Der mysteriöse Fall Maddie McCann – Chronik einer Tragödie
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Die damals dreijährige Madeleine McCann war im Mai 2007 aus einer Appartementanlage in Portugal verschwunden. Die Ermittler vermuten mittlerweile, dass ein 43-jähriger Deutscher das Mädchen entführte und umbrachte.
© Quelle: picture alliance / empics
In der Nacht des 3. Mai 2007, kurz vor ihrem vierten Geburtstag, verschwindet die dreijährige Madeleine „Maddie“ McCann aus einer Ferienanlage in Portugal. Hier hatte sie mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern Urlaub gemacht. Die McCanns, ein Ärztepaar aus Leicester, starten eine internationale Suchkampagne, Hunderte Ermittlerinnen und Ermittler aus Portugal und Großbritannien nehmen ihre Arbeit auf – jedoch ohne Erfolg. Seitdem ist sie verschwunden. Deutsche Ermittler gehen davon aus, dass das Mädchen, das heute 18 Jahre alt wäre, tot ist. Für die britische Polizei gilt sie noch immer als vermisst. Die Geschehnisse im Detail:
2007: Die Tragödie beginnt
Am Abend des 3. Mai essen die Eltern mit drei befreundeten Paaren und einer begleitenden Mutter in einem Restaurant der Ferienanlage. Tochter Madeleine und die zweijährigen Zwillinge der McCanns schlafen zu diesem Zeitpunkt bereits – genauso wie die Kinder der anderen Paare. Alle halbe Stunde schauen die Eltern nach ihnen, das vierte Paar verwendet ein Babyfon.
Um 22 Uhr bemerkt Kate McCann das Verschwinden ihrer Tochter. Ein Fenster des Appartements, das zuvor geschlossen gewesen sei, sei nun unverschlossen gewesen. Mit diesen Angaben informiert sie die portugiesische Polizei. Kurz darauf durchsuchen Hunderte Polizeibeamte die Ferienanlage, Flughäfen werden alarmiert. Die Polizei geht zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass die Dreijährige entführt wurde, etwa für einen internationalen Pädophilenring oder für eine kriminelle Organisation, die Kinder zur Adoption ins Ausland verkauft.
Einen Tag später, am 4. Mai 2007, suchen die Eltern, Kate und Gerry McCann, den Weg in die Öffentlichkeit. Im britischen Fernsehen bitten sie die mutmaßlichen Entführer, ihre Tochter freizulassen, und die Bevölkerung, die Suche nach ihr zu unterstützen.
25 Tage nach Maddies Verschwinden mieten Kate und Gerry McCann ein Auto an der portugiesischen Algarve-Küste. Später berichten Medien, die portugiesische Polizei habe Blutspuren des Mädchens in dem Wagen gefunden, was darauf hindeute, dass seine Leiche im Kofferraum gelegen habe. Laut britischen Medien stimmten die entdeckten Blutspuren zu 100 Prozent mit Maddies DNA überein. Genaue Quellen für die Behauptungen nennen sie jedoch nicht.
Eltern geraten ins Visier der Ermittler
Der Direktor der Kriminalpolizei in Lissabon, Alípio Ribeiro, sagt dagegen im staatlichen Fernsehen RTP: „Nach den vorliegenden Laboranalysen kann man nicht mit absoluter Sicherheit sagen, von welcher Person das Blut stammt.“ Und weiter: „Es wäre spekulativ zu behaupten, dass sich Madeleines Leiche in dem Leihwagen befand.“
Vier Monate nach Maddies Verschwinden, im September, kehren die Eltern mit Billigung der Behörden Portugals nach Großbritannien zurück. In Portugal gelten diese mittlerweile als Verdächtige. Medien berichten, die Polizei gehe davon aus, dass Maddie bei einem Unfall gestorben sei – die Eltern hätten die Leiche verschwinden lassen, um den Unfall zu vertuschen. Der damalige Kripochef heißt Goncalo Amaral.
