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Die Rolle der Mutter im Jahr 2019 ist alles andere als leicht. Warum ziehen Frauen am Muttertag nicht mal mit einem Bollerwagen durch Parks und über Wiesen und feiern ihre Leistung?

Die Rolle der Mutter im Jahr 2019 ist alles andere als leicht. Warum ziehen Frauen am Muttertag nicht mal mit einem Bollerwagen durch Parks und über Wiesen und feiern ihre Leistung?

Hannover. Die amerikanische Onlinecommunity Reddit hat in diesen Tagen Frauen dazu befragt, was sie sich zum Muttertag wünschen. Meist geht es in solchen Erhebungen darum, Herstellern von Parfüm, Pralinen und anderen Luxusartikeln ein passendes Werbeumfeld zu bieten.

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Diesmal aber zeichnete die Erhebung ein realistisches Bild des Dilemmas, in dem die moderne Gesellschaft zwischen Emanzipation und tradierten Rollenbildern gerade steckt: Die befragten Mütter nämlich wünschten sich keine Blumen oder Geschenke. Stattdessen äußerte eine nach der anderen den dringenden Wunsch nach Entlastung.

„Ich wünsche mir nur einen Tag, an dem ich nach Hause komme und mein Mann und meine Kinder ihre Aufgaben erledigt haben und nicht über irgendetwas zanken“, schreibt eine Frau. „Eine Nacht ungestörten Schlafes“ will eine andere. Auch beliebt: „Ein Tag ohne Waschmaschine“ und „eine Pause und Zeit für mich“.

Schon vor Dienstbeginn das erste Mal erschöpft

Die Aussagen der Frauen ließen sich problemlos auf die deutsche Gesellschaft übertragen. Denn Mütter, das weiß jeder, der hinhört, sind im Jahr 2019 vor allem eines: im Stress. Erst vor wenigen Monaten etwa schilderte die Berliner Journalistin Mareice Kaiser den ganz normalen Wahnsinn des Familienalltags in einem Essay.

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Die Autorin beschreibt, wie sie ihre Kinder mit dem Fahrrad in unterschiedliche Betreuungseinrichtungen bringt, nebenbei noch Arzttermine, Kindergeburtstagsgeschenke, Verabredungen, Einkäufe und den eigenen Job per Whatsapp organisiert – und schon vor Dienstbeginn das erste Mal erschöpft ist.

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass der Kinderwunsch bei vielen Frauen in der Lebensplanung ganz oben steht, die Erfüllung dann aber doch nicht zwangsläufig zu mehr Zufriedenheit oder gar Glück führt. Das mag an der allgemeinen Überlastung liegen, die ein Alltag zwischen Job und Familienleben für viele, oft auch Männer, bedeutet.

Nach der Geburt kann eine Mutter nur noch alles falsch machen

Doch Frauen, egal ob berufstätig oder nicht, tragen meist die „Mental Load“, die „mentale Last“, den Familienalltag mehr oder weniger allein organisieren zu müssen. Und selbst wenn beide Partner in Vollzeit berufstätig sind, wenden Frauen an einem Werktag durchschnittlich rund drei Stunden mehr Zeit für Haushalt und Kinder auf als Männer – das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung herausgefunden.

Obwohl mittlerweile mehr als 75 Prozent der deutschen Frauen berufstätig sind, erfahren viele von ihnen gar keine Unterstützung von den Männern. Laut einer Studie des Rheingold-Instituts fühlt sich ein Drittel der Mütter trotz Partner alleinerziehend oder betrachtet diesen Partner sogar als weiteres Kind. Das Attribut „alleinerziehend mit Mann“ ist bei Unterhaltungen von Müttern auf Spielplätzen trotz der gewachsenen Teilhabe von Männern ein geflügeltes Wort, das keiner weiteren Erklärung bedarf.

