Gedenken an Opfer des Amoklaufes: „Universität Heidelberg muss ein offener Ort bleiben“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/SANGHC7CCFABNEMSS7BIMXCF4I.jpeg)
Menschen stehen zur Gedenkminute vor dem Haupteingang der Neuen Universität. Eine Woche nach dem Amoklauf erinnert die Universität Heidelberg mit einer Trauerfeier in der Peterskirche an die Opfer.
© Quelle: Uwe Anspach/dpa
Heidelberg. Die Universität Heidelberg erinnert eine Woche nach dem Amoklauf auf dem Campus mit einer Trauerfeier in der Peterskirche an die Opfer. Eröffnet wird die Veranstaltung mit Orgelmusik. Dann findet der Universitätsprediger der Universität Heidelberg, Helmut Schwier, die ersten Worte für diese traurige Zusammenkunft: „Innehalten, das tun wir, eine Woche nach der schrecklichen Gewalttat an unserer Universität“, sagt er und spricht von einer Tat, die „einen ganzen Campus in Angst und Schrecken“ versetzt und viele Menschen in der Stadt traumatisiert habe. Das Gedenken im der Kirche solle helfen, „den Schock zu überwinden und ins Leben zurückzufinden“.
Schwier spricht im Folgenden über eine Zusammenkunft in der Kirche nach der Tat am letzten Montagabend. Er erinnert sich an „Gespräche mit Betroffenen, mit Ängstlichen, mit Wütenden“. Auch wenn Normalität und Alltag gerade so weit entfernt seien, ruft er zum Miteinanderreden und Zusammenhalten auf. „Auch die Seele der Universität ist verwundet“, sagt er und kündigt an, dass es auf dem Campus geschützte Räume abseits der Öffentlichkeit geben solle. „Wir orientieren uns am Geist der Freiheit, gegen Einschüchterung und Bedrohung“, sagt er. „Ich vertraue darauf, zweifelnd und wund ja, aber auch zuversichtlich, mit Gottes Hilfe (…) werden wunde Seelen heilen. Wird das Schwere wieder leicht. Wird Studieren voller Entdeckungsfreude sein.“
Innenminister Thomas Strobl: „Die Universität Heidelberg muss ein offener Ort sein und bleiben“
Dann spricht Innenminister Thomas Strobl (CDU) zu den Trauergästen. „Die brutale Gewalttat (…) erfüllt uns heute noch mit tiefer Trauer und mit Fragen. Fragen nach dem Warum, Fragen nach dem Sinn“, sagt er. Er spricht der Familie und den Angehörigen der getöteten Studentin sein Beileid aus. „Die gesamte Landesregierung trauert mit Ihnen.“
„Nach entsetzlichen Gewalttaten quält uns die Frage, ob wir sie nicht hätten verhindern können“, referiert er weiter – ob es Anzeichen oder Signale gegeben habe, „die wir nicht bemerkt haben“. „Doch die Abgründe der menschlichen Seele sind nicht immer sichtbar.“ Misstrauen dürfe nicht die Antwort auf solch eine Tat sein. „Studierende in Heidelberg sollen auch in Zukunft unbeschwert die Universität besuchen können. (…) Freundschaft und Offenheit erfahren, sich sicher fühlen, vertrauen, sich nicht fürchten. Die Universität Heidelberg muss ein offener Ort sein und bleiben“, so Politiker Strobl.
Auch der Universitätsrektor Bernhard Eitel findet deutliche Worte für die Tat: „Betroffen und vor allem getroffen sind wir alle, wir als akademische Gemeinschaft“, sagt er. „Jede andere Lehrveranstaltung (…), jeden anderen von uns hätte es treffen können.“ Er spricht von einem Anschlag auch auf die wissenschaftliche Lebensform. „Selten wurde deutlicher, was Universität ist“, findet er und betont: „Wir stehen zusammen, wir bleiben weltoffen, wir ziehen uns nicht in ein vermeintlich schützendes Schneckenhaus zurück und geben unsere Überzeugungen auf. Nein, wir sind gestützt und eingebettet in eine internationale, wissenschaftliche Community.“
„Diese Tat geht uns alle an“
„Diese Tat geht uns alle an“, meint auch Peter Abelmann, der Vorsitzende der Verfassten Studierendenschaft. „Sie trifft nicht nur den Kern unseres studentischen Lebens, sie hätte auch uns alle direkt treffen können, die Mitarbeiterin, den Doktoranden, den Professor.“ Sie sollten nun versuchen, füreinander da zu sein.
Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner wiederum beginnt seine Rede damit, dass er den Schmerz, den Angehörige nun erlitten, nur erahnen könne. „Ich bin Vater von vier erwachsenen Kindern“, sagt er. Die Sorge, dass den eigenen Kindern etwas zustoßen könne, begleite einen seit ihrer Geburt. Wenn das Realität werde, „legt sich Dunkelheit über uns“. Er spricht darüber, dass erst vor wenigen Wochen die Vorlesungen in Präsenz wieder gestartet waren. „Für die ermordete junge Frau war es das erste Semester“, so seine traurigen Worte. „Jetzt liegt Trauer über dem Neuenheimer Feld, über unserer Universität, über ganz Heidelberg.“ Die Gewalttat habe die gesamte Stadtgesellschaft erschüttert. „Wir sind eine freie, weltoffene, vielfältige und lebendige Stadt und werden das auch bleiben“, meint er.
Schweigeminute für die Opfer
Zum Gedenken der getöteten 23-jährigen Studentin und ihrer drei verletzten Kommilitonen hielten zudem alle Menschen um 12.24 Uhr für eine Minute inne. Zu diesem Zeitpunkt kamen am vergangenen Montag die ersten Notrufe aus dem Saal, in dem der Täter mehrfach auf die 30 Erstsemester der Biowissenschaften schoss.
Die Stadt am Neckar ist studentisch geprägt. Rund 39.000 junge Menschen studieren an den fünf Hochschulen Heidelbergs, das entspricht einem Viertel der Einwohner. Allein an der ältesten deutschen Universität sind 31.000 Studenten eingeschrieben.
18-jähriger Täter studierte Biowissenschaften
Zu diesen gehörte auch der 18 Jahre alte Täter, der wie seine Opfer Biowissenschaften studierte, diese aber nach Erkenntnissen der Ermittler nicht kannte. Er drang am vergangenen Montag mit einer Waffe in ein laufendes Tutorium ein, in dem eine ältere Studentin den Neulingen organische Chemie nahebringen sollte. Er schoss mehrmals und traf die aus Landau stammende 23-Jährige mit der Schrotflinte in den Kopf. Drei weitere Kommilitonen wurden angeschossen, kamen aber mit leichteren Verletzungen davon. Die junge Frau starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Der Täter verließ das Gebäude und tötete sich selbst.
Das Motiv für die Tat liegt weiter im Dunkeln. Die Polizei ermittelt auch zur Frage, ob eine psychische Erkrankung des Mannes Hintergrund der Tat war.
RND/hsc/mit dpa