Die Rolle des umstrittenen Ex-Chefermittlers
Einen Monat später, im Oktober, wird Amaral gefeuert. Er hatte seine britischen Kollegen für die Aufrechterhaltung der Entführungstheorie kritisiert. Später wird er ein Buch über seine These schreiben. Im September 2021 sagt er in einem „Bild“-Interview:
Ich habe bis heute keine Zweifel, dass eine Entführung nur simuliert wurde. Die Anzeichen dafür: ein Fenster, von dem niemand sicher sagen konnte, ob es offen oder geschlossen war. Man hat uns erzählt, dass der angebliche Entführer dort hinein- und hinausgeklettert ist. Es gab Fingerabdrücke der Mutter, die zeigten, dass sie das Fenster geöffnet hat. Es waren die einzigen, die gefunden wurden.
Ex-Chefermittler Goncalo Amaral
2008: Ermittlungen werden eingestellt
Amarals Nachfolger ist Alípio Ribeiro. Nur sieben Monate nach seinem Amtsantritt, im Mai 2008, gibt er seinen Posten allerdings schon wieder ab, weil er die pausenlose Berichterstattung über den Fall leid ist.
Im Juli, 14 Monate nach Maddies Verschwinden, stellt die portugiesische Polizei die Ermittlungen ein. Der Grund: Für ein Verbrechen gebe es keine Beweise. Ex-Ermittlungschef Alípio Ribeiro kritisierte die Einstellung als „voreilig“. „Der Fall eines verschwundenen Kindes kann nicht so kurze Zeit nach dem Drama aus Mangel an Beweisen zu den Akten gelegt werden“, schrieb Riberio in der Tageszeitung „Diario Economico“.
Die Tageszeitung „Jornal de Noticias“ berichtet, im Abschlussbericht der Ermittler würden nur die Fakten beschrieben und keine Erklärungen für das Verschwinden des Mädchens geliefert. „Die Polizei hat keine Schuldigen gefunden“, heißt es dort. Die Staatsanwaltschaft soll dem Bericht zufolge bereits Ende Mai eine Nachstellung der Ereignisse am Abend von Maddies Verschwinden abgelehnt haben.
Ebenfalls im Juli veröffentlicht Ex-Chefermittler Amaral sein Buch „Die Wahrheit der Lüge“. Darin behauptet er, die Entführung sei erfunden. Das Buch wird sich in der Folge tausendfach verkaufen und Amaral viel Geld bescheren.
2009: Private Ermittlungen
Im Januar macht sich ein Team ehemaliger Fahnder von Scotland Yard nach britischen Medienberichten im Auftrag der Eltern auf die Suche nach Madeleine. Ein Geschäftsmann finanziert die Aktion.
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Kate und Gerry McCann zeigen während einer Pressekonferenz ein Bild ihrer verschwundenen Tochter Madeleine (Maddie).
© Quelle: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dp
Kate und Gerry McCann unternehmen weiterhin jegliche Anstrengung, um ihre Tochter zu finden – in verschiedenen Ländern. Im Mai flehen sie die möglichen Entführer erneut an, ihre Tochter freizulassen. Sie nutzen dazu ein Gespräch mit US-Talkmasterin Oprah Winfrey, das Millionen Zuschauer sehen.
2011: Rechtsstreit um umstrittenes Buch
Im März protestieren Madeleines Eltern vergeblich gegen den Verkauf des Buches von Ex-Chefermittler Amaral. Dieser beharrt weiterhin auf seiner These, das Kind sei bereits im Hotel der Familie gestorben und nicht entführt worden. Kate und Gerry McCann ziehen daraufhin vor Gericht. Für das Buch mit dem Titel „Die Wahrheit der Lüge“ verklagen sie den Ex-Polizisten wegen Verleumdung. Später verurteilte ein portugiesisches Gericht Amaral zu einer halben Million Euro Schadensersatz. Das Urteil wird anschließend im Berufungsverfahren aufgehoben und die Aufhebung vom Obersten Gericht bestätigt.