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Noch dazu ist die Rolle der Mutter im Jahr 2019 alles andere als leicht. Mag sein, dass die Vielzahl der Gratulanten nach der Geburt des ersten Kindes überschwänglich lobt: „Das hast du gut gemacht!“ Danach aber kann eine Mutter eigentlich nur noch alles falsch machen: Stillt sie nicht, ist sie selbstsüchtig, stillt sie zu lange, eine Helikoptermutter, die sich nicht lösen kann. Arbeitet sie nicht, lebt sie auf Kosten des Mannes, arbeitet sie zu viel, vernachlässigt sie die Kinder.

Von wegen Frühstück im Bett: Was sich Mütter zum Muttertag wünschen.

Von wegen Frühstück im Bett: Was sich Mütter zum Muttertag wünschen.

Noch dazu soll eine gute Mutter heute nicht nur immer verfügbar, sondern auch sportlich, schlank, klug und attraktiv sein. Die deutsche Autorin und Literaturwissenschaftlerin Angela Lehner fasste es in einem Beitrag für „Zeit Online“ jüngst so zusammen: „Ganz gleich, was Mütter machen: Wir werden sie bevormunden, uns über sie lustig machen, sie ausnutzen, ihnen ein schlechtes Gehalt und eine schlechte Altersvorsorge geben, nur um ihnen später dann vorzuwerfen, dass sie sich eben nicht genug bemüht hätten.“

Den Gipfel der Mütterschmähungen erklomm jüngst die Lehrerin Verena Brunschweiger, die in ihrem Buch verkündete, Kinder seien das Schlimmste, was man der Umwelt antun könne. Jetzt sind Frauen, die Kinder haben, auch noch schuld an der Misere des Planeten!

Müttern, die sich diesen Urteilen ausgesetzt sehen, bleibt oft nicht viel mehr als ein müdes Lächeln, wenn sie am Muttertag das Frühstück ans Bett serviert bekommen. Danke für die Blumen.

Dem Muttertag entkommt man nicht

Viele von ihnen, egal ob jung oder alt, alleinstehend oder in einer Beziehung, würden den Muttertag am liebsten für immer aus dem Kalender streichen, auch weil sich an diesem Tag der – übertriebenen – Aufmerksamkeit nur allzu deutlich zeigt, was an den übrigen 364 Tagen im Jahr falsch läuft. „Wenn ihr das ganze Jahr nicht nett seid, müsst ihr es am Muttertag auch nicht sein“ – diesen Satz hat so oder ähnlich jeder schon mal von einer Mutter gehört.

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Doch man mag zu diesem Sonntag im Mai stehen, wie man will: Man entkommt ihm nicht. Schon im Kindergarten lernen Vierjährige, wie wichtig der Muttertag angeblich ist: Da werden rote Herzen aus Tonpapier gebastelt, krumme Blumenvasen getöpfert oder Blumen gepflückt. Im Kaufhaus haben schon Wochen im Voraus Kuchenformen in Herzchenform, Parfüms und Pralinen mit roter Schleife Hochkonjunktur. Es gibt Spezialangebote beim Kosmetiker und beim Zahnarzt (Muttertagsbleaching für weiße Zähne!) – damit Frau sich weiter optimieren kann.

Zu hohe Ansprüche – an sich und andere

Zu einer fairen Darstellung gehört aber auch: Viel zu viele Frauen stecken die Ansprüche viel zu hoch. An sich selbst und an andere. Sie lassen die Lebenspartner nicht einfach machen, sondern kritteln daran herum, wenn er die Wäsche aufhängt, die Kinder anzieht oder den Müll nicht schnell genug entsorgt.

Die Wohnung soll stets bestens aufgeräumt, der Alltag lückenlos geplant und das eigene Aussehen so perfekt sein wie das der realitätsfernen Instagram-Übermütter. Und selbstverständlich gibt es längst Männer, die anpacken, organisieren, putzen und in Teilzeit arbeiten. Doch alte Bilder sind hartnäckig.

