Generation Corona: Und wieder wird die Jugend nicht ernst genommen

Jugendliche sind von den Corona-Einschränkungen besonders betroffen.

Jugendliche sind von den Corona-Einschränkungen besonders betroffen.

Hannover. Am Montag ging auf Twitter ein Ausschnitt aus dem ZDF-„heute-journal“ um. Darin ist eine junge Frau bei einer Straßenumfrage zu sehen – entstanden sind die Aufnahmen spätabends in Berlin. „Ich war jetzt seit März nicht mehr feiern“, erzählt die Frau in die Kamera. „Das ist schon traurig.“ Eigentlich brauche sie das Ausgehen. „Ich bin darauf angewiesen – und darauf zu verzichten, geht mir schon echt ab.“ Die zweite Welle sei darum sehr belastend. Viele junge Leute würden das Ausgehen nämlich inzwischen „krass vermissen“.

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Es kam, was kommen musste: Auf Twitter wurde die Interviewte umgehend mit Spott und Hohn überschüttet. „Definiere first world problems“ lautete der Kommentar eines Twitter-Nutzers, der den Ausschnitt zuerst verbreitete. Rund 500.000-mal wurde der Clip angesehen.

In einem Kommentar dazu heißt es: „Mädel, ich vermisse mein normales Leben auch und halte mich trotzdem zurück, es gab Zeiten in diesem Land, da mussten Menschen auf noch viel mehr wie Party verzichten, echt, euer ‚Ich brauch‘ und Null-für-andere-der-Gesellschaft-Übrig geht mir echt auf den Sack.“ Ein anderer meint: „Wow, einfach nur wow! Mein Zehnjähriger kapiert es, aber die Primadonna ist auf Party ‚angewiesen‘.“ Nach den heftigen Reaktionen wurde der Clip inzwischen auf Twitter entfernt.

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Bizarre Jugendfeindlichkeit

Wenn man irgendetwas aus diesem Vorfall lernen kann, dann wahrscheinlich Folgendes. Erstens: Zeige niemals Schwäche im Internet – denn sie werden über dich herfallen. Und zweitens: Sei bloß nicht jung – sie werden dich nicht ernst nehmen.

In der Corona-Krise setzt sich gerade genau das fort, was zuvor schon begonnen hatte. Wenn sich Generation Z ums Klima und ihre Zukunft sorgt, dann wird sie von wütenden Altmännermobs im Netz verspottet. Wenn sie sich in Parteien engagiert, wird sie nicht ernst genommen. Wenn sie sich, wie etwa in den USA, für härtere Waffengesetze starkmacht, um nicht in der Schule erschossen zu werden, wird sie mit abstrusen Verschwörungstheorien überschüttet. Und wenn sie sich darüber Sorgen macht, dass ihr eine Pandemie gerade ihre Jugend raubt, dann ist das für den Mob nicht mehr als ein lächerliches „First-World-Problem“. Diese Jugendfeindlichkeit ist eklig.

Fest steht: Die Jugend ist gerade einer der größten Verlierer der Krise. Ihre Treffpunkte, etwa Clubs, Diskotheken und Festivals waren die Ersten, die im Frühjahr abgeschafft wurden. Und sie werden wohl die Letzten sein, die nach der Pandemie wieder öffnen – wann immer das sein wird. Die Corona-Regeln werden derweil von alten Menschen gemacht. Von Menschen, die sich nicht in das Leben der Jungen hineinversetzen können – und wahrscheinlich auch nicht wollen.

Corona-Schwurbler ernst nehmen – die Jugend nicht

Der Generation Z läuft unterdessen die Zeit davon. Man ist nur einmal jung. Und die wohl prägendste Zeit des Lebens verbringt man nun mit Social Distancing. Clubbesuche, Auslandsaufenthalte, die sorglosen letzten Jahre vor dem Erwachsenenleben, die frühere Generationen noch erleben durften – all das bleibt ihr verwehrt. Und dass sich die Problematik so schnell ändern wird, daran glaubt ja selbst der größte Optimist nicht mehr.

