Geschlechtergerechte Sprache: Italien streitet über das „schwa“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/GPENVSZ2VVEWZPJGV3XKBCFDAE.jpg)
Eine Frau schaut in ein Italienischwörterbuch.
© Quelle: picture alliance / dpa Themendienst
Rom. Der Streit begann am 2. Dezember des vergangenen Jahres: An diesem Tag veröffentlichte das italienische Bildungsministerium neue Leitlinien für die Anstellung von Professorinnen und Professoren. Inhaltlich durchaus kein revolutionäres Schreiben – sprachlich dagegen schon: In den Leitlinien war von den Anforderungen die Rede, die ein „professorə“ erfüllen müsse. Das umgekehrte e hat die gleiche Funktion wie das deutsche Binnen-I im Wort „ProfessorIn“: Beide Geschlechter sind gemeint. In Italien nennt sich das Zeichen chwa und wird ausgesprochen wie ein kurzes ä. Es war das erste Mal überhaupt, dass das geschlechtsneutrale ə in einem amtlichen Dokument verwendet wurde. Die Pluralform des ǝ ist das 3, das aussieht wie die Ziffer 3. Es heißt „schwa lungo“.
Die ungewohnte geschlechtsneutrale Formulierung in dem ministerialen Schreiben hat heftige und vorwiegend ablehnende Reaktionen ausgelöst. Sprachforscher, Philosophen und Publizisten haben umgehend eine Petition mit dem Titel „Lo schwa? No grazie. Pro lingua nostra“ („Das Schwa? Nein danke. Für unsere Sprache“) lanciert, um die Verwendung des ə in der italienischen Sprache im Keim zu ersticken. „Wir stehen vor einem weiteren, gefährlichen Abweg bei der Förderung der Inklusion – Jahrhunderte der linguistischen und kulturellen Entwicklung sollen im Namen eines oberflächlichen und modischen Gutmenschentums annulliert werden“, heißt es in dem Aufruf, der auf der Plattform change.org veröffentlicht wurde.
Petition hat 23.000 Unterschriften
Die Petition ist inzwischen von über 23.000 Intellektuellen und Akademikerinnen und Akademikern unterzeichnet worden – und durchaus nicht alle sind dem politisch konservativen Lager zuzuordnen. Unter den Gegnern des „schwa“ befinden sich zum Beispiel auch der Philosoph und ehemalige linke Bürgermeister von Venedig, Massimo Cacciari, sowie der Publizist Paolo Flores d’Arcais, einst Mitglied der kommunistischen Partei und später (enttäuschter) Sympathisant der Fünf-Sterne-Protestbewegung. Auch die unpolitische Accademia della Crusca, das italienische Pendant der Duden-Redaktion im deutschen Sprachraum, hat sich gegen die Einführung des umgekehrten e ausgesprochen.
Die Diskussion um politisch korrekte, geschlechtsneutrale Formen ist auch in Italien nicht neu – sie hat mit dem erstmaligen Auftauchen des ǝ in einem amtlichen Dokument lediglich an Breite und an Intensität zugenommen. So hatte etwa die sardische Autorin und Feministin Michela Murgia das „schwa“ zuvor schon in ihrem letzten Buch („Morgana – L’uomo ricco sono io“, erschienen im September 2021) verwendet. Diskutiert werden in Italien seit Längerem auch die Verwendung des Bindestrichs (caro/a amico/a = liebe/r Freund/in) oder das Sternchen (car* amic*). Das „schwa“ (carǝ amicǝ) hat in der Diskussion aber neuerdings klar die Nase vorn.
Für und Wider des „schwa“
Die Argumente der Befürworterinnen und Befürworter sowie Gegnerinnen und Gegner der geschlechtsneutralen Formen sind in etwa die gleichen wie im deutschen Sprachraum. „In einer sexistischen Gesellschaft wie der unseren ist das ‚schwa‘ ein wichtiger Stolperstein für das Auge. Es ist das, was die Impfstoffe für die Covid-Erkrankung sind: Sie vernichten nicht die Präsenz des Virus, und sie sind auch nicht das definitive Heilmittel, aber sie helfen uns, Antikörper zu entwickeln“, betont die Schriftstellerin Murgia. Besonders eifrige Befürworter des ǝ sprechen sich dafür aus, auch die Personalpronomen „lui“ (er) und „lei“ (sie) zu gendern: Anstelle von „lui e lei“ könne man auch „lǝi“ schreiben. Die weiblichen und männlichen Pluralformen der Personalpronomen sind identisch (loro) – wie im Deutschen (sie).
Die Gegner des „schwa“ wenden ein, dass es zwar schön wäre, wenn man durch eine sprachliche Neuerung die Intoleranz und den Sexismus in der Gesellschaft überwinden könnte, aber leider sei das nicht so einfach. Die Accademia della Crusca betont, dass man akzeptieren müsse, dass das biologische Geschlecht und die sexuelle Identität etwas anderes seien als das grammatikalische Geschlecht. Außerdem verfüge das Italienische – im Unterschied zur deutschen Sprache – über kein sächliches Geschlecht (Neutrum). Ihr Vorschlag: Statt das ǝ oder das 3 sei die männliche Pluralendung „i“ zu verwenden, wie dies bei den Adjektiven automatisch gemacht werde, wenn von männlichen und weiblichen Personen die Rede ist: „Mamma e papà sono usciti“ – „Mama und Papa sind ausgegangen“. Bei diesem Satz kommt niemand auf den Gedanken, dass Mama nicht mitgemeint sein könnte – obwohl die Adjektivendung männlich ist.