Das Leben in Großbritannien steht still: Hätte die Queen das gewollt?
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In der Westminster Hall liegt der Sarg von Queen Elizabeth II., der von Tausenden Menschen in diesen Tagen aufgesucht wird.
© Quelle: IMAGO/UPI Photo
London. Tausende Menschen stehen in London in einer kilometerlangen Schlange, um sich von Königin Elizabeth II. zu verabschieden. Die Trauer um die Queen ist bei vielen Menschen nach wie vor groß. Laut Umfrage sind viele Britinnen und Briten der Meinung, dass es richtig war, anlässlich ihrer Beerdigung einen nationalen Feiertag auszurufen. Schließlich haben fast alle Menschen in ihrem Leben nur die Monarchin als Staatsoberhaupt erlebt. Eine Phase der Andacht, des Innehaltens ist in diesem Fall angemessen.
Doch bei allem Verständnis wird auch deutlich, dass der Alltag der Menschen in Großbritannien durch die Trauerphase gestört wird. Die Hauptstadt London befindet sich schon jetzt im Ausnahmezustand, Teile der Innenstadt sind komplett abgeriegelt. Bestimmte Straßen im Regierungsviertel Westminster weitgehend unpassierbar.
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Tausende Menschen stehen stundenlang an, um der Queen die letzte Ehre zu erweisen.
© Quelle: Andreea Alexandru/AP/dpa
Das Leben steht still
Für die Bewohner und Bewohnerinnen ist das eine extreme Einschränkung. In den kommenden Tagen wird es angesichts der Menschenmassen, die anlässlich der Beerdigung in die Stadt strömen, außerdem zu weiteren Einschränkungen des öffentlichen Nahverkehrs kommen. Viele wurden dazu aufgerufen, diese Woche von zu Hause aus zu arbeiten. Am Montag sollen anlässlich der Beerdigung zudem über hundert Flüge zum Flughafen Heathrow gestrichen werden. Damit wolle man sicherstellen, dass der Himmel über London während der nationalen Schweigeminute absolut still ist.
Ein noch größeres Problem ist, dass anlässlich der Beerdigung von Königin Elizabeth II. viele Arztpraxen geschlossen haben werden und überdies sogar Operationen gestrichen wurden. Wer denkt, dass ein Tag mehr oder weniger hier keinen Unterschied macht, liegt falsch. Denn in Großbritannien warten die Menschen teilweise monatelang auf einen Termin, erst recht wenn es sich dabei um einen Spezialisten handelt. Grund dafür ist der enorme Rückstau infolge der Corona-Pandemie und der Personalmangel, verstärkt durch den Brexit. Jetzt zu erfahren, dass man keine Hilfe erhält, ist für viele Patienten und Patientinnen ein Schlag ins Gesicht.
Für Frust sorgte bei Britinnen und Briten überdies, dass am Montag auch Beerdigungen abgesagt wurden. Solche Feierlichkeiten sind von langer Hand geplant und spielen für Familien nicht nur eine viel größere Rolle als der Tod der Monarchin, sie müssen jetzt einen anderen Weg finden, um die Trauer zu verarbeiten.
Ob die Queen das so gewollt hat?
Auch Familien mit Kindern werden in diesen Tagen vor große Herausforderungen gestellt. Nachdem der kommende Montag zu einem Feiertag erklärt wurde, werden auch viele Kindertagesstätten geschlossen haben. Dabei überließ die Regierung den Einrichtungen zu entscheiden, ob sie öffnen wollen oder nicht. Für Eltern bedeutet das Unsicherheit und je nachdem, welchem Beruf sie nachgehen, sogar ein nicht zu lösendes Problem. Ganz zu schweigen, dass sich viele Menschen dies angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten gar nicht leisten können.
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Haben wir Einfluss darauf, wann wir sterben?
Manche Menschen sterben erst dann, wenn sie sich von einer geliebten Person verabschieden konnten. Andere leben auf ein bestimmtes Ereignis hin und schöpfen daraus anscheinend Kraft. Queen Elizabeth II. starb nur einige Wochen nach ihrem Thronjubiläum. Kann unser Lebenswillen wirklich den Todeszeitpunkt beeinflussen?
Dabei verwundert nur, dass die Regierung und der Palast solche Probleme offenbar nicht vorhergesehen haben. Schließlich hatten sie Jahre Zeit, um sich auf diesen Moment vorzubereiten. Vielmehr hat man das Gefühl, dass zumindest Entscheider und auch die britischen Medien völlig das Maß verloren haben. Die Maßnahmen zielen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei.
Ärgerlich ist das auch deshalb, weil die Monarchie und der König eigentlich dem Volk dienen sollen. Einen Wert, den Königin Elizabeth II. tatsächlich ins Zentrum ihres Lebens gerückt hat. Dass Britinnen und Briten jetzt in ihrem Alltag gestört werden, geht damit nicht nur zu weit, sondern verfehlt auch das Ziel. Es ist zu bezweifeln, dass die arbeitsame und pflichtbewusste Queen das so gewollt hätte.