Me-Too-Skandal bei Alibaba-Konzern löst Debatte über toxische Unternehmenskultur in chinesischen Firmen aus

Nachdem mehrere Chefs ihre Anschuldigungen nicht ernst nahmen, entschloss sich die Angestellte des Internetimperiums Alibaba zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie lud ihre traumatischen Erfahrungen, niedergeschrieben in elf detailreichen Seiten, im firmeneigenen Intranet hoch (Archivbild).

Nachdem mehrere Chefs ihre Anschuldigungen nicht ernst nahmen, entschloss sich die Angestellte des Internetimperiums Alibaba zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie lud ihre traumatischen Erfahrungen, niedergeschrieben in elf detailreichen Seiten, im firmeneigenen Intranet hoch (Archivbild).

Peking. Nachdem mehrere Chefs ihre Anschuldigungen nicht ernst nahmen, entschloss sich die Angestellte des Internetimperiums Alibaba zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie lud ihre traumatischen Erfahrungen, niedergeschrieben in elf detailreichen Seiten, im firmeneigenen Intranet hoch. In nur wenigen Stunden löste sie damit eine landesweite Debatte über die toxische Unternehmenskultur in chinesischen Firmen aus.

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Was der Frau laut eigener Angaben widerfahren ist: Ende Juli verbrachte sie den Abend mit ihrem Vorgesetzten bei einem Geschäftsessen. Dieser habe sie dazu gedrängt, exzessiv Alkohol zu trinken. Die Erinnerungen an die Nacht sind dementsprechend schemenhaft: Die Frau fand sich weinend im Bett eines Hotelzimmers wieder, ihren Vorgesetzten über sich liegend. Am nächsten Morgen waren ihre Kleidungsstücke im Raum verteilt, nur ihre Unterwäsche konnte sie nicht finden. Auf dem Nachttisch lag eine geöffnete Kondompackung.

Vorstand zeigt sich „wütend, schockiert und beschämt“

Der Skandal schlug zunächst innerhalb der Firma hohe Wellen. Über 6.000 Angestellte von Alibaba unterzeichneten eine Petition, in der sie eine Anlaufstelle für Opfer sexueller Belästigung forderten. Es mag erstaunen, dass es solche Strukturen in einem der erfolgreichsten Unternehmen der Volksrepublik bislang nicht gibt.

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Alibaba-Vorstand Daniel Zhang, der sich „wütend, schockiert und beschämt“ zeigte, schrieb am Montagmorgen „nach einer schlaflosen Nacht” einen offenen Brief, in dem er die ersten Konsequenzen bekannt machte: Der mutmaßliche Vergewaltiger wurde fristlos gekündigt, zwei weitere Angestellte sind von sich aus zurückgetreten.

„Wir müssen diese Möglichkeit nutzen, unser Denken und unser Handeln vollständig zu reflektieren”, schreibt Zhang – und kündigt firmenweite Schulungen gegen sexuelle Belästigungen an sowie eine Meldestelle für Opfer. Ebenfalls fügt der chinesische Vorstandsvorsitzende hinzu: „Auch wenn die Polizei die spezifischen Umstände des Abendessens noch untersucht, lehnen wir die hässliche Trinkkultur ab. Egal welches Geschlecht und ob es von einem Klienten oder Vorgesetzten verlangt wird, unsere Angestellten sind jederzeit befugt, Aufforderungen zum Trinken abzulehnen”.

Tatsächlich ist es ein offenes Geheimnis, dass Geschäftsessen von Firmen oft in frauenverachtendes Verhalten ausarten – und zwar unabhängig von der Branche. „Dass männliche Kollegen während Geschäftsessen versuchen, einen anzufassen, ist eigentlich relativ normal”, sagt etwa eine Endzwanzigerin aus Peking, die anonym bleiben möchte: „insbesondere, wenn hochrangige Chefs anwesend sind”. Das Problem sei vor allem die Trinkkultur: „Wir werden zwar nicht gezwungen zu trinken, aber dazu gedrängt”, sagt die Angestellte. Sie glaube nicht, dass sich die Situation für junge Frauen in den letzten Jahren verbessert habe.

Riesiger Widerhall in den sozialen Medien

Auf Chinas sozialen Medien erfuhr das Thema riesigen Widerhall. Einer der Kommentare mit den meisten Likes auf Weibo, einem chinesischen Twitter-Pendant, sprach vielen jungen Frauen aus dem Herzen: „Wenn man eine Kakerlake im Zimmer findet, dann gibt es mit Sicherheit bereits einen ganzen Haufen”.

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Dass eine offene Debatte geführt werden kann, ist ein deutlicher Fortschritt. Denn Fälle von sexueller Belästigung sind in China durchaus heikle Themen. Als 2018 in den Vereinigten Staaten die #MeToo-Bewegung aufkam, schwappte sie zwar zunächst auch nach China über, etwa als Studentinnen von übergriffigen Professoren berichteten. Doch Chinas Staatsführung reagiert überaus sensibel auf mögliche Graswurzelbewegungen – und ließ etliche Debatten auf sozialen Medien mithilfe seines Zensurapparats verstummen.

Beim jetzigen Skandal überrascht durchaus ein wenig, dass er sich ausgerechnet in einem nach außen progressiven Konzern wie Alibaba ereignet. Denn der Internetriese veranstaltet nicht nur jedes Jahr eine globale Konferenz zur Ermächtigung von weiblichen Unternehmern, sondern beschäftigt auch in seiner obersten Managementebene über ein Drittel Frauen. Auch bei Bytedance – den Entwicklern von Tiktok –, der Suchmaschine Baidu und dem Onlinefahrdienstvermittler Didi sind fast die Hälfte aller Mitarbeitenden weiblich. Das ist deutlich mehr als in den meisten Büros im Silicon Valley.

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