Olaf Meidt: Ein Leben für das Auto zwischen Elchtest und chinesischem Geschmack
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Nach dem legendären Elchtest, bei dem 1997 eine Mercedes A‑Klasse umkippte, besserte das Unternehmen bei der elektronischen Fahrtstabilisierung nach. Für die Presseabteilung und Olaf Meidt war der Vorgang damals allerdings der Super-GAU.
© Quelle: dpa
Die Eltern besaßen kein Auto, aber durch die Nähe seines Wohnortes zum legendären hessischen Schottenring kam er schon früh mit dem Motorsport in Berührung: Olaf Meidt hat sein ganzes Berufsleben mit Autos zu tun gehabt, die meiste Zeit als Bindeglied zwischen Industrie und Öffentlichkeit. Zuerst als Journalist und Ghostwriter für Rennfahrergrößen wie den früh tödlich verunglückten Stefan Bellof, dann als Pressesprecher für die Marken Lancia, Alfa Romeo, Mercedes, Saab und Opel in Österreich, die vergangenen 15 Jahre für Volvo Car Germany, dort seit 2011 auch als Mitglied der Geschäftsleitung.
Mitte des Jahres geht der bald 66-Jährige in den Ruhestand und will dann Deutschland von Süden nach Norden entlang der alten Grenze zwischen Bundesrepublik und DDR durchqueren – ganz allein mit Mountainbike und Rucksack. In seiner Zeit in der Automobilindustrie hat Meidt alle großen Veränderungen der Branche miterlebt, sowohl technologisch als auch kulturell: vom legendär missglückten Elchtest der Mercedes A‑Klasse bis zur Abschaffung des Krawattenzwangs bei offiziellen Anlässen. Zeit, Bilanz zu ziehen.
Eine Liebe zu Lancia
Dass Olaf Meidt schon in frühen Jahren die Seite gewechselt und den Redaktionsschreibtisch gegen einen in der Industrie getauscht hat, lag an der besonderen Beziehung zur Marke Lancia, die er damals als freier Journalist mit eigenem Redaktionsbüro im Motorsport begleitete. „Claus Witzeck, der damalige Pressechef von Fiat in Deutschland, wollte ein neues Team aufbauen und hat mich gefragt, ob ich mir auch eine Stellung in der Industrie vorstellen könnte. Am 2. Januar 1992 habe ich dann mein Büro als Pressesprecher von Lancia Deutschland in Heilbronn bezogen.“
Kurz darauf wurde dem damals 36-Jährigen auch die Pressearbeit für Alfa Romeo übertragen. „Ich habe von den Italienern damals gelernt, wie man ein guter Gastgeber ist und wie man von dieser Seite des Schreibtisches aus mit Journalisten umgeht und guten, zuverlässigen Service bietet.“
Die kommenden fünf Jahre bei Daimler in Stuttgart gerieten dann turbulent. Ende August 1997 verunglückte Lady Diana in einer Mercedes S‑Klasse in einem Pariser Tunnel tödlich. Ein Unfall, der den Konzern noch lange beschäftigen sollte. Prägend war nur zwei Monate später dann ein ganz anderer Vorfall, den niemand bis heute vergessen hat: Die A‑Klasse kippte beim sogenannten Elchtest um. 1998 kam es dann zur groß angekündigten Fusion von Daimler und Chrysler, die schließlich als „Hochzeit des Grauens“ in die Automobilgeschichte einging.
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Geht nach 30 Jahren in der Automobilindustrie in den Ruhestand: Olaf Meidt, Pressesprecher bei Volvo und einer der dienstältesten Mitarbeiter in der Branche.