Laut einer Studie verbringen die meisten Frauen den Muttertag gemeinsam mit der Familie. Kaffeetrinken, Frühstück im Bett und später ein Ausflug, der aber dann bitte schön allen gefallen muss, stehen dann auf dem Programm. Das kann selbstverständlich sehr schön sein. Doch warum eigentlich ziehen Frauen am Muttertag nicht mal mit einem Bollerwagen durch Parks und über Wiesen und stoßen auf das Erreichte an, anstatt brav mit der Familie Kuchen zu essen und die Krümel am Ende doch wieder selbst vom Tisch zu fegen? Es ginge schließlich auch anders.

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Kein Produkt taugt nicht zum Muttertagsspecial

Der ursprünglichen Idee des Jahrestages käme eine solche Unternehmung tatsächlich viel näher. Denn lange bevor die Nationalsozialisten den Gedenktag für ihre völkische Ideologie missbrauchten, hatte die US-Amerikanerin Anna Marie Jarvis eine ganz andere Vorstellung von diesem Tag: Mit dem „Freundschaftstag“ für Mütter wollte die methodistische Pfarrerstochter an ihre verstorbene Mutter erinnern – und zugleich die Solidarität und den Austausch unter Frauen fördern.

Jahrelang warb Jarvis bei Politikern und Frauenrechtsverbänden für ihre Idee. Am 8. Mai 1914 war es schließlich so weit. Der damalige Präsident Woodrow Wilson ernannte Jarvis’ Freundschaftstag offiziell zu einem Feiertag zu Ehren der Mütter.

Doch bald entdeckten Industrie und Handel den Jahrestag für sich und Angehörige, die ihr schlechtes Gewissen fortan mit Geschenken erleichtern sollten. Heute gibt es nahezu kein Produkt, das nicht zum Muttertagsspecial taugt. In den Tiefkühltruhen der Supermärkte liegen sogar Sushi-Boxen in Herzchenform. Es ist nicht so schwer, das einigermaßen absurd zu finden.

„Wie die Frauen das leisten, was sie tun, geht über den Verstand“: Prinz Harry von Großbritannien und Meghan, Herzogin von Sussex, halten ihren noch namenlosen Sohn in der St. George’s Hall im Windsor Castle im Arm.

„Wie die Frauen das leisten, was sie tun, geht über den Verstand“: Prinz Harry von Großbritannien und Meghan, Herzogin von Sussex, halten ihren noch namenlosen Sohn in der St. George’s Hall im Windsor Castle im Arm.

Wenn man sich im Jahr 2019 also wirklich etwas zum Muttertag wünschen sollte, dann wäre es, dass Frauen aufhören, sich selbst und ihren Geschlechtsgenossinnen so viel Druck zu machen. Dass sie nicht mehr perfekt sein wollen, um sich und ihre Leistungen anzuerkennen. Dass noch mehr Männer erkennen, was Teilhabe wirklich bedeutet. Dass es endlich genug Kinderbetreuungsplätze auch in den Randzeiten jenseits von 7 bis 16 Uhr gibt, schließlich müssen Eltern längst flexibel arbeiten und dann auch noch den Weg zur Arbeitsstelle und wieder zurück bewältigen.

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Der Kampf der Geschlechter sollte ein Ende finden und damit die Bevormundung einzelner Gruppen in der Gesellschaft durch andere bitte auch. Mütter und Väter sollten endlich so sein dürfen, wie sie wollen – berufstätig, zu Hause, stark oder schwach, einfach menschlich. Wir sollten darauf vertrauen, dass sehr viele von ihnen ihr Bestes geben.

Vor wenigen Tagen ging ein Satz dazu um die Welt, der es ganz treffend zusammenfasst: „Wie die Frauen das leisten, was sie tun, geht über den Verstand.“ Danke für die Blumen, Prinz Harry.

Von Dany Schrader

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