„Gott+“: Das Vielfache von Gott
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Besucher einer Ausstellung in Wien (2016) fotografieren die Reproduktion eines Michelangelo-Deckengemäldes aus der Sixtinischen Kapelle in Rom.
© Quelle: picture alliance / dpa
Berlin. Solange Menschen an höhere Mächte glauben, so alt ist auch der Drang, sich ein Bild von ihnen zu machen. Wie viele meinen, der Gott der Christen sähe wie eine Art Weihnachtsmann – also ein weißer, reiferer Mann mit prächtigem Rauschebart – aus, ist nicht bekannt. Wenige dürften es jedoch nicht sein.
Mit den weltweit zunehmenden Bekenntnissen von Gesellschaften zur Vielfalt menschlicher Lebensformen und ‑weisen hinterfragen auch Gläubige, wie lebensnah ihre Religion eigentlich noch ist oder wie sich der Umgang mit Gott vielfältiger gestalten lässt.
Die Bundeskonferenz der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) hat Anfang April eine Antwort gefunden. Die Mitglieder der Jugendorganisation wollen künftig nicht mehr von Gott sprechen oder von „Gott*“ wie zwischenzeitlich – die Vielfältigkeit Gottes in Wortbild, in Schriften und Aktionen solle sich nun im Begriff „Gott+“ widerspiegeln.
Kreuzweg-Prozession in Rom: Ukrainerin und Russin tragen das Kreuz zu Ostern
Bei der Kreuzweg-Prozession am römischen Kolosseum hat der Vatikan trotz Kritik aus der Ukraine an der symbolischen Geste festgehalten.
© Quelle: Reuters
Du sollst Dir kein Gottesbild machen
Klar, Widerspruch ist programmiert. Viele Christinnen und Christen fremdeln mit dieser Umschreibung.
Im 2. Buche Mose beginnen die zehn Gebote mit einem Bildnisverbot: „Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“ Ebenfalls im 2. Buch Mose ist diese klare Anweisung zu finden: „Gott antwortete: ‚Ich bin, der ich bin! Darum sag den Israeliten: „Ich bin“ hat mich zu euch gesandt.‘“
KjG-Bundesleiterin Julia Niedermayer begründet den Vorstoß damit, es müsse Raum für vielfältige Gottesbilder bleiben. Um ein Gendern, wie vielfach kritisiert wird, gehe es jedenfalls ausdrücklich nicht. „Gott+“ sei die Erweiterung, die am meisten abbilde. „Sie macht deutlich, dass es uns nicht ausschließlich um Geschlechterebenen geht, sondern um viele weitere Dimensionen“, sagte sie dem Portal „katholisch.de“. „Wir halten das Bild von Gott als altem weißen Mann – wie es noch in vielen Köpfen vorherrscht – als für zu kurz gedacht.“
Der Bundesvorsitzende der Schüler-Union, der Katholik Adrian Klant, warf der KjG „linke Ideologisierung“ von Kindern vor. Der Osnabrücker Weihbischof Johannes Wübbe hingegen will das Gespräch mit den jungen Leuten suchen. Der Jugendbischof der Deutschen Bischofskonferenz empfindet es als positiv, dass sich junge Gläubige Gedanken über die Vorstellung von Gott machen.
Keine geschlechtlichen Grenzen
Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), hat selbst einmal 1999 im Rahmen einer Kunstausstellung mit dem Titel „Die andere Hälfte des Himmels“ einen Beitrag zu dem Thema veröffentlicht. „Ich träume von einem Himmel, der nicht Hälften kennt, nicht hier und dort, nicht mein und dein“, schrieb die heutige Chefin des größten deutschen Laienverbands der Katholiken damals.
Und weiter: „Gottes Gnade und Gottes Himmel sind keine Grenzen gesetzt, eben auch keine geschlechtlichen. Gottes Geist ist eindeutig ein Geist der Freiheit. Niemand besitzt den Geist, und der Geist ist nie meine eigene Möglichkeit. Komm heiliger Geist … sprenge die Fesseln der Ordnungskategorien und lass überfluten mit frischen Wassern, die Mauern zwischen der einen und der anderen Hälfte, zwischen mein und dein, zwischen Mann und Frau.“
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Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa
Bis heute, sagt Stetter-Karp dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), hätte sich ihre Sichtweise von damals nicht geändert. „Jede Generation spricht von Gott in ihrer Sprache, sucht auf ihre Weise.“ Sie wertschätze, dass die KJG ihrer Suche Ausdruck verleihe.
„Für mich führt das Plus hinter dem Wort aber nicht weiter“, so die ZdK-Präsidentin. „Entscheidend ist, dass wir uns Gott nicht nach unseren engen Vorstellungen im Kopf schreinern. Ich glaube, wir müssen aufhören, Skulpturen von Gott zu schaffen. Mir jedenfalls kommt Gott nicht näher, wenn ich den vorhandenen Skulpturen noch weitere hinzugeselle.“
Wie spreche ich „Gott+“?
Eine muntere Debatte, die der Kirche zum Auferstehungsfest Jesu Christi gut zu Gesicht gestanden hätte, ist nach dem KjG-Vorstoß leider nicht entstanden. Das liegt vielleicht an der Ermüdung nach kräftezehrenden Diskussionen im Zuge des Outings von 125 Mitarbeitenden der katholischen Kirche als queer im Januar. Außerdem ist die sprachliche Praxis von „Gott+“ nicht einfach.
KjG-Bundesleiterin Niedermayer ist da selbst unsicher. „Eine Möglichkeit ist, dass wir künftig immer von „Gott+“ sprechen. Eine weitere Ausspracheweise könnte etwa sein, eine kurze Pause nach dem Wort anzufügen, um den Platz zu signalisieren, an dem das zusätzliche Symbol steht. Die KjG wird nun herausfinden, was am besten zur gesprochenen Sprache passt.“
Bibel in gerechter Sprache
Was passiert, wenn man die Sache zu forsch angeht, zeigt das Schicksal der 2006 erschienenen, von mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Forschern entwickelten „Bibel in gerechter Sprache“. Darin wird Gottes – nach jüdischer Tradition unaussprechliche – Name JHWH variabel übersetzt: mal mit „ErSie“, mal mit „der“ oder „die Lebendige“, Schechina, mal mit „der Ewige“ oder auch mit „Die Ewige“.
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© Quelle: epd
Bei vielen Theologen und Theologinnen, aber auch Sprachlehrenden fiel diese Bibel jedenfalls durch. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verlieh der „Bibel in gerechter Sprache“ sogar den Stempel „Für den gottesdienstlichen Gebrauch ungeeignet“.
Eines dürfte sicher sein: Das Vielfache von Gott wird bei Christinnen und Christen Thema bleiben. Und Gott wird es freuen, wenn über Gott geredet wird. Das ist gewiss ein Plus.