Nach Mord an seiner Frau: Oscar Pistorius könnte vorzeitig aus Haft entlassen werden
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Oscar Pistorius in einem Gerichtssaal.
© Quelle: imago/PR
Port Elizabeth. Jedes Jahr am Valentinstag werfen June und Barry Steenkamp Rosen ins Meer. Es ist ein Liebesbeweis. Nicht füreinander, sondern für ihre Tochter Reeva. Eine Rose für jedes Jahr, in dem sie nicht mehr am Leben ist; diesen Februar waren es zehn Rosen. Getrauert wurde an jenem Strand der südafrikanischen Hafenmetropole Port Elizabeth, an der die Steenkamps einst die Asche ihrer Tochter verstreuten, nachdem sie 2013 von ihrem Lebensgefährten Oscar Pistorius ermordet wurde.
Der Fall des gefeierten Sporthelden, der zum Mörder wurde, sorgte weltweit für Schlagzeilen. Bloß ein Jahr zuvor hatte er die Sportwelt begeistert, als er in London als erster beidseitig beinamputierter Athlet an den Olympischen Spielen teilgenommen hatte. Südafrika feierte den heute 36-jährigen Johannesburger als Helden. Das änderte sich schlagartig in der Valentinstagsnacht 2013, als Pistorius vier Schüsse durch die geschlossene Tür des Badezimmers seiner Luxusvilla in Pretoria abfeuerte – auf einen vermuteten Einbrecher, wie er bis zuletzt vor Gericht schwor. Er wurde wegen Mordes zu 13 Jahren und fünf Monaten Gefängnis verurteilt.
Oscar Pistorius darf bei guter Führung auf vorzeitige Entlassung hoffen
Jetzt könnte der Athlet mit Spitznamen „Blade Runner“ aber schon bald in die Freiheit laufen: Er hat seine Mindestzeit abgesessen und darf bei guter Führung auf eine vorzeitige Entlassung hoffen. In zwei Wochen findet die Bewährungsanhörung statt. Das hat in Südafrika alte Wunden wieder aufgerissen – zumal Freunde und Familie der ermordeten Reeva Steenkamp mitansehen müssen, wie die Debatte um den gefallenen Sporthelden weitergeht. „Es wurde schon viel zu viel Aufwand um Oscar betrieben. Stattdessen hätten mehr Zeit und Bemühungen in das Leben und das Andenken von Reeva fließen sollen“, erzählt Beatrix Leopold-Fresco, eine Freundin der Verstorbenen, der Redaktion.
Die Johannesburgerin erinnert sich mit schweren Herzen an Steenkamp: Wie sie gemeinsam Restaurants besuchten, zusammen Weihnachten feierten und Reeva sogar am Abend ihrer Verlobung zu Gast war. „Reeva war ein Engel, der uns leider nur für kurze Zeit geliehen wurde. Aber in dieser Zeit hat sie uns so viele wichtige Dinge fürs Leben gelehrt“, so Leopold-Fresco. Steenkamp war reich, schön privilegiert – ein Model und aufstrebender TV-Star in einem Land, in dem mehr als die Hälfte der 60 Millionen Bewohner in Armut lebt. „Aber das ist ihr nie zu Kopf gestiegen. Es machte keinen Unterschied, ob du ein Hausmeister, Gehilfe, Kassierer oder Geschäftsführer warst – von Reeva wurdest du immer mit demselben Maß an Würde und Respekt behandelt.“
„Sie war eine Fürsprecherin im Kampf gegen Missbrauch“
Bevor Steenkamps Leben „auf brutale Weise beendet“ wurde, half sie in ihrer Freizeit in Tierheimen aus und hatte stets eine Schulter zum Ausweinen, erinnert sich die Freundin. Und noch wichtiger: „Sie war eine Fürsprecherin im Kampf gegen Missbrauch, zumal sie früher selbst in einer gewaltsamen Beziehung steckte.“ Laut jüngster Verbrechensstatistik kam es in Südafrika im vergangenen Jahr zu knapp 42.000 Vergewaltigungen; das entspricht einem Vorfall alle zwölf Minuten. Die Regierung in der Hauptstadt Pretoria gerät immer wieder in die Kritik, nicht genug gegen Femizide und geschlechterspezifische Gewalt (GBV) zu unternehmen. Laut einigen Frauenrechtsexpertinnen und -experten trug auch der Mord an Steenkamp die Anzeichen von geschlechtsspezifischer Gewalt. „Es war nicht bloß ein weiterer Mord“, ist Genderforscherin Lisa Vetten von der Universität Johannesburg überzeugt. Während Steenkamps Ermordung zwar die Nation wachgerüttelt habe, bestehe das „tief verwurzelte“ Problem von GBV weiter fort.
Um das zu ändern, hat Reeva Steenkamps Mutter June 2015 eine Stiftung in ihrem Namen gegründet. „Wir verteilen Carepakete mit Toilettenartikeln an Schulen und in verarmten Gemeinden, wir bekämpfen Missbrauch und klären Jugendliche auf“, erzählt Tania Koen, Co-Geschäftsführerin und Anwältin der Steenkamps. In Südafrika herrscht Aufholbedarf: Oft werden Gewaltopfer von der Polizei nicht ernst genommen, Verurteilungen scheitern an jahrelangen Verzögerungen in den forensischen Laboren, etwa bei DNS-Proben. Und Waffengesetze existieren größtenteils nur auf dem Papier. Deshalb hilft die Organisation den Opfern häuslicher Gewalt auch mit rechtlichem Beistand und vergibt jährlich ein Stipendium an eine Junganwältin, die sich auf Familienrecht spezialisiert. Auch Reeva habe Jura studiert, erinnert Koen.
Rechtsexpertinnen und -experten sind sich einig: Ungeachtet des Signals, das Pistorius‘ frühzeitige Entlassung sende, müsse das Gesetz seinen Lauf nehmen. Die Steenkamps wären bereit, Pistorius den Mord an ihrer Tochter zu verzeihen – vorausgesetzt, er gebe zu, sie vorsätzlich getötet zu haben. Auf einen dahingehenden Durchbruch wartet Vater Barry Steenkamp aber bisher vergeblich, wie er vor Kurzem der britischen „Daily Mail“ erzählte: „Nach all den Jahren warten wir immer noch auf sein Geständnis, im Zorn gehandelt zu haben. Das ist alles, was wir wollen.“