Erich Maria Remarque: Der Autor, der das Buch zum deutschen Oscarwunder schrieb
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Der Schriftsteller Erich Maria Remarque in seinem Schweizer Haus.
© Quelle: DB/dpa
Allein sein Name war ein Bekenntnis – ein Brückenschlag zum „Erbfeind“ Frankreich: Erich Maria Remarque, geboren 1898 als Erich Paul Remark in Osnabrück, hatte seinen Namen ganz bewusst „frankophonisiert“, um die hugenottische Herkunft seiner Familie zu betonen. Und das ausgerechnet kurz nach Ende eines Krieges, in dem sich Millionen Deutsche und Franzosen als Feinde gegenüberstanden.
Nach einem kurzen Zwischenspiel als Werbetexter beim Reifenhersteller Continental in Hannover war Remarque in den frühen 20er-Jahren als Autor zunächst nur mäßig erfolgreich. Davon leben konnte der Wahl-Berliner nicht, sehr gut dafür aber als Redakteur einer Zeitschrift, die sich „Sport im Bild“ nannte und im Verlag des rechtsradikalen Verlegers Alfred Hugenberg erschien.
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Infiziert vom Geschwindigkeitsrausch
Seine Reportagen widmen sich vor allem dem damals noch jungen Autosport. Er scheint infiziert zu sein von Geschwindigkeitsrausch und technischer Fortschrittsgläubigkeit. Was den jungen Mann aber auch beschäftigt, geradezu fesselt, sind die eigenen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, auch wenn er nur wenige Monate dem Schrecken der Front ausgesetzt war.
Als Schwerverletzter im Lazarett und auch danach hört er sich die Geschichten seiner Kameraden an, bohrt nach und leidet nach dem Krieg doch auch an der Unfähigkeit seiner Landsleute, über das Erlebte zu sprechen, es aufzuarbeiten. Eine Erfahrung, die auch spätere Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg machen sollten.
„Im Westen nichts Neues“ als großer Gewinner bei den Britischen Filmpreisen
„Was für ein Abend, ich kann es nicht glauben“, schwärmte Regisseur Edward Berger.
© Quelle: dpa
Entsprechend dürftig sieht das Angebot an Romanen aus, das sich in den 20er-Jahren dem Trauma Weltkrieg widmet. Der wohl Bekannteste, Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“, 1920 erschienen, wird vom Journalisten Remarque in einer Besprechung gelobt – und wird ihn im Gedanken bestärkt haben, es ihm gleichzutun, wenn auch mit einer geradezu diametral gegensätzlichen Botschaft.
In Jüngers Buch wird der Krieg als ein großes ästhetisches Gesamtwerk beschrieben. Attribute wie Männlichkeit, Kameradschaft werden gehuldigt, der Tod für Volk und Vaterland gilt als Vollendung des Lebens. Doch das ist die Wahrnehmung eines Offiziers, Kompanieführers und Ritterkreuzträgers, eines elitären Schöngeists, der in den Gefechtspausen die Bücher des Philosophen Friedrich Nietzsche liest und sich von der nihilistischen Ästhetik der Zerstörung berauschen lässt.
Remarques Wahrnehmung, zumal als Journalist, der sich im Berlin der 20er-Jahre unter Kriegsversehrten und mental Gebrochenen bewegt, ist eine komplett andere. „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich rausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineingehen müssen“, sagte Remarque später.
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Blick auf Bücher und Bilder Erich Maria Remarques in einem Schaufenster vom Erich Maria-Remarque-Friedenszentrum im niedersächsischen Osnabrück, der Heimatstadt des Autors.
© Quelle: Friso Gentsch/dpa
Als Fortsetzung in der Vossischen Zeitung
Als sein Roman „Im Westen nichts Neues“ 1928 fertig ist, bietet er ihn vor allem linken Verlagen an. Nach Absagen sagt der Ullstein-Verlag zu, der ihn Ende desselben Jahres als Fortsetzung in der Vossischen Zeitung abdrucken ließ. Ein Verkaufscoup, denn die Zeitung wird den Verkäufern zunehmend aus den Händen gerissen.
