Antiasiatischer Rassismus: Wie die Pandemie den Hass sichtbar macht

Antiasiatischer Rassismus zeigt sich in Corona-Zeiten „konzentrierter“ (Symbolbild).

Antiasiatischer Rassismus zeigt sich in Corona-Zeiten „konzentrierter“ (Symbolbild).

Manchmal sind es bloß Blicke, die Menschen mit asiatischen Wurzeln spüren. So als wären sie schuld an der Pandemie. „Wenn ich mit meinem Bruder durch Berlin laufe, werden wir anders angeguckt als vor der Pandemie“, erklärt Sina Schindler gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Sie hat eine koreanische Mutter und ist Projektkoordinatorin bei Korientation, einem Netzwerk für asiatisch-deutsche Perspektiven. Über ihre Erfahrungen mit Rassismus seit Ausbruch der Pandemie sagt sie: „Er ist subtil und manchmal nicht so offensichtlich.“

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Angriffe an öffentlichen Plätzen und in Arztpraxen

Allerdings erleben viele Menschen auch körperliche Angriffe oder Schlimmeres, wie ein Vorfall im US-Bundesstaat Georgia am Dienstag zeigte. Ein weißer Mann ging im Raum Atlanta in drei Massagesalons und erschoss acht Menschen, darunter mehrheitlich Frauen asiatischer Herkunft. Vor wenigen Tagen machte eine Attacke auf eine 83-jährige koreanische Amerikanerin Schlagzeilen, die im US-Bundestaat New Jersey angespuckt und geschlagen wurde. Auch in Deutschland ist es bereits mehrfach zu Übergriffen auf ostasiatisch aussehende Menschen gekommen. So wurde eine Asiatin im Juli 2020 in einem Berliner Supermarkt von zwei Frauen angeschrien: „Corona!“ Als die Betroffene die Frauen zur Rede stellte, zogen diese sie an den Haaren. In einer Frankfurter Tram ging ein Mann im vergangenen März auf eine Frau los und schrie ihr auf Englisch zu: „Corona ist deine Schuld!“ Ein weiterer Vorfall ereignete sich im April 2020, als ein koreanisches Ehepaar in einer Berliner U-Bahn unter anderem mit „Corona-Party“ beschimpft und später angespuckt wurde.

Laut Schindler von Korientation kommen diese Übergriffe seit Beginn der Pandemie „sehr konzentriert“ vor. Wie sie von Betroffenen geschildert bekommt, passieren die Attacken in der Bahn, an öffentlichen Plätzen – sogar in Arztpraxen. „Das sind Orte, die prädestiniert für Rassismus sind, weil eine Machtdynamik vorhanden ist oder die Täterinnen und Täter keine Angst vor Konsequenzen haben.“

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Die Gesellschaft zeigt sich meist überrascht von solchen Übergriffen, doch Menschen mit asiatischem Hintergrund verwundern sie nicht. „In der heutigen Zeit überrascht mich nichts mehr. Ich persönlich habe solch einen Übergriff bisher nicht erlebt, aber ich bekomme mit, dass viele asiatische Menschen darunter leiden“, sagt die vietnamesisch-deutsche Schauspielerin Minh-Khai Phan-Thi in einem Interview mit dem RND.

Hohe Dunkelziffer

Zahlen geben einen ersten Einblick, wie häufig diese rassistischen Übergriffe vorkommen – repräsentativ sind sie allerdings nicht. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erhielt seit Beginn der Krise rund 1500 Beratungsanfragen zu Diskriminierungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Stand: Ende November 2020). Ein Sprecher erklärt, dass die Fälle „von Rückfragen zur Maskenpflicht über unverhohlen rassistisches Verhalten und verweigerte Zutritte in Arztpraxen oder Supermärkte bis hin zu körperlichen Übergriffen“ reichen. Zu Fällen von antiasiatischem Rassismus liegen der Stelle etwas mehr als 100 Anfragen vor, die von Anfang 2020 bis Ende November 2020 gestellt wurden. Es gebe „definitiv einen deutlichen Anstieg von Beratungsanfragen von Menschen, die sich wegen antiasiatischem Rassismus an die Antidiskriminierungsstelle wenden“, heißt es.

Das Berliner Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle zählte im letzten Jahr 59 Übergriffe in der Hauptstadt, die „eindeutig antiasiatisch rassistisch motiviert“ waren. Darunter seien zehn Angriffe, 39 Bedrohungen beziehungsweise Beleidigungen und zwei Sachbeschädigungen. Vor der Pandemie habe man antiasiatischen Rassismus nicht separat dokumentiert.

Diese Daten bilden nur einen Ausschnitt dessen, was südost- und ostasiatisch gelesene Menschen in der Pandemie erleben müssen. Sina Schindler von Korientation schätzt die Dunkelziffer sehr viel höher ein. „Das sind keine Einzelfälle. Wir bekommen täglich mit, dass Menschen negative Erfahrungen machen.“ Doch die Hemmschwelle, rassistische Übergriffe zu melden, sei bei den Opfern hoch, erklärt sie. „Viele Betroffene melden die Vorfälle bei den Dokumentationsstellen nicht, weil sie wissen, dass dies keine Konsequenzen für die Täterinnen und Täter hat.“ Sie plädiert aber dafür, die Stellen trotzdem zu informieren, nur so könne eine Datengrundlage geschaffen werden.