Im Mai veröffentlicht die Mutter Kate McCann ein Buch mit ihrer Version der Geschichte.
Britische Polizei nimmt Ermittlungen wieder auf
Auf Druck der Eltern und des damaligen britischen Premierministers David Cameron nimmt die britische Polizei die Ermittlungen wieder auf. Im Dezember reisen britische Ermittler nach Spanien und Portugal. Die Fahnder machen Druck auf ihre portugiesischen Kollegen. Sie fordern sie auf, die Ermittlungen in dem Fall erneut aufzunehmen. Eine Sichtung des Beweismaterials habe 195 Ermittlungsmöglichkeiten ergeben, berichtet Scotland Yard.
Auf der Reise überreichen spanische Privatermittler den britischen Beamten umfassendes Informationsmaterial. Darunter seien mehrere „sehr wichtige Anhaltspunkte“, heißt es. Die Familie McCann hatte die spanischen Privatermittler bei der Suche nach Maddie eingeschaltet. Kurze Zeit später kehren die Briten mit 30 Kartons zurück nach Großbritannien. Auch die Privatermittler kritisieren nun die portugiesischen Behörden. Diese hätten sich stets geweigert, die nun von der britischen Polizei als wichtig eingestuften Informationen zu berücksichtigen.m
April 2012: Neue Hoffnungen
Plötzlich gibt es Hoffnung: Eine Auswertung der neuen Hinweise habe ergeben, dass Maddie möglicherweise noch am Leben ist, verkündet die britische Polizei. Es gebe Anhaltspunkte für Ermittlungslücken. Ein neues Fahndungsfoto soll die Suche vorantreiben. Das Bild simuliert, wie das seit nunmehr fünf Jahren vermisste Mädchen heute aussehen könnte.
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Oktober 2013: Neue Ermittlungen
Nun nehmen auch die portugiesischen Behörden die Ermittlungen wegen neuer Indizien wieder auf. Die Ermittler gehen laut einem Bericht der portugiesischen Zeitung „Correio da Manha“ nun der These nach, dass ein Pädophilennetzwerk eine Entführung des Mädchens organisiert habe.
Juni 2014: Suchaktion und Ernüchterung
Die britischen Ermittler rücken mit Spürhunden, Bodenradar und Schaufeln in dem portugiesischen Küstenort an und durchkämmen drei Wiesen- und Trümmergrundstücke in Praia da Luz. Insgesamt 60.000 Quadratmeter werden abgesucht, berichteten sie, auch Abwasserkanäle und verfallene Gebäude.
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Britische Polizisten suchen im portugiesischen Praia da Luz nach der zu diesem Zeitpunkt seit sieben Jahren vermissten Madeleine.
© Quelle: Luís Forra/LUSA/dpa
Der aufsehenerregende Polizeieinsatz provoziert den Protest von Einheimischen. Sie befürchten, die Suchaktion könne Touristen verschrecken. „Die Zeit könnte nicht schlechter sein“, kritisiert Bürgermeister Victor Mata. Die Leute seien nicht gegen die Suche. Aber nachdem das Mädchen schon sieben Jahre verschwunden sei, hätten die Ermittler auch ein ein paar Monate später anfangen können, wenn die Urlaubssaison vorbei sei. Die neue Suche nach Spuren des verschwundenen Mädchens bringt keine Hinweise.
April 2017: Die Suche geht weiter
Die britische Polizei hat die Hoffnung auf eine Lösung des Falls nicht aufgegeben. Vier Beamte seien weiter damit befasst, teilt Scotland Yard mit. Kate und Gerry McCann sagen in einem Interview mit der BBC, sie würden weiterhin alles tun, um ihre Tochter zu finden.
März 2018: Mehr Geld
Das britische Innenministerium bewilligt weiteres Geld für die Ermittlungen.
