Japaner gründet Onlinedienst für junge Menschen mit Suizidgedanken

In Japan gibt es einen Chatservice für junge suizidgefährdete Menschen, die ein offenes Ohr suchen.

In Japan gibt es einen Chatservice für junge suizidgefährdete Menschen, die ein offenes Ohr suchen.

Die steigende Zahl von Suiziden unter Jugendlichen in Japan macht Koki Ozora Sorgen. Der 21-Jährige wuchs selbst einsam und mit Depressionen auf. Um anderen zu helfen, hat er jetzt die Freiwilligenorganisation „Anata no Ibasho“ gegründet, auf Deutsch „Ein Platz für Dich“. Sie bietet rund um die Uhr einen japanischsprachigen Chat-Service für junge Menschen an, die ein offenes Ohr suchen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versprechen, jede Anfrage zu beantworten – dringende innerhalb von fünf Sekunden.

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Seit März ist die Zahl der Freiwilligen auf 500 gestiegen. Viele von ihnen leben im Ausland in verschiedenen Zeitzonen. Damit können sie ihre Online-Beratungen auch zu Zeiten leisten, in denen der Bedarf an Suizid-Prävention am höchsten ist: zwischen 22 Uhr und Sonnenaufgang.

Hilfesuchenden wird Anonymität zugesichert

Da der Dienst inklusive der Mitarbeiterschulungen rein virtuell läuft, funktioniert er auch während der Corona-Pandemie. Solche Online-Freiwilligen-Angebote sind selten in Japan. „Das macht mir wirklich Hoffnung“, sagt Ozora über den großen Zulauf an Helfern. „Sie sagen mir, dass sie einfach etwas machen mussten.“

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Ozora, der an der Keio-Universität in der Hauptstadt Tokio studiert, hat die Website entworfen. Diese ermöglicht es, dass erfahrenere Berater die Chats überwachen. Den Hilfesuchenden wird Anonymität zugesichert.

Hilfesuchende berichten von Ängsten, eigene Kinder zu töten

Bislang erhielt „Anata no Ibasho“ mehr als 15.000 Anfragen, das sind etwa 130 pro Tag. Bei den meisten (32 Prozent) geht es um Suizid, bei zwölf Prozent um Stress bei der Kindererziehung. Ziel ist es, innerhalb von 40 Minuten eine Lösung anzubieten, darunter Empfehlungen, sich an eine Schutzeinrichtungen oder die Polizei zu wenden.

Die Nachrichten deuten auf einen hohen Leidensdruck hin. Hilfesuchende berichten von Ängsten, ihre eigenen Kinder zu töten. Andere sprechen von ihrem Selbsthass, nachdem ein Elternteil ihnen sexuelle Gewalt angetan hat.

Mehrere Suizide von Prominenten lösten in diesem Jahr Entsetzen aus

Abweichend vom japanischen Stereotyp der Harmonie sind Familien im Land zunehmend zersplittert. Einer kürzlich veröffentlichten Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge leiden in Japan weltweit mit die meisten Menschen unter Isolation. Gemessen wurde dabei die Zahl der Kontakte, die Individuen mit anderen Leuten haben.

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Täglich begehen etwa 50 Menschen Suizid. Alle drei Tage wird eine Frau von ihrem Partner oder ehemaligen Partner getötet, und jährlich werden 160.000 Fälle von Kindesmissbrauch gemeldet, wie aus Daten der Regierung und der Vereinten Nationen hervorgeht. Mehrere Suizide von Prominenten lösten in diesem Jahr Entsetzen und Besorgnis aus.

Lehrer erster Erwachsener, dem Ozora vertraute

Die Beratung über Online-Chats könne herausfordernd sein, da diese rein verbal abläuft, sagt Sumie Uehara, eine der Freiwilligen bei „Anata no Ibasho“. Viele Hilfesuchende neigten dazu, sich selbst die Schuld zu geben, und seien in einer Abwärtsspirale gefangen, erklärt sie. Sie könnten häufig ihre Gefühle nicht ordnen. „Man sollte ihre Gefühle niemals negieren oder versuchen, alles schnell zu lösen“, sagt Uehara. „Man ist nur da, um zuzuhören und zu verstehen.“

Ozora hat das Gefühl, dass die Japaner noch nicht den Unterschied verstanden haben zwischen einem gesunden Maß an Zurückgezogenheit und einer Einsamkeit, die zur Verzweiflung führen könne. Bei ihm selbst war ein Lehrer der erste Erwachsene, dem er vertrauen konnte, wie er erzählt. „Ohne ihn wäre ich heute nicht hier“, sagt der 21-Jährige. „Es war ein Wunder, dass er mir begegnet ist.“ Dieses Wunder wolle er nun auch anderen Verzweifelten bieten.

Ozora träumt von einer glücklichen Familie

Dem Lehrer, Takashi Fujii, war aufgefallen, dass Ozora nie lachte. Er habe dem Schüler zeigen wollen, dass er sich um ihn kümmert, und seine Begeisterung für das Leben wecken wollen, erinnert sich Fujii heute.

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Ozora sammelt inzwischen Daten von „Anata no Ibasho“ für ein Forschungsprojekt. Er hofft auf ein Master-Studium in Großbritannien, wo es seit 2018 ein Ministerium für Einsamkeit gibt. Doch sein größer Traum ist es, eine glückliche Familie zu haben. „Das hatte ich nie“, sagt er. „Ein Vater, eine Mutter, glückliche Kinder, die tun dürfen, was sie wollen. Eine alltägliche Familie. - Aber das ist es, was ich mir am meisten wünsche.“

Haben Sie Suizidgedanken? Dann wenden Sie sich bitte an folgende Rufnummern:

Telefonhotline (kostenfrei, 24 h), auch Auskunft über lokale Hilfsdienste:

(0800) 111 0 111 (ev.)

(0800) 111 0 222 (rk.)

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(0800) 111 0 333 (für Kinder / Jugendliche)

E-Mail unter www.telefonseelsorge.de

RND/AP

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