Putins Krieg und Kyrills Beitrag: Russlands unheilvolle Allianz spaltet auch die orthodoxen Gemeinden in Deutschland
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Treu verbunden: Patriarch Kyrill I. (rechts) und Russlands Präsident Wladimir Putin im vergangenen Jahr in Moskau.
© Quelle: Mikhail Metzel/Kremlin Pool/Plan
Hannover. Seinen inneren Zwiespalt kann Viktor Yakim nur schwer verbergen. Wer dieser Tage mit dem Priester der russischen orthodoxen Gemeinde in Köln spricht, erlebt einen Mann im Konflikt. Da ist auf der einen Seite seine Herkunft aus der südwestukrainischen Stadt Chust.
Seine Tochter wohnt dort, Teile seiner Familie, er muss um sie fürchten. Und auf der anderen Seite ist da das Oberhaupt seiner Kirche, sein oberster Dienstherr, der Moskauer Patriarch Kyrill I., für den der Angriff auf die Ukraine eine Art Abwehrkampf gegen die Werte des Westens darstellt, ein legitimer Krieg.
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„Er hat seine Meinung, ich habe meine“, erklärt Yakim dazu in einem Akt besonderer Diplomatie. Mehr möchte er dazu nicht sagen. Am liebsten würde er die Politik ganz aus seiner Gemeinde heraushalten. Aber wie sollte das gehen, angesichts dieses Krieges? Und dieser Sätze.
Gegen die „Kräfte des Bösen“
Am Mittwoch, in seiner jüngsten Predigt, hat das Oberhaupt der russischen orthodoxen Kirche den Ukrainern den Anspruch auf eine eigene nationale Identität abgesprochen – indem er von den zwei Völkern sprach, die da gegeneinander kämpften und doch im Grunde eines seien.
Am Sonntag referierte er über „Gay-Pride-Paraden“, die der Westen den Staaten Osteuropas als einen „Test der Loyalität“ aufoktroyiere. Zugleich rühmte er die Separatistengebiete in der Südostukraine, die sich den Werten des Westens beharrlich entgegenstellten. In der vergangenen Woche schon nannte er die Gegner Russlands die „Kräfte des Bösen“.
Die Botschaft dahinter ist deutlich: In Kyrill I. hat der russische Präsident Wladimir Putin einen treuen Unterstützer an seiner Seite. So wie sich Putin mit Gottesdienstbesuchen und dem auch bei seinen Freier-Oberkörper-Reit-Auftritten stets mit Kreuz an der Halskette als Mann der Kirche und des Glaubens inszenierte, so ist auch der Patriarch erst recht in Kriegszeiten ein Mann des Staates. Über den Urheber von Leid und Gewalt: kein Wort.
Von „Kriegshetze, die ich nicht für möglich gehalten hätte“ spricht die Berliner Theologin und Osteuropa-Expertin Regina Elsner. „Von offizieller Seite ist kein Friedensimpuls zu erwarten“, diagnostiziert die Göttinger Theologin und Ostkirchen-Expertin Jennifer Wasmuth. Putin hat in diesem die Krieg die Staatsmedien propagandistisch auf seiner Seite – und das Oberhaupt der größten orthodoxen Nationalkirche mit rund 150 Millionen Gläubigen.
„Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit“
Eine Überraschung ist dies allerdings nicht. Der 75-jährige Kyrill, seit 2009 Patriarch von Moskau, bewege sich „ideologisch seit Langem konstant auf einer Linie“, erklärt der Theologe und Ostkirchen-Experte Thomas Bremer, Professor an der Universität Münster. In seinem Weltbild gebe es die russische Welt, geprägt von Gemeinsinn und Harmonie, und im Gegensatz dazu die westliche Welt, geprägt von Individualismus und Wettbewerb.
Hier die Wärme der Gemeinschaft, dort der kalte Kampf jeder gegen jeden; hier die natürliche Ordnung, dort Demokratie; hier die Helligkeit, dort die Dunkelheit, hier die christlichen Werte, dort Homosexualität: So setze sich Kyrills Weltbild zusammen.
Eine Ideologie des Konflikts, in der die russische Welt bedroht ist von der auf Ausdehnung bedachten westlichen Welt: Die Ähnlichkeit zur Argumentation Putins in diesem Krieg ist deutlich. Kyrill begründet seine Weltsicht auch theologisch, indem er auf das „gemeinsame Taufbecken“ der Kiewer Rus im 10. Jahrhundert verweist, das sich Russen, Ukrainer und Belarussen geteilt hätten – nur dass es damals diese Nationen noch nicht gab.
Historisch sei diese Argumentation also nicht korrekt, betont Bremer, jedenfalls nicht als Rechtfertigung für das Streben nach einem neuen Großrussland. Das jedoch scheint weder Patriarch noch Präsident zu stören.
Der Einfluss dieser Sicht auf das Weltbild der Gläubigen lässt sich das schwerlich messen, der Widerspruch aus der Kirche selbst aber ist eher klein. So haben sich zwar 280 Geistliche der Kirche mit ihren Unterschriften gegen den Krieg und die Worte des Patriarchen ausgesprochen. „Doch so bemerkenswert dieser Schritt ist: Angesichts von 38.000 Priestern insgesamt ist der Widerstand überschaubar“, erklärt Bremer.
Deutlicher Protest gegen die Moskauer Kirchenführung kommt vor allem aus der Ukraine, wo die russisch-orthodoxe Kirche mit 12.000 Gemeinden ebenfalls stark vertreten ist. Dort hat sich der Metropolit, der dortige Kirchenführer, gegen den Patriarchen gestellt und ihn aufgefordert, bei Putin ein Ende des Krieges zu erwirken. Der Krieg und Kyrills Reden schaffen auch in der russischen orthodoxen Welt neue Grenzen.
Putin-Treue beten neben Kreml-Gegnern
Die rund 70 Gemeinden in Deutschland, traditionell Sammelpunkte verschiedener Nationalitäten und Weltsichten, bringen die Reden aus Moskau zusätzlich in Bedrängnis. Hier beten Ukrainer neben Russen neben Kasachen neben Menschen vom Balkan, treffen Putin-Treue auf Kreml-Gegner.
Die orthodoxen Priester, wenn sie ihre Gemeinden zusammenhalten wollen, zwingt das zu einer speziellen Mission in Diplomatie: Den Krieg verurteilen, ohne politisch zu werden. Die größte russisch-orthodoxe Gemeinde in Deutschland, die Gemeinde des Heiligen Johannes von Kronstadt in Hamburg, sammelt Spenden für die Geflüchteten aus der Ukraine, in der Predigt am vergangenen Sonntag betrauert Priester Sergij Baburin das „brudermörderische Blutvergießen“ und bittet zum Friedensgebet, vermeidet aber jede konkrete Kritik an Politikern – und dem eigenen Kirchenführer.
„Wir finden den Krieg beschämend“, stellt Priester Alexej Tescherenko in Hannover gegenüber dem Evangelischen Pressedienst klar und betont zugleich: „Meine Hoffnung ist, eine friedliche Atmosphäre in unserer Gemeinde zu wahren.“ Er rücke dazu „den Gottesdienst in den Vordergrund“. Und auch für Viktor Yakim in Köln ist vor allem eines klar: „Unsere Gemeinde darf keine Bühne für die Politik sein.“