Die Kunst des Comebacks: Hollywood verzeiht gern
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Da war die Welt noch in Ordnung: Jada Pinkett Smith und Will Smith bei der Oscarverleihung.
© Quelle: Chris Pizzello/Invision/AP/dpa
Hollywood beschäftigt sich auch auf der Leinwand gern mit sich selbst. Da wäre das hier doch mal eine hübsche Idee für eine bitterhumorige Satire: Ein Filmstar, witzig, eloquent, Typ: Fanliebling, hat es endlich geschafft: Er ist nach mehreren vergeblichen Anläufen reif für den Oscar.
Aber dann, in der Nacht der Nächte, verpatzt er sich in einem Anflug von überholtem männlichen Beschützerinstinkt den Triumph. Er ist noch gar nicht an der Reihe, da stürmt er auf die Bühne, versetzt dem Oscarmoderator eine schallende Ohrfeige – und wird erst einmal verbannt aus dem Filmolymp. Jedenfalls ein bisschen.
Was für eine feine Gesellschaft ließe sich in der Komödie studieren: Stets wähnt sich Hollywoods Elite an die Spitze des gesellschaftlichen Fortschritts und muss dann doch immer wieder erkennen, wie ihre hervorragenden Vertreterinnen und Vertreter in atavistisches Verhalten zurückfallen. Ohrfeigen sind da ein eher harmloses Beispiel.
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Aber die Geschichte ist damit noch längst nicht zu Ende erzählt: Bald schon tröpfeln – womöglich nicht ganz zufällig – allerlei Meldungen über das vorbildliche Verhalten des Protagonisten in die Welt. Sie scheinen allesamt darauf abzuzielen, den verlorenen Sohn möglichst bald zurückzuholen in den Kreis der Erlauchten.
Bliebe nur noch die Frage, wie diese Rolle zu besetzen ist. Ach nein, sie ist schon vergeben: Selbstverständlich spielt Will Smith sich selbst. Denn er war es, der bei der Oscarverleihung im März Moderator Chris Rock im Wortsinn abgewatscht hatte.
Geschmackloser Witz
Rock hatte einen wirklich geschmacklosen Witz auf Kosten von Smith’ Frau Jada Pinkett Smith gerissen, die wegen einer Autoimmunerkrankung mit raspelkurzem Haar im Publikum saß.
Ein Viertelstündchen nach dem Vorfall nahm Smith vor der Weltöffentlichkeit seinen Oscar entgegen und sinnierte darüber, „ein Gefäß der Liebe“ sein zu wollen. Bei Rock entschuldigte er sich erst viel später. Das schockierte Galapublikum musste sich verdattert sortieren, bis es erkannte, was da eben geschehen war. Erst einmal gab es stehende Ovationen für Smith.
Die Watsche hatte trotzdem Folgen: Einem möglichen Ausschluss aus der Academy of Motion Picture Arts and Sciences kam Smith zuvor, indem er selbst austrat. Umgekehrt schloss die Academy ihn nach reichlich Bedenkzeit für zehn Jahre von Veranstaltungen aus. Den Oscar für das Sportlerinnendrama „King Richard“ durfte Smith behalten. Schon fertige Filme mit seiner Beteiligung wurden erst einmal auf Eis gelegt, noch nicht begonnene gestoppt.
Versöhnung erhofft
Ruhig ist es seitdem aber nicht um Smith geblieben. Inzwischen wissen wir, dass seine Frau für die Versöhnung zwischen den Kontrahenten plädiert und sie ihre Krankheit selbst in Shows zum Thema macht. Dass Smith sich offenbar einer Therapie unterzieht (was in Hollywood immer gutgeheißen wird). Und dass Smith an seinem angeblichen Comeback arbeitet, wie ein viel zitierter Insider schon mal verraten hat.
