Extremtaucher Achim Schlöffel im Interview

Experte zur Nord-Stream-Sprengung: „Kein Hexenwerk für erfahrene Taucher“

Das Gasleck in der Nähe von Bornholm aus der Luft.

Das Gasleck in der Nähe von Bornholm aus der Luft.

Hannover. Hinter der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee steckt mutmaßlich eine proukrainische Gruppe. Das berichtet die „New York Times“ unter Berufung auf Beamte des US-Geheimdienstes. Es handele sich um eine Gruppe von fünf Männern und einer Frau, heißt es in einer Recherche von „Kontraste“, SWR und „Zeit“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Sprengstoff sei von der Gruppe mutmaßlich zu den Tatorten transportiert und dort platziert worden. Mit gefälschten Reisepässen sei in Rostock eine Yacht angemietet worden – auf dieser fanden Ermittlerinnen und Ermittler später auch Spuren von Sprengstoff. Laut dem Bericht der Recherchekollektivs bestehe die Gruppe aus einem Kapitän, einer Ärztin sowie zwei Tauchern zwei Tauchassistenten.

Ist es möglich, dass sich mit Hilfe einer einfachen Yacht und zwei Tauchern eine Gaspipeline in die Luft sprengen lässt?

Einer, der es wissen muss, ist Achim Schlöffel. Der Extremtaucher aus München hat als erster Mensch den Ärmelkanal durchtaucht, Taucherinnen und Taucher fürs Militär ausgebildet und selbst schon Angriffe auf Unterwasserinstallationen durchgeführt – allerdings ganz legal, um Lücken in Sicherheitssystemen aufzudecken.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Als Gründer des technischen Tauchverbands „Inner Space Explorers“ bildet Schlöffel bis heute Taucher aus – und besichtigt auch selbst regelmäßig Ziele in extremer Tiefe. Wie schätzt er den Fall ein?

Achim Schlöffel, halten Sie es für möglich, dass Taucher die Nord-Stream-Pipeline gesprengt haben?

Klar, das ist kein Hexenwerk – und auch Militär ist dafür nicht nötig. Die Pipeline ist nicht geheim und auf jeder Seekarte verzeichnet. Muss sie auch, da dort aus Sicherheitsgründen Ankern und Fischen verboten ist. Jedes Boot mit Echolot findet sie, also natürlich auch mögliche Saboteure. Das Gerät, auch Fishfinder genannt, tastet den Meeresboden ab und stellt ihn auf einem Bildschirm grafisch da. Wenn Sie über die Pipeline fahren, sehen Sie die Fundamente haargenau, wie auf einem Schwarz-Weiß-Foto. Ich habe auf meinem Boot ein Gerät für etwa 3000 Euro, damit ließe sich die Pipeline problemlos orten.

Proukrainische Gruppe steckt offenbar hinter Nord-Stream-Explosionen

Im Fall der Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 Ende September 2022 gibt es laut Medienberichten neue Spekulationen über die Täter.

Das heißt aber nicht, dass dann auch jeder problemlos dorthin tauchen kann, oder?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Erfahrene Taucherinnen und Taucher schon. Jeder, der in unserer Tauchschule Level 2 abgeschlossen hat, wäre dazu in der Lage. Und insbesondere solche, die regelmäßig Wracktauchen gehen, für die wäre ein Tauchgang zur Pipeline gar kein Problem. Gerade um Bornholm herum gibt es ein Haufen Wracks, die auf etwa 80 Metern Tiefe liegen – also etwa in der selben Tiefe wie die Pipeline. Die werden regelmäßig betaucht. Wir haben vor ein paar Jahren noch den deutschen Flugzeugträger Graf Zeppelin besichtigt, der auf 88 Metern liegt. Jeder gut ausgebildete technische Taucher kommt dahin. Theoretisch lässt sich der Tauchgang samt Unterbringung des Sprengstoffs innerhalb von 40 Minuten erledigen.

Und wie macht man das?

Sie suchen mit Hilfe des Fishfinders die Stelle und werfen dann dort eine sogenannte Shotline. Dabei handelt es sich um ein schweres Gewicht, etwa 15, 20 Kilogramm schwer. Da wiederum hängt eine Leine dran und hinten eine Boje. Das Gewicht geht schnell auf Grund und die Boje oberhalb des Wassers markiert die Stelle, wo Sie hintauchen wollen. Dieser Schritt ist wichtig: Würde der Taucher einfach nur so ins Wasser springen, würde er wegen Wind und Strömung sein Ziel womöglich verfehlen. Ganz anders bei der Shotline: Die Täter tauchen entlang der Leine runter und kommen genau dort an, wo sie das Gewicht hingeworfen haben. Um auf 80 Meter zu kommen, brauchen sie etwa drei bis vier Minuten.

