Hinhören, ernst nehmen: Opfer von Kindesmissbrauch – wie können wir aufmerksamer sein?

Die Polizei hat die Gartenlaube in der Kleingartenanlage in Münster mit Flatterband abgesperrt. In der Gartenlaube in Münster sollen Ende April vier Männer zwei Jungen missbraucht haben.

Die Polizei hat die Gartenlaube in der Kleingartenanlage in Münster mit Flatterband abgesperrt. In der Gartenlaube in Münster sollen Ende April vier Männer zwei Jungen missbraucht haben.

Münster. Wir alle müssten aufmerksamer werden, um abscheuliche Missbrauchs-Verbrechen an Kindern wie die in Münster früher aufzudecken. Mit diesem Appell richtete sich Münsters sichtlich bewegter Polizeipräsident, Rainer Furth, am Wochenende an die Öffentlichkeit: Seine Ermittler waren gerade auf ein Netz von Beschuldigten gestoßen, die Kinder missbraucht, die Gewalttaten gefilmt und die schrecklichen Bilder verbreitet haben sollen. “Viel zu oft kommen die Ermittler nur über IP-Adressen auf die Spur der Täter. Viel zu selten kommen Hinweise von aufmerksamen Menschen”, sagte er. Dabei ist das Dunkelfeld bei sexuellem Kindesmissbrauch riesig, wie Fachleute sagen. Ihr Leid sehe man den Kindern oft nicht an - und doch kann es Signale geben, die wir ernst nehmen müssen. Ein Überblick.

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Was richtet sexueller Missbrauch bei den Kindern an?

Missbrauchte Kinder reagieren ganz unterschiedlich. Die Reaktion sei abhängig vom Alter, von der Nähe zwischen Opfer und Täter und der Form und Schwere des Missbrauchs, sagt Prof. Jörg Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Ulm. "Das extrem Belastende für Kinder ist, dass über ihre Bedürfnisse hinweggegangen wird", sagt er. "Viele erleben dabei Todesangst und sind völlig überwältigt." Dazu kommen der massive Vertrauensverlust, wenn Täter aus dem nahen Umfeld kommen, und das Empfinden von Beschädigtsein und Ohnmacht.

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Gibt es auch Spätfolgen?

Nicht immer wirke sich das Geschehen unmittelbar aus: Posttraumatische Belastungsstörungen können beispielsweise nach scheinbar unkomplizierter Verarbeitung nach einem zweiten belastenden Ereignis auftreten. Angst, sozialer Rückzug und Depressionen können laut Fegert auch erst später auftreten, wenn Kinder mit Begreifen ihrer eigenen Sexualität realisieren, wie sie ausgebeutet wurden. Das gilt auch, wenn es um Kinderpornografie geht, die zum weltweiten Markt geworden ist und die aus dem Netz nicht einfach verschwindet. Das löse neue Beschämungen und abermals von Kontrollverlust aus. "Dadurch endet es nie", schildert Fegert.

Wie kann ich Opfer sexueller Gewalt erkennen?

Missbrauch kann man Kindern oft nicht ansehen. Experten bei Polizei und Opferschutzorganisationen zufolge sind sichtbare Verletzungen eher selten oder bleiben dem Außenstehenden verborgen. Und auch Signale der Seele sind nicht eindeutig: "Es gibt keine spezifischen Symptome die Missbrauch sichtbar machen", sagt Kinderpsychiater Fegert. Veränderungen im Verhalten können Warnsignale sein, müssen es aber nicht: Einnässen, Rückzug oder andere Verhaltensauffälligkeiten können auch auf vergleichsweise banale Sorgen des Kindes zurückgehen. "Es ist einfach sehr wichtig, dass Erwachsene das gesprochene Wort ernst nehmen und eine Atmosphäre schaffen, in der Kinder sich anvertrauen können", sagt Fegert. "Ich muss ihnen auch vermitteln, dass sie nicht die Verantwortung tragen, für das, was geschehen ist."

Wo muss das Umfeld genauer hinschauen?

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"Es müssen bestimmte Risiko-Konstellationen stärker in den Blick genommen werden", sagt Fegert. So müssten Jugendhilfe und Justizbehörden etwa bei verurteilten Sexualstraftätern gemeinsam genauer hinsehen, wenn diese in Kontakt mit Kindern kommen. "Das Kindeswohl muss hier vor der Chance auf Wiedereingliederung eines Straftäters gehen", sagt Fegert. Außerdem gelte es, ein weitgehendes Tabu abzubauen und den Blick zu schärfen dafür, dass auch Mütter und andere weibliche Bezugspersonen als Mittäterinnen in Frage kommen: "Es ist eben keine Selbstverständlichkeit, dass Mütter ihre Kinder schützen."

Kann man Kinder wehrhafter gegen Missbrauch machen?

Die Kampagne "Missbrauch verhindern" von Polizei und der Opferschutzorganisation Weißer Ring gibt Tipps, welche Botschaften für Kinder hilfreich sein können: Dazu gehören kinderstärkende Aussagen wie "Dein Körper gehört dir", "Wehr dich, wenn dir jemand schlechte Gefühle macht", "Auch Kinder dürfen 'Nein' sagen". Präventionsarbeit in diesem Sinne sei wichtig, habe aber ihre Grenzen dort, wo Kinder in die Fänge organisierter Verbrechensstrukturen geraten, betont Fegert. "Wie soll ein Kind sich da wehren? Da kommen wir um eine ordentliche Arbeit der Strafverfolgungsbehörden nicht drum herum."

Was sollte ich bei einem Verdacht tun?

"Ergibt sich ein vielleicht auch nur vager Verdacht, ist Handeln das Gebot der Stunde. Und das besser einmal zu oft als gar nicht", rät Joachim Schneider, Geschäftsführer beim Programm Polizeiliche Kriminalprävention. "Wenn es falscher Alarm war, kann der Verdacht ausgeräumt werden. Wenn er aber zutrifft, kann unsägliches Leid beendet und dem Kind geholfen werden." Wichtig sei es, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu suchen, mit anderen das weitere Vorgehen zu besprechen. Verdachtsfälle können rund um die Uhr bei jeder Polizeidienststelle angezeigt werden.

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Es gibt darüber hinaus eine Vielzahl von leicht zugänglichen Beratungshotlines oder Anlaufstellen, an die man sich wenden kann, ohne dass gleich ein Ermittlungsverfahren angestoßen wird. Hier hilft etwa das Hilfeportal sexueller Missbrauch des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs bei der Vermittlung. Zu erreichen ist es kostenlos und anonym unter der Nummer: 0800/22 55 530.

RND/dpa

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