten, eine abstrakte Gefahr. Ein Thema für große internationale Konferenzen eben und Geschichten aus der fernen Südsee.
Ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben
Dieser Sommer aber hat das Thema konkret gemacht, der Klimawandel wurde zu einer gefühlten Lage. Die meisten Menschen haben in diesem Sommer zum ersten Mal gespürt, dass ein Klimawechsel ganz konkrete Auswirkungen auf ihr Leben haben könnte. Und wie so häufig unterschätzt die Politik die Bedeutung von gefühlten Bedrohungen, die vielleicht nicht bis in den letzten Punkt rational sind.
Bei den Umfragen der Meinungsforscher zum Jahresende sind die Gefahren des Klimawandels jedenfalls ganz oben auf die Sorgenliste der Deutschen geklettert. Noch im vergangenen Jahr bezweifelten 16 Prozent der Deutschen, dass es überhaupt einen Klimawandel geben könnte. Heute ist der Anteil verschwindend gering.
Eine große Mehrheit der im Dezember von den Meinungsforschern Befragten glaubt nicht, dass die internationale Staatengemeinschaft in der Lage sein wird, ihre selbstgesteckten Ziele beim Kampf gegen die Erderwärmung zu erreichen. 92 Prozent der Deutschen sind der Ansicht, dass der Ausbau erneuerbarer Energien eine sinnvolle Maßnahme ist, um den Klimawandel zu begrenzen. 90 Prozent halten strengere Umweltschutzauflagen für die Industrie für sinnvoll. 69 Prozent sagen, ein schnellerer Ausstieg aus der Kohle bei der Stromerzeugung sei sinnvoll.
Der Klimawandel blieb lange abstrakt
Der Wandel in der Bewertung des Themas bleibt nicht ohne politische Wirkung. Der unaufhaltsame Aufstieg der Grünen in diesem Jahr wäre ohne die Klimadebatte des Sommers wohl so nicht denkbar gewesen. Und der Protest gegen den Kohleabbau in Nordrhein-Westfalen wäre wohl ein regionales Ereignis geblieben. So aber wurde der Hambacher Wald zum Symbol im Kampf gegen den Klimawandel.
Das Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei oder 1,5 Grad zu begrenzen, ist für die meisten Menschen abstrakt. Darum hatte das Thema Klimawandel lange Zeit zumindest keine Massen auf die Straße gebracht. Der konkrete Kampf gegen den Kohleabbau aber vereinte alle: jene, die sich Sorgen um eine Region machen und jene, die in der Hitze dieses Sommers zu der Einsicht gekommen sind, dass es in der Energiepolitik so nicht weitergehen kann.
Von der Politik werden die neuen Sorgenbürger bislang weitgehend enttäuscht: Deutschland musste bei der jüngsten Klimakonferenz in Kattowitz eher Rückschritte als Fortschritte beim Kampf gegen die Erderwärmung einräumen. Und so kann man die Frage nach dem Sommer 2019 durchaus mit bangem Blick stellen. Forscher der Universität Southampton sagen jedenfalls den nächsten Hitzesommer voraus: „Die aktuelle Anomalie wird die nächsten fünf Jahre anhalten.“ Wissenschaftlicher Irrtum ausdrücklich erwünscht.
Von Jörg Kallmeyer/RND