Der Tod des Vaters
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Lara Bothe mit ihrem Vater Klaus.
© Quelle: privat
Hannover. Es wird ja nicht der letzte Geburtstag gewesen sein. Da werden noch so viele kommen, die sie gemeinsam feiern könnten. Mit diesem Gedanken trösteten sich die Bothes, als Klaus, der Vater, nun doch geschäftlich in die USA reisen musste, ausgerechnet einen Tag vor der Feier. Schließlich wurde Lara, die Tochter, gerade mal drei, an diesem 11. September 2001. Also planten sie das kleine Fest ohne ihn. Die Großeltern sollten zu Kaffee und Kuchen kommen. Ein paar Nachbarskinder waren eingeladen. Nichts Großes also.
Dass etwas nicht stimmte, darauf machte sie zuerst die Nachbarin aufmerksam. Ein Flugzeug sei in einen der Türme des World Trade Centers geflogen, sie sollten mal die Nachrichten verfolgen. So sahen sie, wie eine Viertelstunde später das zweite Flugzeug in den anderen Turm flog.
Zunächst weiß niemand Genaues
Die Nachbarin, erzählt Lara Bothe, bot dann auch spontan an, den Kindergeburtstag bei sich auszurichten. Eine Vorsichtsmaßnahme, sagt sie. Weil ja noch niemand Genaues wusste. Erst später kam dann der Anruf der Firma: Ja, Klaus Bothe habe auf der Passagierliste gestanden. Aber vielleicht sei er nicht eingestiegen, diese Möglichkeit bestehe noch, hieß es.
Bis auch für diese vage Hoffnung immer weniger Raum blieb. Lara Bothe ist heute 23 Jahre alt, an jenen Tag hat sie keine Erinnerung. Wie er ablief, weiß sie selbst nur aus Erzählungen – und was mit ihrem Vater geschehen war, sagte man ihr erst zwei Tage später. „Ich sollte erst noch einen normalen ersten Kindergartentag erleben“, sagt sie. Ein letzter normaler Tag, bevor sich die Normalität für sie völlig verändern würde.
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Am 11. September 2001 wurde Lara Bothe drei Jahre alt – jetzt ist sie 23.
© Quelle: Lara Bothe
Klaus Bothe war mit seinen 31 Jahren Entwicklungschef der Softwarefirma BCT aus Willstätt in Baden-Württemberg, er hatte früh Karriere gemacht. Reisen musste er oft. Am Morgen des 11. September 2001 war er mit seinen Vorstandskollegen Heinrich Kimmig, 43, und Wolfgang Menzel, 59, in Boston in jene Boeing 767-200 gestiegen, die sie als Flug United Airlines 175 nach Los Angeles bringen sollte. Doch schon kurz nach dem Start änderte die Maschine den Kurs. Der 23-jährige Attentäter Marwan al-Shehhi steuerte die Boeing Richtung New York. Um 15.03 Uhr schlug Flug United Airlines 175 zwischen der 77. und der 85. Etage mit einer Geschwindigkeit von 943 Kilometern pro Stunde im Südturm des World Trade Centers ein.
Klaus Bothe saß mit seinen Kollegen hinten, am Heck der Maschine. 65 Menschen waren an Bord der Boeing, keiner von ihnen überlebte. Das Einzige, was Helfer im Schutt der zusammengestürzten Türme später von ihm fanden, waren zwei Knochen, die sie der Familie in einem Zinksarg nach Deutschland brachten.
„Wir hatten viel Unterstützung“
Woran Lara Bothe sich sehr genau erinnert, ist die Hilfe, die ihre Familie in den Monaten und Jahren danach von Freunden, Arbeitskollegen und auch dem Unternehmen erfuhr, für das ihr Vater tätig gewesen war. Da waren die Nachbarn, die ihnen Essen brachten, Freunde, die ihnen Formalitäten abnahmen.
Andere, die für Gespräche da waren. Es gab andere Angehörige deutscher Opfer, die sich nach den Anschlägen von den Behörden im Stich gelassen fühlten und sich bitter beklagten. Den Bothes ging es, vor allem dank der privaten Hilfe, anders: „Wir hatten sehr viel Unterstützung“, sagt Lara Bothe heute, „so, dass wir uns wirklich auf unsere Gefühle konzentrieren konnten.“ Der Tod hat ihr Leben beeinflusst, aber bestimmen sollte er es nicht, das war ihr Ziel. Ihren Geburtstag, der zugleich der Todestag ihres Vaters ist, hat sie trotzdem immer gefeiert – nur die Stunde seines Todes haben sie ausgespart.
Ein Projekt, das Hilfe bieten soll
Die Erfahrung, dass die, bei aller Trauer, geglückte Verarbeitung des frühen Verlusts eines Elternteils möglich ist, würde sie nun auch anderen gern ermöglichen, die in derselben Situation sind wie sie vor 20 Jahren – und hat deshalb zusammen mit Familienangehörigen und auch Freunden ihres Vaters im vergangenen Jahr den Verein Helping Hands gegründet.
Das Projekt steht auch coronabedingt noch am Anfang, eine Benefizveranstaltung ist den schwierigen Bedingungen für Veranstaltungen zum Opfer gefallen. An Ideen und auch ersten Partnern fehlt es allerdings nicht: Der Verein soll Familien nach dem Tod eines Elternteils Auszeiten und Einkehr ermöglichen, Stress nehmen, psychologische Hilfe vermitteln oder auch finanzielle Hilfe bieten. „Ich möchte“, sagt sie, „etwas von dem weitergeben, was wir selbst erfahren haben – und was uns geholfen hat.“
Keine Feier in diesem Jahr
Bei allem Positiven, das zu ihrer Geschichte inzwischen gehört: In diesem Jahr sieht sie dem 11. September mit besonders gemischten Gefühlen entgegen. Die schwierigsten Momente, sagt sie, seien jene, „in denen sie mich unvorbereitet treffen, in denen ich mich nicht gegen sie wappnen kann“.
Ihren Geburtstag wird sie an diesem Tag ausnahmsweise nicht feiern.