Und wie bekommt man den Sprengstoff an sein Ziel?

Am einfachsten vermutlich, in dem man ihn an der Bojenleine befestigt und damit nach unten schickt. Das wäre am schnellsten und einfachsten, dann ist er direkt dort, wo man ihn haben will und er muss nicht mehr transportiert werden. Dann muss man ihn nur noch anbringen. Ich gehe davon aus, dass er einfach unter die Pipeline gelegt wurde. Vielleicht wurde er auch mit einem Spanngurt festgemacht. Dazu müsste man wissen, wie die Ladung aufgebaut war – es gibt Möglichkeiten ohne Ende. Zeitintensiv ist das alles aber nicht. Wir reden hier von etwa zehn Minuten, die Gesamttauchzeit war dann wahrscheinlich etwa 20 Minuten.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Offenbar sind die Täterinnen und Täter nur mit einer Yacht aufs Meer hinausgefahren. Halten Sie das für möglich? So ein kleines Schiff treibt doch ab, während die Taucher im Wasser sind.

Das wäre kein Problem. Auch das Aufsteigen der Taucher funktioniert mit einer Markierung. Nach Abschluss der Operation steigen sie nach oben und schießen auf einer Tiefe von etwa 20 Metern eine Boje nach oben. Das Boot folgt dann der Boje und sammelt die Taucher an genau dieser Stelle wieder ein. Das Boot muss also nicht an der selben Stelle bleiben, um auf die Taucher zu warten. Es wäre für so ein Unterfangen sogar kontraproduktiv. Ein Boot über der Pipeline wäre ja viel zu auffällig.

Wie machen die Taucherinnen und Taucher es denn mit dem Sauerstoff? Normale Pressluftflaschen fürs Hobbytauchen reichen doch nicht für einen Tauchgang bis 80 Meter Tiefe.

Das Equipment in der technischen Taucherei hat sich in den vergangenen 20 Jahren enorm weiterentwickelt. Ich gehe davon aus, dass mit einem sogenannten Rebreather, einem Kreislauftauchgerät, gearbeitet wurde. Dabei haben die Taucher keine Flaschen mehr, bei denen der Sauerstoff irgendwann leer ist. Bei diesen Geräten wird die Atemluft wieder ins Gerät zurückgeführt, chemisch aufbereitet, das CO₂ wird rausgefiltert. Und dann können sie mit einem vergleichsweise kleinen Gerät mit wenig Flaschen sehr tief und sehr lang tauchen. Diese Rebreathing-Systeme sind noch relativ teuer, etwa 10.000 Euro, die Ausbildung kostet etwa 5000. Es ist aber keineswegs unmöglich, an diese Geräte zu kommen.

Wäre ein solcher Anschlag vor ein paar Jahren also gar nicht möglich gewesen?

Doch, durchaus. Aber es wäre teurer und komplizierter gewesen. Die Zahl der Ausbilder für Rebreathing-Geräte war noch nicht so groß und die Geräte noch nicht so gut verfügbar. Möglich gewesen wäre das aber schon: Wir sind schon in den Neunzigerjahren im 100-Meter-Bereich getaucht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im neuen wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage. Jetzt kostenlos anmelden und in Kürze die erste Ausgabe erhalten.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Wie viele Taucher gibt es denn, die in diesen Tiefen tauchen können?

Haufenweise. Sicherlich mehrere Hundert Personen in Deutschland.

Und wenn es doch kein Taucher war? Gäbe es noch andere Möglichkeiten, den Sprengstoff an der Pipeline anzubringen?

Theoretisch könnte man auch einen ferngesteuerten Roboter runterschicken. Aber ich persönlich hätte es auch mit einem Taucher gemacht. Das ist der günstigste und einfachste Weg. Ich bin mir relativ sicher, dass es ein Taucher war.

Das klingt aber auch so, als gäbe es kaum eine Möglichkeit, so eine Pipeline zu schützen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das kann man so sagen. Die Pipelines sind heute zwar super stabil – aber theoretisch ist jeder Schleppnetzfischer eine Gefahr für die Infrastruktur. Die komplette Konstruktion ständig zu überwachsen wäre nahezu unmöglich und enorm kostenintensiv.

Mehr aus Panorama

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken