Experte über die „Mutter aller Schlangen“: „Es ist erstaunlich, wie stark die Motivation der Menschen ist“
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Der Tod von Queen Elizabeth II. bewegt die ganze Welt. Seit Mittwoch reihen sich die Menschen in eine kilometerlange Schlange ein, um einen letzten Blick auf den Sarg zu werfen, in dem die Königin aufgebahrt im britischen Parlament in London liegt.
© Quelle: Martin Meissner/AP/dpa
Die Königin ist tot. Lang lebe der König. Großbritannien trauert um Elizabeth II. Seit Mittwoch reihen sich die Menschen in eine kilometerlange Schlange ein, um einen letzten Blick auf den Sarg werfen zu können, in dem die Königin aufgebahrt im britischen Parlament in London liegt. Angesichts der Massen an Trauernden haben britische Behörden am Samstagmorgen vorerst davon abgeraten, sich für den Abschied von Queen Elizabeth II. anzustellen.
„Die Warteschlange hat ihre Kapazität mit Wartezeiten von mindestens 24 Stunden fast erreicht“, hieß es am Samstagmorgen im Livetracker der Regierung. „Bitte reisen Sie nicht an, um sich in die Schlange einzureihen.“
Auf Twitter wurde das Phänomen am Donnerstag als „Triumph der Britishness“ gefeiert und als die „Mutter aller Schlangen“. Doch was bewegt die Menschen, sich den Strapazen des stundenlangen Wartens auszusetzen? Florian Kaiser, Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg empfindet es im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) als „erstaunlich, wie stark die Motivation der Menschen offensichtlich ist“. Nach seiner Beobachtung der Szenen der vergangenen Tage drückt sich diese Motivation „darin aus, wie bereit die Leute sind, Widrigkeiten auf sich zu nehmen.“
„Es ist ein Event, bei dem die Menschen natürlich zusammenkommen“
Eine allgemeingültige psychologische Einordnung, warum die Menschen sich besagten Widrigkeiten aussetzen, kann Kaiser zu diesem Zeitpunkt nicht geben. Dennoch hält er fest: „Man kann eigentlich nur erstaunt sein über die Stärke der Motivation, die sich darin zeigt, dass die Leute sogar bereit sind, 30 Stunden auf ein Ereignis zu warten.“ Für viele Briten, Britinnen sowie Anteilnehmende aus der ganzen Welt scheint es demnach eine Selbstverständlichkeit zu sein, der Königin auf diese Weise die letzte Ehre zu erweisen.
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Immer wieder wurden in den vergangenen Tagen Stimmen von Menschen eingefangen, für die der Aufwand des Wartens in keiner Relation zum jahrzehntelangen Wirken der Monarchin zu stehen scheint: „Sie hat 70 Jahre lang gearbeitet, was sind da sechs Stunden Wartezeit“, heißt es aus der „Mutter aller Schlangen“. Auskunft über die aktuelle Länge der Schlange in London bietet ein eigens dafür eingerichteter Youtube-Kanal. Ein roter Punkt mit dem Hinweis „Live“ macht klar, dass die Angaben ununterbrochen aktualisiert werden. Hier werden seit Mittwochnachmittag unter anderem der Verlauf auf einer Karte angegeben und die Kilometerzahl.
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Laut Kaiser treffen bei dem Phänomen zwei wesentliche Komponenten aufeinander: die Geschichtsträchtigkeit des Ablebens der Monarchin und die Tatsache, diesen Moment miterlebt zu haben. „Man muss die Bedeutsamkeit ähnlich wie bei anderen historisch prägnanten Ereignissen, wie etwa 9/11, sehen“, folgert der Experte. Gemäß seiner Einschätzung „besitzt der Tod einer Königin nach einer so langen Regentschaft durchaus eine Bedeutsamkeit, die den Eventcharakter erzeugt. Bei einem solchen Ereignis historischen Ausmaßes muss bzw. will man einfach dabei sein.“
Im Rahmen dieses „Events“ treffen nicht nur Menschen aufeinander, die sich unter normalen Umständen vermutlich niemals begegnet wären, es ist auch immer wieder von neu geschlossenen Freundschaften und Zweckgemeinschaften die Rede. Für Kaiser sind diese Begegnungen eher ein „Zufallsereignis“, die mit „mit einer Bekanntschaft im Restaurant oder Pub“ vergleichbar seien.
„Es ist ein Event, bei dem die Menschen natürlich zusammenkommen. Es muss gemeinsam Zeit totgeschlagen werden – genau daraus ergibt sich dann die Wahrscheinlichkeit solcher Kontakte“, fasst er zusammen. Den Aspekt des Zusammengehörigkeitsgefühls lässt er dabei jedoch nicht außer Acht. „Wer also jemanden kennenlernen möchte, der bzw. die ist gut beraten, sich in die Schlange zu stellen“, fügt er hinzu.
Menschen stehen stundenlang Schlange für den Abschied von der Queen
Seit Mittwochnachmittag können die Menschen in Großbritannien Abschied von der gestorbenen Queen Elizabeth II. nehmen.
© Quelle: dpa
Die Gründe der Menschen, sich den Strapazen des stundenlangen Wartens aussetzen, um einen kurzen Blick auf den Sarg der Königin erhaschen zu dürfen, mögen vor allem eines sein: individuell. „Ich möchte es nicht kleinreden, aber der Grund, an diesem Abschied teilzunehmen, ist nicht die emotionale Nähe zu der Königin“, konstatiert Kaiser.
Gemäß seiner Einschätzung gehe es den Menschen hierbei vielmehr um eine „gewisse Vertrautheit zu dieser Person“, woraus sich folgende Einschätzung des Universitätsprofessors ergibt: „Ich würde das nicht zu hochstilisieren als eine ganz persönliche und emotionale Betroffenheit. Bei der einen oder dem anderen mag diese natürlich durchaus vorhanden sein, aber ich sehe hier schon einen qualitativen Unterschied.“
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Zwischen Trauer und Skepsis: Wie geht es weiter mit der britischen Monarchie?
Ein Land im Ausnahmezustand Zwischen Trauer und Skepsis: Wie geht es weiter mit der britischen Monarchie? Um 14.22 Uhr Ortszeit wird der Sarg der verstorbenen Königin Elizabeth II. vom Buckingham Palace über The Mall zur Westminster Hall gebracht. Millionen Menschen strömen nach London, um sich von Königin Elizabeth II. zu verabschieden. Gleichzeitig steht die Regierungsarbeit still, vereinzelt wurden Monarchiegegner verhaftet. Über die Trauer, ihre Grenzen und den pragmatischen Optimismus der Briten.
Der Sarg Queen Elizabeths II. Ist noch bis Montag früh im britischen Parlament aufgebahrt und rund um die Uhr für die Öffentlichkeit zugänglich. Am Montag findet dann das Staatsbegräbnis statt.