Bereits vor dem irrwitzigen Erfolg des Buches fand Remarque im mondänen Babylon der 20er-Jahre, als welches Berlin oft beschrieben wurde, ein Biotop. Ein Biotop, in dem er aufging: Er trug schicke Anzüge, Monokel, fuhr schnelle Autos und schmückte sich mit der attraktiven Tänzerin Jutta Ilse Zambona. Er nannte sich gelegentlich Erich Freiherr von Buchwald genannt Remarque, gab als Beruf Rennfahrer an. Und er gab gelegentlich mehr Geld aus, als er tatsächlich verdiente.
Buch einer „verlorenen Generation“
All das änderte sich, als das Buch 1929 im zum Ullstein gehörenden Propyläen-Verlag erschien und alle Dimensionen deutschsprachiger Literatur bis dato sprengte. Das Buch einer „verlorenen Generation“, wie es seitdem oft heißt, wurde noch im Erscheinungsjahr in 26 Sprachen übersetzt. Bis heute gibt es Ausgaben in mehr als 60 Sprachen. Weltweit wurde das Buch schätzungsweise 60 bis 80 Millionen Mal verkauft.
Fortan war Remarque nicht nur erfolgreich, sondern auch reich – und wurde von rechts offen angefeindet. Sein Buch, besser die pazifistische Botschaft dahinter, stand für den Teil der Gesellschaft im Deutschland der Zwischenkriegszeit, der in der Weimarer Demokratie und internationaler Partnerschaft eine Zukunft sah, zudem die Abkehr von Nationalismus und Chauvinismus erstrebte.
Der andere Teil predigte das nationale Wiedererwachen und schwelgte in Erinnerungen an die „Stahlgewitter“ des völkischen Schicksalskampfes. Darin reifte die Sehnsucht nach einem starken Führer, einem Cäsar.
Und zwischen diesen beiden Lagern klaffte unversöhnlich ein Graben, der immer tiefer wurde.
Zunächst wurde Remarque der Hochstapelei bezichtigt, weil seine Beschreibungen der Kriegsgräuel nicht eigenen Erlebnissen entsprangen. Sein gelegentliches Kokettieren mit falschen Titeln und Berufen fielen ihm jetzt auf die Füße. Hass schlug ihm entgegen, zudem Vorwürfe wie „Vaterlandslosigkeit“. Die Nazis streuten das Gerücht, er sei Jude und heiße eigentlich „Kramer“ – sein ursprünglicher Name also rückwärts buchstabiert.
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Der "andere" große deutsche Roman, der sich den Erlebnissen einer ganzen Generation im 1. Weltkrieg widmet: Die Erstausgabe des Buches "In Stahlgewittern" des deutschen Schriftstellers Ernst Jünger aus dem Jahr 1920.
© Quelle: picture alliance / dpa
Als Hollywood seinen Roman bereits 1930 verfilmte, mussten deutsche Kinovorführungen von der Polizei geschützt werden. Die Nazis, allen voran deren Oberpropagandist Joseph Goebbels, zettelten in den Kinos Unruhen an. Später verbot die Oberprüfstelle den Film wegen „Herabsetzung deutschen Ansehens im Ausland“.
Die Machtergreifung der Nazis machte aus Remarque endgültig einen Heimatlosen. „Im Westen nichts Neues“ wurde in Deutschland verboten und landete auf dem Scheiterhaufen der Bücher, 1938 wurde dem Autor die Staatsbürgerschaft aberkannt.
Er litt unter Depressionen, verlor sich im Alkohol. „Allein sein, der ewige Refrain des Lebens“, lässt er den Exilant Ravic in seinem Roman „Arc de Triomphe“ sagen.