März 2019: Kritik an Netflix-Serie
Am 15. März erscheint die Netflix-Dokumentation „The Disappearance of Madeleine McCann“ („Das Verschwinden von Madeleine McCann“). Die achtteilige Reihe spekuliert mit den verschiedensten Theorien, was in der Nacht vom 3. Mai 2007 wirklich passierte. Darin wird unter anderem die Theorie behandelt, Maddies Eltern hätten ihre Tochter aus Versehen mit einer Überdosis Calpol getötet, einem Schmerzmittel für Kinder, das den Wirkstoff Paracetamol enthält. Diese Theorie, die die portugiesische Polizei angeblich verfolgt habe, erwies sich als haltlos.
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Kate und Gerry McCann wirken bei der Serie nicht mit. Das Ehepaar sieht sich daraufhin Anfeindungen ausgesetzt. Sie beschuldigen im Gegenzug die Macher der Dokumentation, die Ermittlungen mit ihrer Serie zu behindern.
3. Juni 2020: Der Verdächtige
Der Fall Maddie ist – wie schon früher – Thema in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“. Darin gibt das Bundeskriminalamt bekannt, dass ein 43-jähriger deutscher Sexualstraftäter als Verdächtiger identifiziert wurde. Gegen den Mann, der 2007 an der Algarve lebte, laufen Mordermittlungen.
Es geht um Christian B., der von 1995 bis 2007 regelmäßig an der Algarve lebte, auch in einem Haus zwischen Lagos und Praia da Luz. Er habe Gelegenheitsjobs verrichtet, unter anderem in der Gastronomie, und seinen Lebensunterhalt außerdem durch Einbrüche in Hotelanlagen und Ferienwohnungen sowie Drogenhandel bestritten.
Juli 2020: Durchsuchungen in Hannover
In Seelze bei Hannover finden auf einem Grundstück umfangreiche Grabungen der Polizei statt. Laut Bundeskriminalamt habe B. zwischen 2010 und 2011 in Hannover gelebt und gearbeitet. Die Leiche des Kindes wird nicht gefunden. Gesucht werden dort im Auftrag der Staatsanwaltschaft Braunschweig außerdem Speichermedien mit Kinderpornos.
September 2021: Kate McCann arbeitet wieder als Ärztin
Die britische „Sun“ berichtet, dass Kate McCann ihre Arbeit als Ärztin in verschiedenen Krankenhäusern in Leicester wieder aufnimmt. Sie wolle in ihrem Beruf anderen in der schwierigen Zeit der Corona-Pandemie helfen, berichtet die Zeitung.
Kate McCann hatte ihren Job als Allgemeinmedizinerin 2007 gekündigt, nachdem ihre Tochter verschwunden war. Seitdem hatte sie für verschiedene wohltätige Organisationen gearbeitet und sich für Kinder in Not eingesetzt. Auch Kates Mann Gerry McCann ist Arzt an verschiedenen Krankenhäusern in Leicester.
April 2022: Portugals Ermittler führen Christian B. als Verdächtigen
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Portugiesische Ermittler führen Christian B., der sich in Oldenburg wegen der Vergewaltigung einer 72-Jährigen in Haft befindet, nun offiziell als Beschuldigten. Angeklagt ist er jedoch nicht. In Portugal verjährt Mord nach 15 Jahren, also möglicherweise in wenigen Tagen. Die Anschuldigungen der portugiesischen Behörde haben also hauptsächlich symbolischen Charakter.
Friedrich Fülscher, der Kieler Rechtsanwalt von Christian B., sieht der Nachricht aus Portugal dementsprechend gelassen entgegen. „Für uns ist das völlig ohne Belang“, sagt er der „Süddeutschen Zeitung“. „Für uns spielt das überhaupt keine Rolle.“
15 Jahre nach dem Verschwinden von Madeleine McCann in Portugal geben deutsche Ermittler wenig Hoffnung auf eine schnelle Klärung des Schicksals des Mädchens. „Die Ermittlungen werden noch geraume Zeit in Anspruch nehmen“, sagte Hans Christian Wolters von der Staatsanwaltschaft Braunschweig der Deutschen Presse-Agentur. Ein Ende der Untersuchungen sei derzeit nicht absehbar.
mit Material von dpa