Der Fall Cleo: Warum der Fund des Mädchens so unwahrscheinlich war
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/XGAULGISNJA4TA3XRK2YAWLLK4.jpg)
Ein Kuscheltier liegt auf dem Boden (Symbolbild).
© Quelle: imago/Waldmüller
„Sprachlos“ sind die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten gewesen, als sie wirklich die vermisste vierjährige Cleo in dem Haus ihres mutmaßlichen Entführers unweit ihres Elternhauses wiederfanden. 18 Tage lang suchte die Polizei nach dem Mädchen und konnte es mithilfe akribischer Ermittlungsarbeit finden. So etwas komme „nur sehr selten“ vor, meinte Col Blanch, leitender Polizeibeamter in Westaustralien, in einem Radiointerview. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass Kinder nach solch einer Zeitspanne wiedergefunden werden?
In Deutschland gelten Kinder bis einschließlich 13 Jahren als vermisst, sobald diese „ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthalt (dem Sorgeberechtigten) unbekannt ist“, wie es auf der Seite des Bundeskriminalamtes (BKA) heißt.
Bei geringem Prozentsatz keine Gewissheit
So wurden im Jahr 2020 insgesamt 14.614 Kinder in polizeilichen Datenbanken als vermisst registriert. Von diesen Fällen konnten 14.223 aufgeklärt werden, was einer Quote von 97,3 Prozent entspricht. Ähnlich verhält es sich in den Jahren 2019 (97,2 Prozent) und 2018 (96,5 Prozent). Bei den nicht aufgeklärten Fällen kann es sich laut BKA auch um „Fälle von Kindesentziehung und Fälle sogenannter unbegleiteter Flüchtlingskinder, die aus ihren Unterbringungseinrichtungen abgängig sind“, handeln. Ebenfalls zählen sogenannte Dauerausreißer – Kinder, die wiederholt weglaufen – dazu. Allerdings sei bei dem verbleibenden Teil der vermissten Kinder zu befürchten, dass sie Opfer einer Straftat oder eines Unglücks wurden – und sich entweder in einer hilflosen Situation befinden oder nicht mehr am Leben sind. Dies sei jedoch nur ein „sehr geringer“ Teil, wie das BKA schreibt.
Der Kriminologe und ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, erklärt gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Es gibt wenige erfreuliche Geschichten wie die aus Australien, bei denen nach langer Zeit doch noch Klarheit herrscht.“ Ein hoher Prozentsatz der Fälle werde in der ersten Woche aufgeklärt. Das liege auch daran, dass viele Kinder nicht entführt würden, sondern wegliefen, so Pfeiffer. Der Kriminologe hat bereits mehrfach Familien bei Vermisstenfällen beraten und unterstützt.
Ab der zweiten Woche sinken die Chancen
Laut Pfeiffer sinken die Chancen, ein Kind wiederzufinden, ab der zweiten Woche „erheblich“. In der vierten Woche schließe die Polizei die Akte meist sogar. „Sie hat keine Informationen, die zu einer Lösung führen können, und gibt irgendwann auf.“ Dies habe sich innerhalb von 42 Jahren Berufserfahrung nicht verändert, erklärt Pfeiffer gegenüber dem RND. „Die Polizei ist in vielen Fällen in der schwachen Position, dass sie ohne Leiche keine Ermittlungsgruppe gründen kann – außer es gibt ganz klare Hinweise auf eine Entführung“, erklärt der Kriminologe.
Auch Videoüberwachung sei kein Garant für eine höhere Aufklärungsquote: „In manchen Fällen geben Bilder von Videoüberwachungen Hinweise. Doch heißt es nicht, dass eine vollkommene Überwachung, wie im Roman ‚1984‘, zu einer höheren Aufklärungsquote führt“, erklärt Pfeiffer. In Großbritannien gebe es zum Beispiel die dichteste Videoüberwachung in Europa, doch die Aufklärungsquote sei dort nicht unbedingt höher.
Was der Verlust des Kindes mit Familien macht, hat Christian Pfeiffer selbst miterlebt. „Das ist eine Wunde, die einfach bleibt. Der Schatten ist nicht weggegangen. Und auch, wenn man sich später wiedersieht, merkt man, dass die Lebensfreude in den meisten Fällen nicht zurückgekehrt ist.“ Auch wenn es grauenvoll erscheine, könne der Fund einer Leiche wenigstens manchmal ein Abschließen ermöglichen.