Ab 1939 in den USA
Remarque lebte ab 1939 in den USA, ebenso wie Lion Feuchtwanger, Bertold Brecht, Marlene Dietrich, mit der er ein Verhältnis hatte. Er liebte das Leben, auch den American Way of Life. Er hasste ideologische Verblendung und Indoktrination, was dazu führte, dass er sich auch stets dagegen wehrte, von links vereinnahmt zu werden.
„Ich habe gestern mein Lebens-Credo auf drei Worte zusammengestellt: Unabhängigkeit – Toleranz u. Humor“, schrieb er in einem Brief 1957.
Ihr Bruder ist uns entwischt, Sie werden uns nicht entwischen.
Roland Freisler,
Präsident des NS-„Volksgerichtshofs“
Den Nazis konnte er entkommen, seiner Schwester gelang das aber nicht. Elfriede Scholz, die Schneiderin in Dresden war, wurde nach einer Denunziation 1943 verhaftet und vom Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler wegen „Wehrkraftzersetzung“ noch im gleichen Jahr zum Tode verurteilt und durch das Fallbeil hingerichtet. „Ihr Bruder ist uns entwischt, Sie werden uns nicht entwischen“, triumphierte der oberste Nazi-Richter.
Welterfolg auch mit „Arc de Triomphe“
Remarque schrieb elf Romane. Schicksale von Flüchtlingen stehen auch im Zentrum des Romans „Arc de Triomphe“, der 1946 zuerst auf Englisch veröffentlicht wird. Auch dieses Buch wurde ein Welterfolg, konnte aber nicht an den gewaltigen Erfolg von „Im Westen nichts Neues“ anknüpfen.
Er lebte bis zu seinem Tod 1970 abwechselnd im Schweizer Tessin und in den USA, deren Staatsbürgerschaft er seit 1947 besaß. Die junge Bundesrepublik indes unternahm keine Anstrengungen, dem Ausgestoßenen eine Brücke zurück in die Heimat zu bauen. Anderseits war Remarque der deutschen Wirklichkeit längst „entflogen“.
Immerhin erhielt er 1967, Ausdruck eines neuen Zeitgeists, das Große Bundesverdienstkreuz. In der DDR wurde Remarque weder verboten, noch verehrt, er gehörte auch nicht zum Kanon – und wurde weitgehend ignoriert. Seine pazifistische Grundüberzeugung passte nicht ins ideologische Konzept. Immerhin erschien sein Hauptwerk 1975 als Taschenbuch im Aufbau-Verlag in einer geringen Auflage.
„Im Westen nichts Neues“ gewinnt vier Oscars
Der Antikriegsfilm wurde in Los Angeles unter anderem als bester internationaler Film ausgezeichnet.
© Quelle: dpa
Mehr noch als der neue Film macht Remarques Buch „Im Westen nichts Neues“ gerade vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine deutlich, was an Zerstörungen in den Menschen bleibt, wenn die Waffen längst schweigen und die Trümmer beseitigt sind.
„Ein fürchterliches Gefühl der Fremde steigt in mir hoch. Ich kann nicht zurückfinden, ich bin ausgeschlossen; so sehr ich auch bitte und mich anstrenge, nichts bewegt sich, teilnahmslos und traurig sitze ich wie ein Verurteilter da und die Vergangenheit wendet sich ab. Gleichzeitig spüre ich Furcht, sie zu sehr zu beschwören, weil ich nicht weiß, was dann alles geschehen könnte. Ich bin ein Soldat, daran muss ich mich halten“, sagt der Protagonist Paul im Buch beim Besuch seiner Heimat, in der er sich nicht mehr zurechtfindet.
Gewidmet jenen, die vom Krieg zerstört wurden
Das Buch sei der Generation gewidmet, die vom Krieg zerstört wurde, „auch wenn sie seinen Granaten entkam“, subtitelt Remarque in seinem Hauptwerk.
Auch wenn in Edward Bergers Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ viele der Kernbotschaften der Buchvorlage verloren gegangen sind: Das Schaulaufen der Stars und Sternchen, der Glamour Hollywoods anlässlich der Oscarverleihung – Remarque hätte es in vollen Zügen genossen.