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„Gelbe Gefahr“ und anderer Rassismus

Im Mai 2020 ging in Deutschland das Netzwerk „Ich bin kein Virus“ online: Auf der Plattform veröffentlichen Betroffene Erfahrungsberichte und suchen sich Hilfe. Auf der Website sind zahlreiche Beiträge von Menschen aufgelistet, die antiasiatischen Rassismus in Corona-Zeiten erfahren haben. Victoria Kure-Wu, Mitinitiatorin des Projekts, erzählt: „Wir wollten unseren Beitrag leisten, Raum für die Erfahrungen von Betroffenen schaffen und ihnen Hilfe anbieten.“ Kure-Wus Eltern stammen aus Japan und Taiwan. Sie selbst hat jüngst einen rassistischen Übergriff erlebt, als ein Fremder ihr sagte: „Dich sollte man mit Sagrotan einsprühen.“ Victoria Kure-Wu ist der Meinung, dass die Pandemie ein Anlass für Menschen sei, „rassistische Gedanken“ ausleben zu können.

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Doch welche Rassismusanzeichen sind das? „Die ‚gelbe Gefahr‘ ist ein Narrativ, das immer wieder befeuert wird. Es verfolgt uns seit dem 19. Jahrhundert“, sagt Kure-Wu. Laut der Bundeszentrale für Politische Bildung ist dieses Narrativ mehr als 200 Jahre alt, es beschreibt den Versuch der europäischen Kolonialmächte, Angst vor China und ganz Ostasien zu schüren. Damals sei die „gelbe Gefahr“ mit der „Entstehung und Verbreitung von Epidemien wie der Pest“ verknüpft worden.

Heute findet sich dieses Phänomen zum Beispiel in der Corona-Berichterstattung wieder: etwa im Nachrichtenmagazin „Spiegel“, das im Februar 2020 „Made in China“ in gelber Farbe auf seine Titelseite druckte. Oder in Artikeln über die Pandemie in Deutschland, die mit Fleischmärkten, asiatischen Familien am Esstisch oder großen Menschenmassen in China symbolisch bebildert werden. Wie Schindler von Korientation erklärt, seien damit Vorurteile verfestigt worden, dass asiatische Menschen ungewöhnliche Essgewohnheiten haben und unhygienisch seien. Außerdem werde Asien vereinheitlicht dargestellt und mit China gleichgesetzt.

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Übergriffe sind keine Einzelfälle

Auch sie sagt, dass der antiasiatische Hass nicht neu sei – nur in der Pandemie eben sichtbarer. „In Deutschland lässt sich eine Kontinuität beobachten: Der Rassismus fing schon in der Kolonialzeit an, als eine Provinz in China deutsches Kolonialgebiet wurde. Auch im Nationalsozialismus wurden asiatische Menschen ausgegrenzt, verfolgt, verschleppt und gefoltert“, sagt Schindler. „Es gab in den 1990er-Jahren ebenfalls Übergriffe auf vietnamesische Vertragsarbeitende in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen.“ All das zeige die lange Geschichte des Rassismus. Ähnliches berichtet Kure-Wu von „Ich bin kein Virus“ aus ihrem persönlichen Umfeld: „Was ich jetzt an Rassismen mitbekomme, kenne ich schon von meinen Eltern. Da hat sich nichts verändert.“ Betroffene haben demnach nicht das Gefühl, dass der Rassismus weniger wird – im Gegenteil. „Wir gehen einen Schritt nach vorne und zwei zurück“, meint auch die Schauspielerin Phan-Thi. Im Laufe ihrer Karriere wurden ihr demnach schon häufig stereotypische Rollen angeboten, zum Beispiel „Prostituierte und Frauen, die kein ‚r‘ aussprechen können.“ Mittlerweile habe sich das geändert – dies sei aber ein Kampf gewesen.

Das Problem der „Vorzeigeminderheit“

Antiasiatischer Rassismus ist ein weltweites Problem: So gab es in den USA schon in mehreren Städten Proteste gegen den sogenannten Corona-Rassismus, darunter Los Angeles, New York City und Boston. Anders sieht das hierzulande aus. In Deutschland wird der Rassismus laut Schindler nicht ernst genug genommen. „Das Problem ist, dass diese Übergriffe als einzelne Vorfälle und nicht im Zusammenhang gesehen werden.“

Eine Demonstration gegen antiasiatischen Hass in Boston.

Eine Demonstration gegen antiasiatischen Hass in Boston.

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Warum ist das so? Laut Schindler fehle es an Aufarbeitung, was den Kolonialismus und die Vorfälle in den 1990er-Jahren angeht. Außerdem gebe es nicht genügend gebündelte Informationen, um den ganzen historischen Kontext – vom Kolonialismus über Hoyerswerda bis zu Corona – zu erfassen.

Kure-Wu zieht ebenfalls den Aspekt der „Vorzeigeminderheit“ als eine Erklärung heran, warum antiasiatischer Rassismus in Deutschland nicht als ein tiefgreifendes Problem erkannt wird. Dieser Begriff stammt ursprünglich aus den USA („Model Minority“) und beschreibt, wie Menschen mit südost- und ostasiatischen Wurzeln mit vermeintlich positiven Stereotypen besetzt werden. So gelten sie zum Beispiel als höfliche, fleißige und gesetzestreue Menschen.

Dies klingt erst mal nach etwas Gutem – doch „positive“ Vorurteile generalisieren Asiatinnen und Asiaten genauso wie negative und markieren sie als fremd, wie die Diversitätsforscherin Farzana Nayani letztes Jahr erklärte. Gleichzeitig sorgen diese Vorurteile dafür, dass antiasiatischer Rassismus weitgehend ignoriert wird, weil andere Minderheiten es in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ungleich schwerer haben. „Allgemein gelten wir als die Gruppe, die fleißig ist und nicht stört. Das führt dazu, dass Asiaten häufig unterm Radar fliegen und unsichtbar erscheinen“, sagt die Schauspielerin Minh-Khai Phan-Thi dem RND.

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