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Ist das Inklusion?

„Bedürfnis nach Schutzräumen“: Berlin plant Wohnprojekt für lesbische Frauen

Die Visualisierung zeigt, wie das Wohnprojekt aussehen soll.

Die Visualisierung zeigt, wie das Wohnprojekt aussehen soll.

Berlin. Mitten in der Hauptstadt, nahe des Alexanderplatzes, soll ein neues Wohnprojekt entstehen. Eines, das speziell für lesbische und queere Frauen im Alter gedacht ist. 72 Mietwohnungen sowie ein Kulturzentrum und ein Kiez-Café sollen in einem Neubau zusammenkommen. Das teilten die kommunale Wohnungsbaugesellschaft WBM und die gemeinnützige Rad und Tat GmbH (RuT), eine Berliner Initiative lesbischer Frauen, am Dienstag mit. Fertig werden soll das Ganze im Oktober 2025 und dann auch Räumlichkeiten für Beratungsangebote, Veranstaltungen und Nachbarschaftstreffs beinhalten.

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„Hier sollen Lesben und queere Frauen in einer diskriminierungsfreien und nachbarschaftlichen Umgebung ein gutes Leben führen und ihr Alter genießen können“, heißt es in einer Mitteilung dazu. „Als europaweit wegweisendes Projekt steht das geplante Lesbenwohnprojekt und queere Kulturzentrum für lesbische und queere Sichtbarkeit und Gendergerechtigkeit“, ergänzt RuT-Geschäftsführerin Jutta Brambach. Auf der Website von RuT wird das Ganze als „inklusives Frauen/Lesbenwohnprojekt“ bezeichnet, das Haus solle „ein Zentrum und Anlaufstelle für Lesben im Alter und Lesben mit Behinderung werden“.

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Aber sind lesbischen und queeren Frauen vorenthaltene Wohnungen wirklich inklusiv – oder separieren sie nicht eher ebendiese Gruppen?

Die Gefahr von Separation ist noch zu vernachlässigen gegenüber dem Bedürfnis, noch mehr Schutzräume zu schaffen.

Verena Diehl aus dem Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSDV) Berlin-Brandenburg

„Die Gefahr von Separation ist noch zu vernachlässigen gegenüber dem Bedürfnis, noch mehr Schutzräume zu schaffen“, sagt die Einschätzung von Verena Diehl aus dem Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSDV) Berlin-Brandenburg dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Ihrer Erfahrung nach gebe es eine große Nachfrage nach solchen Projekten und Schutzräumen, es gehe dabei weniger um Inklusion. Gerade im Alter sei bei vielen lesbischen oder queeren Frauen das Bedürfnis groß, „einfach mal einen Gin Tonic mit Leuten zu trinken, die einen verstehen und denen man nicht erklären muss, warum man keinen Ehemann hat“.

Es gibt bislang sehr wenige Projekte spezifisch für Lesben oder queeres Leben, aber das Bedürfnis von Menschen, sorgloser leben zu können, ist groß.

Ulle Schauws, Bundestagsabgeordnete der Grünen

Ähnlich argumentiert auch Ulle Schauws, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Leiterin der AG Familie, Senior*innen, Frauen und Jugend, gegenüber dem RND: „Es gibt bislang sehr wenige Projekte spezifisch für Lesben oder queeres Leben, aber das Bedürfnis von Menschen, sorgloser leben zu können, ist groß“, sagt sie. „Darum sind Wohnprojekte, wo es ein gewisses Verständnis für die eigene Identität gibt, wichtige Orte.“ Für sie sei das kein Separieren, „sondern eine Möglichkeit, mit Menschen zusammenzuleben, die ähnliche, d. h. unter anderem leider auch diskriminierende, Erfahrungen machen.“ Sie nennt solche Projekte ähnlich wie Diehl „Räume zum Durchatmen, die auch Schutz geben“.

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Wohnprojekte als Zukunftsmodell?

Diehl vom Lesben- und Schwulenverband hebt dabei positiv hervor, dass sich das Wohnprojekt sowohl an lesbische als auch queere Frauen wende. „Es gibt leider auch immer wieder Separation unter Frauen, die Frauen lieben“, sagt sie. So hätten etwa manchmal lesbische Frauen ein Problem mit queeren Frauen und die Community sei hier nicht immer geeint. Dem trete das entgegen. Als queer bezeichnen sich nicht heterosexuelle Menschen beziehungsweise Menschen, die sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau oder anderen gesellschaftlichen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren.

Aber wäre es da nicht sinnvoller, in Wohnprojekten für alle Menschen mehr gegen Diskriminierung und für die Akzeptanz aller Lebensformen zu tun als ein Heim nur für lesbische und queere Frauen zu bauen? „Natürlich wäre es schöner, wenn es alles gemeinschaftlich ginge“, räumt Diehl ein. Sie sehe solche Wohnprojekte auch nicht als „Modell für die Zukunft“, sondern eher als eine bereichernde Option unter vielen.

Mehr Straftaten wegen „sexueller Orientierung“ erfasst

In der Gesellschaft habe sich in den letzten Jahrzehnten auch schon viel verbessert mit Blick auf den Umgang mit homosexuellen und queeren Menschen, sagt sie. „Ältere lesbische Frauen waren früher unsichtbar in der Gesellschaft“, gibt sie aber zu bedenken. Das sei heute anders. Doch die Diskriminierung habe in den letzten Jahren auch wieder zugenommen.

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Das zeigt sich auch in der am 9. Mai durch das Bundesinnenministerium vorgestellten Statistik über politisch motivierte Gewalttaten im Jahr 2022. Dort wurden etwa im Unterthemenfeld „Sexuelle Orientierung“ 1005 Straftaten erfasst, was einer Steigerung von 15,52 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), hat zuletzt zunehmende Angriffe auf queere Menschen beklagt. „In Deutschland werden leider jeden Tag drei bis vier queere Menschen angefeindet, angegriffen bis hin zu körperlichen Angriffen“, sagte Lehmann Mitte Mai im WDR-Radio.

Berliner Senatorin sieht keine Separierung

Ein Argument mehr für solche Schutzräume, findet Diehl. Und auch Cansel Kiziltepe (SPD), Berliner Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, sieht durch solche Projekte keine Gefahr der Separation – sondern würde sich freuen, „wenn das Projekt eine Inspiration für viele weitere solcher Wohnquartiere in Deutschland sein kann“, teilt sie dem RND mit.

Sie betont zudem, dass das Wohnprojekt als Begegnungsort geplant sei, der auch „Raum für Treffen und Veranstaltungen mit Nachbar*innen, Freund*innen und Besucher*innen“ einschließe. „Schon jetzt werden Aktionen zur Verankerung des Projekts im Kiez erfolgreich umgesetzt – von Separierung kann insofern keine Rede sein.“

mit dpa und epd

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