„Der Ausweis ist bei der Kontrolle vorzuzeigen“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/RA52CZZNEJBOXGAC7LHSUONAWE.jpg)
Julian Reichelt sprach am vergangenen Donnerstag auf einer Maklermesse in München.
© Quelle: Getty Images
Man kann sich die Szene aus dem ICE 533 einfach zu gut ausmalen: Der Protagonist sitzt in einem der schicken Ledersitze der ersten Klasse, wie so häufig hat er vielleicht den ersten Hemdknopf geöffnet, ein paar krause Brusthaare gucken heraus. Er ist müde an diesem Freitagmorgen, hat das Ticket erst spät um 1:07 Uhr gebucht, Abfahrt um 7.15 Uhr in Bremen, um nach Berlin zu kommen. „Supersparpreis“ für 133,90 Euro – so steht es auf der später von ihm veröffentlichten Fahrkarte.
Es kommt zur Ticketkontrolle. Ob er zusätzlich einen Ausweis vorzeigen könne, fragt die Schaffnerin den Fahrgast. Das kann – oder will dieser offenbar nicht; stattdessen, so berichten es Augenzeugen, schimpft er lautstark auf die Deutsche Bahn. Das Personal, empört sich der Fahrgast mehrmals, müsse ihn doch kennen – schließlich sei er einer der bekanntestes Journalisten Deutschlands.
Nach Fahrtende auf die Wache
Der renitente Fahrgast heißt Julian Reichelt und ist Ex-Chefredakteur der „Bild“. Und die Geschichte aus der Bahn hat der „Spiegel“ haarklein aufgeschrieben, gleich drei Autoren trugen zu dem Stück bei.
Es wirkt wie die Fortsetzung einer Fehde zwischen Reichelt und dem Wochenmagazin, dessen Recherchen den Journalisten vor zwei Jahren den hochdekorierten Job kosteten.
Und zugleich bestätigt der mutmaßliche Wutanfall das Bild des polternden Boulevardhengsts, den Kritiker für berechnend und selbstverliebt halten. Nach Fahrtende wird Reichelt jedenfalls von der Bundespolizei abgeholt und verbringt einige Zeit auf der Wache. Das hat Reichelt inzwischen selbst bestätigt – genauso wie weitere Bestandteile der „Spiegel“-Darstellung.
Reichelt vs. „Spiegel“
Reichelt, 43, führte die Bild-Zeitung von 2017 bis 2021. Er wurde geschasst, nachdem mehrere Medien über Verhältnisse zu „Bild“-Mitarbeiterinnen berichtet hatten. Reichelt soll sich dabei seine Machtposition und das Abhängigkeitsverhältnis zunutze gemacht haben, so die Vorwürfe. „Vögeln, fördern, feuern“, schrieb der Spiegel im März 2021 und leitete so Reichelts Abstieg ein. Es folgte ein mehrmonatiger Rechtstreit, den der „Spiegel“ für sich entschied.
Kurz danach startete Reichelt seine eigene Internetshow, in der er seine rechtspopulistische Neigung hemmungslos auslebt. Im „Bild“-Manier wettert er etwa gegen „staatstreue Medien“ und „grüne Nichtskönner“. Es wirkt wie ein ständiger Kampf gegen den eigenen Bedeutungsverlust.
So ist es wenig überraschend, dass Reichelt mit nicht weniger als 20 Tweets auf die jüngste Berichterstattung des „Spiegel“ antwortet. An der Geschichte stimme „kein einziger Satz, kein einziger Fakt“. Dennoch bestätigt er beispielsweise, dass er auf der Wache seine Identität feststellen lassen musste. Er postet außerdem einen Screenshot seines Bahntickets – ausgestellt auf den Namen „Julian Reichelt“. Weil er sich eben nicht als dieser ausweisen konnte oder wollte, auch nicht nach einer wiederholten Nachfrage, wie der „Spiegel“ schreibt, kochte die Situation scheinbar hoch. Das Zugpersonal rief die Bundespolizei hinzu.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Auch sämtliche Kreditkarten helfen nicht
Am Berliner Hauptbahnhof geleiteten Beamte Reichelt zur Wache, um seine Identität festzustellen, heißt es im Artikel weiter. Auch auf dem Weg dorthin soll die Stimmung aufgeheizt gewesen sein; so filmte Reichelt die Polizisten, wie er selbst angibt für „25 Sekunden“. Zudem schreibt er, dass nach der Identitätsklärung eine Anzeige wegen „Leistungserschleichung“ aufgenommen worden sei.
Auf RND-Anfrage antwortet die Deutsche Bahn, die Pflicht, einen amtlichen Lichtbildausweis mitzuführen, sei auf jedem Onlineticket klar aufgeführt. Die angesprochene Vorschrift steht an erster Stelle unter den Nutzungshinweisen auf dem Ticket: „Nur gültig mit amtlichem Lichtbildausweis (z.B. Personalausweis). Dieser ist bei der Kontrolle vorzuzeigen“, heißt es dort. Reichelts Screenshot seiner Fahrkarte ist just vor dieser Passage abgeschnitten.
Auf Twitter gibt Reichelt an, sein Name habe auf seinem Ticket und auf seinem Führerschein gestanden – und „auf allen Kreditkarten, die ich der Schaffnerin auch noch anbot“. Doch die Bahn akzeptiert nach eigenen Angaben nur Personal- oder Reisepässe, wie Reichelt später selbst auf Twitter hinterher schiebt. Fraglich ist, warum Reichelt eben nicht einfach seinen Personalausweis vorzeigte.
Fahrgastverband erstaunt
So oder so traf Reichelt in diesem Fall wohl ein für ihn ungünstiger Zufall. Das Vorzeigen eines Ausweisdokuments bei der Ticketkontrolle sei „ungewöhnlich“, sagt ein Sprecher des Fahrgastverbands „Pro Bahn“ gegenüber dem RND. Das sei nicht der „Normalfall“ und komme so gut wie nie vor. „Vielleicht lag es auch ein bisschen an der Laune des Personals.“
Was genau auf der Fahrt vorgefallen ist, dazu wollte sich die Bahn auf Nachfrage nicht äußern. Die Frage nach den korrekten Lichtbildausweisen stelle sich in der Praxis kaum, so eine Sprecherin, da ein großer Teil der Reisenden seine Ausweisdokumente „unaufgefordert bei der Ticketkontrolle mit vorzeigt“. Die Mitarbeitenden nähmen zudem stichprobenartig Kontrollen der Ausweisdokumente vor.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Genau solch eine Stichprobe traf nun auch Julian Reichelt. In den sozialen Medien schlachtet er den Vorfall auf seine Art aus. Die eigene Unzulänglichkeit dient ihm als Beweis für einen „Staatskonzern, der zu einer Erziehungsanstalt auf Rädern geworden ist“. In der Vergangenheit pöbelte Reichelt schon mehrfach gegen die Deutsche Bahn.
„Mir persönlich macht deutsches Bahnpersonal im Machtrausch Angst“, bekennt er nun. Das gilt zum Glück nicht für die Gegenseite – mit einem Julian Reichelt im Streitrausch ist man offenbar gut fertig geworden.