Kampf gegen den Aberglauben: In Südafrika werden Eulen getötet, weil sie Pech bringen sollen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VPTHQGZAKJC2XKCTKLO3QTKR2Y.jpg)
Hat einen Auftrag: Eule Stinson im Johannesburger Zoo mit ihren Pflegern.
© Quelle: Markus Schönherr
Stinson hat ein herzförmiges Gesicht. Er ist 30 Zentimeter groß und trägt ein braun-weißes Federkleid. Trotzdem ist er keine gewöhnliche Schleiereule: Er ist ein Vogel mit einem Auftrag.
Im Zoo von Johannesburg soll Stinson als Botschaftereule den gefährlichen Aberglauben bekämpfen, der sich um seine Artgenossen rankt. Etliche Kulturen weltweit, so auch einige in Südafrika, verbinden Eulen mit Pech und gar Hexerei. Wo eine Eule auf dem Dach landet, dort stirbt demnächst ein Bewohner, heißt es. Dasselbe gelte für Menschen, die von einer Eule angestarrt werden oder ihren Ruf vernehmen. Uhu im Garten? Schnell ins Haus, denn die Vögel fressen mit Vorliebe Neugeborene.
Diese und andere Mythen ranken sich in Südafrika um Eulen, berichtet Tierpflegerin Tshepisho Mokgabudi. „Das hat vor allem damit zu tun, dass sie nachtaktiv sind.“ Auf ihrem Arm sitzt Stinson. Und wirkt so gar nicht bedrohlich. Nichtsdestotrotz hat ihr schlechter Ruf die Eulen immer wieder in Bedrängnis gebracht. Manche Südafrikaner töten die Tiere in der Hoffnung, das prophezeite Unheil abzuwenden.
Oft werden ganze Familien ausgelöscht als Folge kulturbedingter Ängste und Fehlwahrnehmungen. Etwa, dass es sich bei ihnen um böse Geister handelt.
Danelle Murray, Mitbegründerin des Owl Rescue Centres, über die Eulen
„In Südafrika leben zwölf Eulenarten. Zwei davon, nämlich der Fleckenuhu und die Schleiereule, kommen häufig im zugebauten, städtischen Umfeld vor“, erzählt Danelle Murray. Sie ist Mitbegründerin des Owl Rescue Centres, das sich nahe der Hauptstadt Pretoria für den Arterhalt der Vögel einsetzt. Die Nähe zum Menschen berge viele Gefahren. „Schleiereulen besiedeln oft Fabriken, Lagerhallen, Kirchen oder sogar Wohnhäuser. Während der Brutzeit droht ihnen die größte Gefahr durch Verfolgung“, weiß Murray. „Oft werden ganze Familien ausgelöscht als Folge kulturbedingter Ängste und Fehlwahrnehmungen. Etwa, dass es sich bei ihnen um böse Geister handelt.“
Angst vor Eulen in Südafrika ist wissenschaftlich dokumentiert
„Ich wuchs in dem Glauben auf, dass jene Eulen, die tagsüber fliegen, die bösen sind. Einige behaupten, wenn eine Eule vor deinem Haus schreit, musst du einen Fachmann konsultieren, um herauszufinden, was sie sagt“, erzählt eine Johannesburgerin einer Lokalzeitung. Die Angst vor Eulen in Südafrika ist wissenschaftlich dokumentiert. In einer Umfrage über Eulenaberglaube am afrikanischen Kontinent fand der finnische Naturforscher Heimo Mikkola heraus, dass etwa 61 Prozent Eulen als „schlechtes Omen“ empfinden. Jeder Dritte hatte einen Freund oder Verwandten, der deshalb bereits eine Eule tötete.
Dabei sind die Räuber eigentlich nützlich, in Kapstadts reichen Vororten genauso wie in den Townships von Johannesburg. Sie jagen Skorpione, Spinnen und andere Hauseindringlinge. So schafft es eine Schleiereulenfamilie, 2500 bis 3000 Nagetiere pro Jahr zu verdrücken. Auch die Johannesburger Stadtverwaltung hat ihren Nutzen erkannt und vor etwa zehn Jahren mehrere Schleiereulen im Slum Alexandra angesiedelt. Das Projekt hatte zwei Ziele: Einerseits sollte das Rattenproblem in der Wellblechhütten-Siedlung gelöst, andererseits der Respekt vor den Tieren gestärkt werden.
Eulenprojekt endete in Desaster
Und es endete in einem Desaster. Zumindest, wenn man Medienberichten glaubt, wonach Bewohner die Vögel „köpften“ und „verstümmelten“. Einige der Eulen seien verletzt zu Tierärzten gebracht worden; Tierschützer appellierten an die Behörden, zu ihrem eigenen Schutz keine Vögel mehr anzusiedeln. Als gescheitert wollten die Verantwortlichen ihr Projekt dennoch nicht abstempeln. Wenn es Überfälle auf Eulen gab, soll es sich um unglückliche Einzelfälle gehandelt haben.
Der Aberglaube, gegen den Eule Stinson kämpft, hält sich hartnäckig. Gemeinsam mit seinen Pflegern wandert er bis zu einer Stunde täglich durch den Johannesburger Zoo. Besucher und Besucherinnen können mit ihm interagieren. Vorurteile und Ängste sollen ausgemerzt werden. „Wir sprechen auch zu Schulklassen. Denn lustigerweise sind es oft die eigenen Kinder, denen Erwachsene mehr Glauben schenken als uns Tierpflegern“, so Mokgabudi.
Ökologe plädiert für einen kultursensiblen Ansatz
Der südafrikanische Ökologe Matthew Zylstra beschäftigt sich mit der Folklore rund um Eulen, meint aber: „Ich bin nicht überzeugt, dass die Mythen an sich eingedämmt werden sollten.“ Dringender als je zuvor brauche die Natur „starke Geschichten und gefühlsbetonte Aufrufe“, um die Zerstörung durch den Menschen zu stoppen. Statt den Aberglauben durch einen westlich-wissenschaftlichen Weltblick zu ersetzen, plädiert Zylstra deshalb für einen kultursensiblen Ansatz: ein Gespräch auf Augenhöhe. „Dazu zählen Fragen, die zu einer anderen Interpretation des Glaubens einladen, wie etwa: ‚Ist die Eule verantwortlich für dein Unglück oder einfach nur eine Warnung für das Pech, das dich befallen könnte?‘“
Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter