Kriminalfall in Hessen

Doppelmörder von Babenhausen kämpft um Freilassung – ein Zivilprozess soll helfen

Ein Schild weist auf den Eingang des Landgerichts Darmstadt hin, wo der 52-Jährige beklagt wird.

Ein Schild weist auf den Eingang des Landgerichts Darmstadt hin, wo der 52-Jährige beklagt wird.

Darmstadt. Am 9. März beginnt vor dem Landgericht Darmstadt (Hessen) ein nicht alltäglicher Zivilprozess: Ein wegen zweifachen Mordes verurteilter Mann (52) soll Schmerzensgeld an eine geistig behinderte Frau zahlen. Er hatte 2009 im südhessischen Babenhausen deren Eltern erschossen und die Frau lebensbedrohlich verletzt. Für den verurteilten Andreas D. ist der Prozess dennoch ein Hoffnungsschimmer, denn er bestreitet die Tat. Glaubt das die Zivilkammer, könnte das für D. ein Schritt Richtung Freiheit sein.

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Der Täter muss die Gewohnheiten seiner Opfer genau gekannt haben. Etwa, dass Klaus T., Immobilienmakler aus dem südhessischen Babenhausen, täglich in aller Frühe den Müll raustrug und dazu die hintere Treppe aus dem Souterrain heraus nutzte. Auch das Innere des Reihenhauses, in dem T. mit seiner Frau und der geistig behinderten Tochter lebte, war dem Täter nicht fremd. Er wusste, wie die Räumlichkeiten aufgebaut sind, wo sich das Elternschlafzimmer befindet und wo das Zimmer der erwachsenen Tochter im Dachgeschoss.

Dem Opfer in aller Früh aufgelauert

All das nutzt er aus, als er am 17. April 2009 gegen vier Uhr morgens Klaus T. an der Hintertür auflauert. Mit sechs Schüssen richtet er den 62-Jährigen an der Kellertreppe geradezu hin. Nach den ersten Treffern lebt T. noch, röchelt, atmet Blut aus. Doch der letzte Schuss trifft ihn aus nächster Nähe in den Hals. Der Täter habe sichergehen wollen, dass sein Opfer tot ist, heißt es später vor Gericht. Dann steigt der Täter zügig über die Blutlache hinweg die Treppe zum ersten Stock hinauf, schießt zweimal auf die schlafende Petra T. (58) und tötet sie mit einem Kopftreffer. Zuletzt geht er in das Zimmer der Tochter. Auch auf die ebenfalls schlafende, behinderte 37-Jährige schießt er zweimal. Eine Kugel pulverisiert ihr den Unterkiefer. Doch die Frau überlebt.

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Zwei Jahre später, am 19. Juli 2011, wird ein Nachbar der Familie für die kaltblütigen Taten verurteilt: Andreas D., dreifacher Vater. Er soll Petra und Klaus T. aus dem angrenzenden Reihenhaus erschossen haben, weil sie Tag und Nacht lärmten, Türen knallten, stritten und die Frauen laute Schreie ausstießen. D. habe endlich Ruhe finden wollen und seine unmittelbaren Nachbarn deswegen „ausgelöscht“, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung. Zu der lebenslangen Haft stellt es außerdem die besondere Schwere der Schuld fest: D. kann nicht nach frühestens 15 Jahren seine Entlassung beantragen.

Angeklagter schwieg 2011 vor Gericht

Der Angeklagte schwieg vor Gericht, ebenso wie seine Frau. Doch er bestreitet die Tat und kämpft mit Frau und Freunden, die einen Verein zur Unterstützung gründeten, für seine Freilassung. Bislang erfolglos. Der Bundesgerichtshof lehnte die gegen das Urteil eingelegte Revision 2012 ab. 2019 scheiterte ein Wiederaufnahmeverfahren. Die von seinem Verteidiger vorgelegten neuen Beweise, die ein solches Verfahren rechtfertigen, seien genau das nicht gewesen: neue Beweise, so das zuständige Landgericht Kassel. Eine gegen diesen Entscheid eingelegte Beschwerde wurde ebenfalls verworfen. 2020 nahm das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde erst gar nicht an.

Nun aber steht das Zivilverfahren bevor. Ein anderes Gericht als 2011 muss dazu die Schuld von Andreas D. erneut feststellen. Könnte das die Wende bringen? Das Land Hessen als Vormund der überlebenden Tochter möchte in diesem Verfahren unter anderem Schmerzensgeld für die Frau erstreiten. Dazu wird vor der Zivilkammer verhandelt.

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Strafverfahren und Zivilverfahren voneinander getrennt

In Deutschland sind Strafverfahren, bei denen der Staat seinen Strafverfolgungsanspruch durchsetzt, und Zivilverfahren, bei denen sich Privatpersonen gegenüberstehen und der Staat nicht beteiligt ist, voneinander getrennt. Deswegen muss das Zivilgericht erneut feststellen, ob D. die Tat begangen hat. Zwar kann das Urteil aus 2011 dazu herangezogen werden. Der Beklagte, wie D. nun bezeichnet wird, kann jedoch beantragen, dass etwa eigene Gutachten in das Verfahren eingebracht oder Zeugen geladen werden, um sich gegen die Klage zu wehren. Und die Zivilkammer kann zu einem anderen Schluss kommen als das Strafgericht, sie ist an dessen Entscheidung nicht gebunden.

Sollte das eintreten, bedeutet das für D. zwar nicht die sofortige Freiheit – das Urteil aus dem Strafverfahren bleibt gültig. Er könnte jedoch erneut einen Wiederaufnahmeantrag stellen oder die Staatsanwaltschaft „von Amts wegen“ entlastend tätig werden.

Zahlreiche Indizien führten zum Urteil

Die Schwurgerichtskammer kam 2011 anhand zahlreicher Indizien zu ihrem Urteil. Diese fügten sich derart zusammen, „dass sie in der Gesamtschau ein klares Bild ergeben haben“, erläutert Robert Hartmann, Sprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt. So wurden etwa auf den Leichen Bauschaumpartikel gefunden. Diese stammten laut Ermittlungen aus einem selbst gebauten Schalldämpfer. Der Schütze habe eine Plastikflasche mit Bauschaum gefüllt und am Lauf der Waffe – eine bis heute verschwundene Walther P38 – befestigt.

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Die Bauanleitung für einen solchen Schalldämpfer wurde von einem Computer aus der Firma abgerufen, in der D. arbeitete. Der Computer wurde kurz darauf zerstört. D. hatte ein Motiv und sich wiederholt bei Kollegen über den „zermürbenden Lärm“ aus der Nachbarschaft beschwert, so Hartmann. Er wusste um die Eigenheiten seiner Opfer und kannte sich im Haus aus. Unter anderem an einer Bundeswehrhose von D. wurden die gleichen Schmauchspuren wie am Tatort gefunden.

Spuren an Kleidung

Zwar waren die Spuren an der Kleidung so gering, dass die Ermittler sich sicher waren, dass D. sie nicht bei der Tat trug. Sie sei jedoch bei vorherigen Schießübungen oder beim Entsorgen der Tatkleidung – vermutlich ein Ganzkörperoverall aus dem Baumarkt – kontaminiert worden. Auch habe der Verurteilte im Internet zunächst recherchiert, ob psychisch kranke Nachbarn wegen Lärms zum Auszug gezwungen werden könnten und später Begriffe wie Mantrailer-Hunde und DNA-Spuren aufgerufen. Und er hatte bereits Kontakt zu einem Rechtsanwalt gesucht, als er noch nicht als Verdächtiger galt. Ferner habe sich D. immer wieder auffällig bei der Polizei nach Ermittlungsdetails informiert. Ebenfalls ungewöhnlich sei gewesen, dass die Ehefrau am Tatwochenende kurzfristig mit den Kindern verreist war. Und das war noch nicht alles.

Der aktuelle Verteidiger D.’s zweifelt vor allem die Beweiskraft des Bauschaum-Schalldämpfers an. Dieser hätte keinen Lärm verhindert, habe ein von ihm beauftragter Experte festgestellt. Auch habe mit jedem Schuss mehr Bauschaum austreten müssen und nicht weniger, wie das Gericht anhand seines Gutachtens angenommen hatte. Auf der Leiche von Klaus T. seien jedoch die meisten Partikel gefunden worden. Zudem sei der Administrator der Firma, in der D. arbeitete, als Waffennarr bekannt gewesen. Auch er hätte die Anleitung aufrufen können, führen die Unterstützer D.’s an. Dafür habe es aber im Prozess ebenso wenig Anhaltspunkte gegeben wie für angebliche Schulden von Klaus T. bei Mitgliedern aus dem „Rockermilieu“, so Hartmann. Das aber hatten die Verteidiger 2011 als mögliches Mordmotiv anderer Personen angeführt.

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Zum Prozesstermin am 9. März werden diese Punkte sicher nicht besprochen. Auch das Erscheinen von Andreas D. ist nicht angeordnet. Vielmehr dürfte ein weiterer Termin anberaumt werden.

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