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In Klassenräumen frieren sich Schülerinnen und Schüler von nun an den Hintern ab – weil man es über den Sommer offenbar nicht geschafft hat, vernünftige Alternativkonzepte zu schaffen. Als 16-Jähriger würde ich mir auch verarscht vorkommen.

Aber klar, „First-World-Problems“. Erinnern Sie sich? Wochen-, ja, monatelang wurde zuletzt über Corona-Leugner auf den Straßen dieses Landes berichtet, manche forderten gar schon wieder, man müsse ihre „Sorgen ernst nehmen“. Von einem „First World Problem“ sprach hier erstaunlicherweise niemand. Noch mal zur Erinnerung: Diese Menschen kämpfen allen Ernstes für die Freiheit, keine Maske mehr tragen zu müssen. Was für ein Problem soll das bitte sein?

Krise zieht sich bis ins Berufsleben

Kaum gesprochen wird hingegen über diejenigen, die nicht so laut sind wie der Mob. Diejenigen, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben, und die – abgesehen von einer lächerlichen Maske – noch ganz andere Probleme haben. Dass eine junge Frau sozialen Aktivitäten nachgehen möchte, wird als Schwäche dargestellt. Bricht das Sozialleben weg, dann ist das irgend so ein jugendlicher Quatsch. Dabei ist gerade das für junge Menschen enorm wichtig.

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Schon jetzt hat all das Folgen. Der Soziologieprofessor Michael Corsten forscht an der Universität Hildesheim über die sogenannte „Generation Corona“. Die „Tagesschau“ berichtet über seine Erkenntnisse: Corsten sieht langfristige Folgen für die Lebensplanung der jungen Menschen. Es gebe jetzt sozusagen eine Generation „in Klammern“, die sich permanent umorientieren müsse. Das könne zu viel Frustration führen. Und manche berufliche wie private Gelegenheiten, wie eben ein Auslandsjahr, könne man später wohl nicht mehr nachholen.

Auch die Professorin für Wirtschaftswissenschaften Regina Riphahn erwartet bei der „Generation Corona“ „Vernarbungseffekte“. In Schule und Studium verpasse sie einiges, beim Berufseinstieg werde sie krisenbedingt schlechter bezahlt. Das wiederum lasse sich womöglich über das gesamte Erwerbsleben nicht ausgleichen.

Nicht nur Jüngere infizieren sich

Wir können an dieser Stelle nicht leugnen, dass natürlich auch die Jugend gerade einen Teil dazu beiträgt, dass die Corona-Infektionszahlen wieder in die Höhe steigen. Wir lesen von illegalen Rave-Partys, von unerlaubten Massenveranstaltungen in Shishabars, von Saufabenden ohne Abstand. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass es einfach keine angemessenen Alternativen gibt. Wie die Alternative zum kalten Klassenraum. Weil sich eben niemand dafür interessiert.

Oder: Vielleicht lesen wir auch nur, was wir lesen wollen. Es braucht schließlich immer einen Sündenbock – es wäre nicht das erste Mal in dieser Pandemie. Laut dem Soziologen Corsten bewegen sich die Zahlen bei den Neuinfektionen inzwischen auf das Durchschnittsalter der Bevölkerung von 44,5 Jahren zu. Im Klartext: In den vergangenen Wochen haben sich vor allem Teile der älteren Bevölkerung infiziert, und nicht mehr jüngere Leute wie etwa in den späten Sommermonaten. Die Lage könne laut dem Soziologen „nicht mehr vollständig mit dem Partyfeiern der Jugendlichen erklärt werden“, sagte er dem Deutschlandfunk.

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Bei Interviews, die er für seine aktuelle Studie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt hat, habe er zudem häufig Rücksichtnahme, eine soziale Perspektive und das Hineindenken in andere festgestellt, sagt Corsten: „Wir können nicht beobachten, dass Jugendliche antisozial denken.“ Für den ein oder anderen Corona-Schwurbler auf den Straßen und Pöbler im Internet dürfte die Beurteilung vermutlich anders ausfallen.

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