Neuer Verlauf der Ahr: Debatte nach Flutkatastrophe
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Nach der Hochwasserkatastrophe hat der sich Flusslauf der Ahr in Altenahr verändert (Luftaufnahme mit einer Drohne). Das Hochwasser hat das Flussbett teils verlegt und neue Nebenarme entstehen lassen.
© Quelle: Thomas Frey/dpa
Bad Neuenahr-Ahrweiler. Das Ahr-Hochwasser hat mit 134 Todesopfern viel Leid gebracht - aber mit seinen Änderungen des Flussverlaufs auch neue ökologische Chancen geboten. Diese sind jedoch nach Ansicht von Kritikern nicht genutzt worden. Mehr noch: Der Hochwasserschutz sei seit der Flut teils sogar verschlechtert worden. Auch an anderen Mittelgebirgsflüssen in Rheinland-Pfalz werde zu wenig gegen Überschwemmungen getan, obwohl die Zahl der Fluten im Zuge des Klimawandels bei häufigerem Starkregen zunehme, warnt ein Experte.
Hoher ökologischer Wert
Nach Worten der Vorsitzenden des Naturschutzbundes (Nabu) im Bundesland, Cosima Lindemann, hat das extreme Ahr-Hochwasser am 14. und 15. Juli das Flussbett teils verlegt und neue Nebenarme entstehen lassen. Diese hätten „einen hohen ökologischen Wert“ und könnten bei niedrigeren Hochwassern entlastend wirken. Leider sei von diesen neuen Strukturen fünfeinhalb Monate nach der Katastrophe nichts mehr zu finden: „Nebenarme sind wieder zugeschüttet worden und das Flussbett wurde in großen Teilen begradigt.“
Die Biologin ergänzt: „Aufschüttungen zur Wiederherstellung des abgetragenen Landes legen die Ahr heute in vielen Bereichen in eine Art Trapezprofil. Die Ahr ist an mancher Stelle heute sogar schmaler als vor der Flut.“ In Ortschaften sei eine rasche Wiederherstellung des vorherigen Flussbettes verständlich. Außerorts aber seien die Chancen vertan worden, Naturschutz und Hochwasservorsorge zu verbinden. „Teilweise ist schon jetzt klar, dass viele dieser Maßnahmen wieder zurückgebaut werden müssen“, betont Lindemann.
Drastische Eingriffe
Wolfgang Büchs, Hildesheimer Biologieprofessor und Ahrtal-Kenner seit vier Jahrzehnten, spricht sogar von einer teils „zweiten Zerstörung“ des engen, romantischen Flusstals. Erst habe sich die Ahr beim Hochwasser den Raum geholt, „den sie eigentlich braucht“, und neue Auenlandschaften geschaffen. Doch dann hätten Bagger und Bulldozer bei den Aufräumarbeiten in oft unkoordinierter „Wildwestmanier“ drastisch eingegriffen. Ökologisch wertvolle Bereiche und Rückhalteflächen für Hochwasser gingen so verloren, teils vermutlich auch unter Bauschutt. Das Bundesnaturschutzgesetz werde missachtet.
Der für Gewässer zuständige Abteilungsleiter bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord in Koblenz, Joachim Gerke, sagt, vor allem anfangs sei das Baggern im Fluss unabdingbar gewesen, etwa um Treibgut und Zerstörungen zu beseitigen. Er ergänzt: „Da haben auch Leute ihr Land an der Ahr verloren. Das kann man nicht einfach ausblenden.“ Gerke verweist auf das Landeswassergesetz: Demnach dürfen Eigentümer von Ufergrundstücken binnen drei Jahren nach einem Hochwasser auf eigene Kosten den ursprünglichen Zustand ihres Landes wiederherstellen - wenn das nicht das Allgemeinwohl beeinträchtigt.
Ausgleich verschiedener Interessen
Im Chaos der ersten Aufräumphase „können Sie nicht die reine Lehre fahren“, sagt der Abteilungsleiter. „Da sind auch ungünstige Dinge passiert.“ Es gehe um einen Ausgleich verschiedener Interessen: Natur- und Hochwasserschutz bei der Ahr, Lebens- und Arbeitsraum für die Anwohner. Beispielsweise würden die Winzer in dem Rotweintal gerne wieder alle ihre verlorenen Flächen bewirtschaften - aber der Hochwasserschutz dürfe sich auch nicht verschlechtern.
Ein Hauptziel bleibt laut Gerke, der Ahr mehr Raum zu geben: „Das habe ich auch auf Bürgerversammlungen vorgetragen.“ Manche Bürgermeister hätten gleich Vorschläge unterbreitet, „zum Beispiel eine Wiese im Dorf abzusenken“. Oder neben Bogenbrücken, die bei der Flut mit ihren von Treibgut verstopften Pfeilern die Katastrophe verschlimmert haben, Vertiefungen für Notabflüsse zu schaffen. Nötig ist nach Einschätzung des Fachmanns allerdings ein koordiniertes überörtliches Handeln: „Man kann die Ahr nicht einfach mal breit und mal schmal machen.“ Möglichst rasch im Laufe des neuen Jahres solle ein Gewässerentwicklungskonzept für den Fluss vorliegen. Die öffentliche Hand kaufe auch Uferflächen mit Steuergeld auf.
Gerade das mittlere Ahrtal ist sehr eng und steil. Das erschwert den Hochwasserschutz. Die Nabu-Landesvorsitzende Lindemann fordert gerade deshalb, jede Möglichkeit zu nutzen, um dem Fluss mehr Raum zu geben: „Das hilft dem Naturschutz, aber letztlich auch den Menschen, die an der Ahr leben.“ Mancherorts sind noch bis vor Kurzem Bauprojekte nahe am Fluss genehmigt worden, etwa in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Hier muss es laut Lindemann künftig ganz andere Bewertungen geben.
Neue Vorschläge für besseren Hochwasserschutz
Das sieht auch der Biologe Büchs so, der ein dreibändiges Werk über das Flusstal veröffentlicht hat. Neben der Kritik, dass es bis heute noch so gut wie keine Regenrückhaltebecken an der Ahr gebe, präsentiert er ein ganzes Bündel von Vorschlägen für besseren Hochwasserschutz: mehr Uferwiesen, weniger erosionsanfälliger Maisanbau, mehr Mischwald statt teils absterbender Fichtenbestände, weniger Bodenversiegelung in Dörfern, Weinreben auf Querterrassen statt in Falllinie an Hängen - all dies ließe weniger Regenwasser in die Ahr gelangen.
Ähnliches gilt laut Büchs auch für andere enge Fluss- und Bachtäler in rheinland-pfälzischen Mittelgebirgen: „Solche Maßnahmen sollen Hochwasser die Spitze nehmen.“ Jedes Prozent weniger Wasserstand könnte im Katastrophenfall dazu beitragen, Menschenleben zu retten. Gewässerufer müssten wieder mehr sich selbst überlassen werden. Büchs sagt: „Der Mensch bevorzugt gerade Linien.“ Aber die Natur arbeite nicht mit dem Lineal.
RND/dpa