Opfer von Assads Folterarzt berichtet

„Dann schüttete er mir Desinfektionsmittel über den Arm – und zündete es an“

Der Angeklagte Alaa M. und sein Anwalt beim Prozessauftakt.

Der Angeklagte Alaa M. und sein Anwalt beim Prozessauftakt.

Frankfurt/Main. Er hatte Wunden, am Kopf, am Bein. Der Körper: übersät von blauen Flecken. Schmerzen an den Gelenken. Er war gezeichnet von Misshandlungen und Folter, so schildert es der Zeuge vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, ein Mann von heute etwa 30 Jahren, in Jeans, schwarzem Hemd. Doch als er dann ins Krankenhaus kam, ins Militärspital von Homs, da wartete nicht etwa Hilfe auf ihn. Sondern ein Arzt, der die Schmerzen nur noch mehrte. Der ihn noch grausamer quälte. Und einen anderen sogar tötete.

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Er war es, sagt der Zeuge nur und deutet mit dem Kopf kaum merklich zum Angeklagten hinüber. „Er hat uns mitgenommen.“ „Sind Sie ganz sicher?“, fragt der Richter nach. „Ja“, antwortet der Zeuge knapp. „Sicher.“

Wenn das stimmt, dann sitzen sich hier jetzt, zehn Jahre später, wieder gegenüber: der Folterer und sein Opfer. Vier Meter voneinander entfernt.

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Angeklagt in 17 Fällen

Es ist eine besondere Konstellation an diesem Tag in diesem Frankfurter Gerichtssaal. Seit Januar muss sich hier der 36-jährige Alaa M. verantworten, Arzt aus Syrien, der nach seiner Flucht 2015 auch in Deutschland praktizierte. Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirft die Bundesanwaltschaft ihm vor, in 17 Fällen, begangen 2011 und 2012 in Homs und Damaskus, als Arzt, der quälte, statt zu heilen. Ausgiebig hat er in Frankfurt bislang geredet, hat alles abgestritten. Die Vorwürfe: aus seiner Sicht nichts als die Rache oppositioneller Muslime gegen ihn, den Assad-treuen Christen.

Jetzt spricht in diesem Prozess zum ersten Mal eines seiner mutmaßlichen Opfer, auch er lebt inzwischen in Deutschland, als einer der wichtigsten Zeugen hier an geheimem Ort im Schutzprogramm. 2011 ist er gerade mit der Schule fertig, will Ingenieurwissenschaften studieren, als in Syrien der arabische Frühling ausbricht. „Wie war Ihre Familie zu Assad eingestellt?“, will der Vorsitzende Richter Christoph Koller wissen. „Gegner“, antwortet der Zeuge. „Schon immer?“ – „Ja.“ – „Besonders religiös?“ – „Nein.“

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Die Hände hinter den Rücken gebunden

Doch statt an die Uni geht er auf die Straße, demonstriert, so schildert er es, und wird zum ersten Mal im August 2011 und dann im April 2012 zum zweiten Mal festgenommen – offenbar gezielt, weil er ein entfernter Verwandter eines prominenten syrischen Deserteurs ist und den gleichen Nachnamen trägt. Schon im Fahrzeug wird er geschlagen, „natürlich“, wie er sagt, und von da an bei fast jeder Gelegenheit. Als er im Gewahrsam fragt, was los ist, kriegt er sofort eine Faust ins Gesicht. „Da wusste ich, dass es auch unter den anderen Gefangenen Kollaborateure gab.“ Von da habe er niemandem mehr getraut.

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Der Zeuge im schwarzen Hemd, zugleich Nebenkläger in diesem Prozess, schildert grausame Foltermethoden, die er in den Gefängnissen des Assad-Regimes durchleiden muss – unter anderem seien ihnen die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden worden, dann mussten sie in der Hocke ausharren. „Manchmal dauerte das zwei Tage.“

Wer aufbegehrt, wird totgespritzt

Am schlimmsten aber sei es für ihn dann an jenem Ort geworden, dessen Name eigentlich Hilfe versprach. Im Militärhospital von Homs habe ein Arzt dann immer wieder Patienten abführen lassen und misshandelt, auch ihn. Einmal habe dieser Arzt selbst ihm Desinfektionsmittel über den Arm geschüttet – und angezündet. „Zum Löschen hat mir dann ein anderer den Schuh auf den Arm gestellt.“ Einem aufbegehrenden Häftling habe der Arzt eine Spritze verpasst. „Zwei, drei Stunden später war der Mann eine Leiche.“ Dieser Arzt, da ist sich der Zeuge sicher, sei Alaa M. gewesen.

Der hört sich alles äußerlich ungerührt an, oft mit schräg gelegtem Kopf, die Fingerspitzen der Hände aneinandergepresst. Kann ein deutsches Gericht zehn Jahre später zweifelsfrei klären, was sich in syrischen Folterkellern zugetragen hat? Es gibt trotz eifriger Übersetzer immer wieder Missverständnisse, Nachfragen zu Namen und Schreibweisen, Begriffe, die sich offenbar schwer übersetzen lassen. Auch muss das Gericht klären, ob sich die beiden Hauptbelastungszeugen möglicherweise abgesprochen haben.

Hilfe als Rache am Regime

Dieses Opfer des Folterarztes kam im Dezember 2012 aus dem Gefängnis frei – und wurde dann, nach eigener Schilderung, zum Retter auf eigene Faust. Mit seinem Motorrad fuhr er überall dort hin, wo nach Bombenangriffen Hilfe gebraucht wurde: „Ich habe einfach das gemacht, wovon ich glaubte, dass es dem Regime am meisten missfällt.“ 2019 kam er dann mit seiner Familie über die Türkei und Griechenland nach Deutschland – auch, wie er sagt, um hier an dem Prozess teilzunehmen.

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Die Erinnerung verfolge ihn aber nicht nur in Träumen und Gedanken: „Die Schmerzen in meinem Rücken und den Gelenken spüre ich noch immer.“

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