Demnach produziert Smith eine Fortsetzung einer seiner großen Erfolge und übernimmt auch wieder die Hauptrolle: In „I Am Legend“ spielte Smith 2007 die Rolle eines Wissenschaftlers, der inmitten einer Zombieapokalypse in New York ums Überleben kämpft. Der Film spielte mehr als eine halbe Milliarde Dollar ein.
Lange Liste von Rückkehrern
Wer will, kann in dem Zombiethema einen Sinn für Ironie erkennen: Sieht sich Smith als einer der letzten Immunisierten gegen all den Schmutz und Dreck, der Stars in der Öffentlichkeit entgegengeschleudert wird? Aber so weit muss man nicht gehen. Klar ist jedenfalls, dass er eher früher als später wieder im Geschäft sein wird. Hollywood ist gern bereit zu verzeihen.
Die Liste derjenigen, die die US-Kinoindustrie wieder in ihre Arme geschlossen hat, ist lang. Robert Downey Jr. war nach frühen Erfolgen wegen Drogenexzessen im Gefängnis gelandet – und ist längst als gefeierter „Iron Man“ im Marvel-Comic-Universum zurück. Drew Barrymore, Kinderstar in „E. T.“, rauchte mit zehn Jahren ihren ersten Joint, schnupfte mit zwölf das erste Mal Kokain und landete später in diversen Entzugskliniken. Seit Längerem ist sie wieder da.
Ein ebenfalls aufmerksam verfolgtes Beispiel: Winona Ryder wurde 2002 wegen wiederholten Ladendiebstahls von Kleidern im Wert von 5000 Dollar zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren verurteilt. Heute mischt sie zum Beispiel bei der Serie „Stranger Things“ mit.
Johnny Depp bald wieder Captain Sparrow?
In der US-Kinoindustrie wird gemunkelt, dass sich Johnny Depp nach der Schlammschlacht mit Amber Heard wieder auf größere Aufgaben vorbereiten sollte. Ein weiterer Karibikausflug als Captain Jack Sparrow könnte bald wieder drin sein.
Und was ist mit dem unglückseligen Alec Baldwin, der bei Dreharbeiten zu einem Western versehentlich seine Kamerafrau erschoss? Er hat gerade eine Produktionsfirma gegründet, für deren erstes Projekt er selbst als Hauptdarsteller vor der Kamera stehen will.
Hollywood hat die Kunst des Comebacks in hohem Maße entwickelt. Es ließe sich auch durchaus argumentieren, dass jeder Mensch eine zweite (oder auch eine dritte) Chance verdient. Resozialisierung ist das hervorragende Ziel einer jeden humanen Gesellschaft. Zudem sollte schon noch zwischen Schuld, Verstrickung in Unheil oder einem Unfall unterschieden werden.
Zugleich aber beschleicht einen gelegentlich das Gefühl, dass Exzesse in Hollywood auf längere Sicht geradezu karrierefördernd sind. Der schon altersweise US-Filmemacher George Miller („Mad Max“) hat die Smith-Ohrfeige beim Filmfestival in Cannes im Mai so eingeordnet: „Das Unerwartete ist am Ende das Erinnerungswürdige. Womit ich nicht unbedingt sagen will, dass es eine gute Sache ist, jemanden bei den Oscars zu ohrfeigen“, sagte er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Nur bei einem Thema will Hollywood kein Pardon kennen: Sexuelle Übergriffe werden mit dauerhafter Missachtung geahndet. Das ist noch nicht lange so. Zumindest Harvey Weinstein dürfte nie wieder als Partygast eingeladen werden.
Kevin Spacey muss sich in London gerade einem Prozess wegen sexueller Delikte stellen. Allerdings: Gleich zwei neue Filme mit ihm wurden beim Festival in Cannes vorgestellt – nicht im offiziellen Programm, sondern auf der angeschlossenen Filmmesse. Der Werbeslogan zu einem von beiden lautete: „The guilty always pay the price“. Die Frage ist, wie hoch der Preis für Schuldige in Hollywood wirklich ist.
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