© Quelle: Privat
„Was in Europa los war, hat Chrysler nicht interessiert“
Dass die Sicht auf die Branche auf beiden Seiten des Atlantiks ganz unterschiedlich ausfiel, war in diesem Zusammenhang eine interessante Erfahrung: „Als die beiden Unternehmen zusammengekommen sind, war der damalige Produktpressechef von Chrysler noch nie in seinem Leben auf einer Automesse in Europa gewesen“, erinnert sich Meidt. „Was ist der Autosalon in Paris? Oder der in Genf? Was ist die IAA in Frankfurt? Das alles interessierte die überhaupt nicht. Sie haben auf ihrem Kontinent gelebt und große Autos gebaut. Und was in Europa los war, hat die nicht interessiert. Wir haben uns gefragt: Wie kann das sein?“
Dass verhärtete Fronten nicht immer auf Dauer bestehen müssen, hat Meidt nach dem Elchtestdesaster erlebt: „Die schwedischen Journalisten waren damals vehement gegen Mercedes. Ich habe sie alle später bei Saab und Volvo wieder getroffen. Wir konnten schließlich ganz locker im Rückblick darüber auch mal lachen.“ Gegenteilig waren dagegen die Erfahrungen nach dem tödlichen Unglück von Diana: „Plötzlich hatten wir es mit der Yellow Press aus der ganzen Welt zu tun, das war ein ganz anderes Klientel.“ Die Aufgabe einer Presseabteilung sei es ja, ein Unternehmen in der Öffentlichkeit positiv darzustellen und in kritischen Situationen Schaden abzuwenden: „Da hatten wir schweren Stress.“
Volvos Wechsel von Ford zu Geely
Als Meidt 2007 – nach einem Jahr bei General Motors in Wien – bei Volvo anheuerte, gehörten die Schweden noch zu Ford. Drei Jahre später kam dann der Verkauf an den chinesischen Automobilriesen Geely. Wobei die Chinesen damals auf dem europäischen Markt noch keine große Rolle spielten. Auch wenn Geely Volvo in vielen Dingen freie Hand ließ und sich der Erfolg unter neuem Besitzer schnell einstellte, traten die kulturellen Unterschiede zwischen den Chinesen und den Europäern immer wieder zutage, beispielsweise bei der Werkseröffnung von Volvo im chinesischen Chengdu.
Ein italienischer Journalist wollte vom Geely-Gründer und Vorstandsvorsitzenden Li Shufu wissen, was der vom für den chinesischen Geschmack geradezu puristischen skandinavischen Design des Volvo-Innenraums halte. Meidt: „Li Shufu sagte, diese Frage könne er nun wirklich nicht beantworten, weil er in Autos nur immer hinten rechts säße.“
Meidt sieht einige chinesische Autobauer heute im Zeitalter der Elektromobilität auf Augenhöhe mit den europäischen Herstellern. „Wir haben über sie gelächelt, wie übrigens auch über die Anfänge von Tesla, aber beim Elektroantriebsstrang sind alle gleich. Und da werden die Chinesen immer stärker. Ob sie in absehbarer Zeit in klassischen Disziplinen wie Fahrwerk oder Sicherheit genauso weit sind wie die Europäer, wird sich zeigen. Die Herausforderungen sind hier schon sehr groß.“ Zwar hätten hundert Jahre Automobilbau in Europa extreme Kompetenzen gebracht, „aber wir müssen uns auch in Zukunft sehr anstrengen“.
Gewaltige Fortschritte in der Sicherheit
Zu den wichtigsten Wegmarken der Automobilindustrie in den vergangenen drei Jahrzehnten zählen zweifellos die gewaltigen Fortschritte in puncto Fahrzeugsicherheit, Umweltschutz und Infotainment. „Als ich angefangen habe, hatten wir im Jahr noch um die 12.000 bis 13.000 Verkehrstote in Deutschland, heute liegen wir bei unter 3000. Und das, obwohl viel mehr Autos auf den Straßen unterwegs sind und viel mehr gefahren wird. Auf dem Gebiet hat sich – angefangen beim Airbag bis zu den Fahrerassistenzsystemen – unheimlich viel getan“, zieht der Pressemann Bilanz.
Doch auch der Umweltschutz sei in der Industrie immer ein Thema gewesen, „auch wenn sich manch ein Hersteller da schwergetan hat“. Katalysatoren, Direkteinspritzung bei Dieselmotoren und überhaupt die ganze Abgasreinigung seien wesentliche Fortschritte gewesen. „Man darf hier nicht vergessen, dass die technische Entwicklung eines Autos ein hochkomplexer Vorgang ist, verbunden mit einem hohen finanziellen Einsatz“, sagt Meidt. Die Folgen seien heute in der Konzentration vieler Marken unter dem Dach einiger Konzerne zu sehen: „Den notwendigen finanziellen Einsatz können die Kleinen heute nicht mehr leisten, von Ausnahmen exklusiver Marken wie Porsche oder Ferrari einmal abgesehen, die aber auch auf die Power aus ihren Konzernen zugreifen.“
„Ein Automodell ist ein riesiges Investment“
Auch den Vorwurf, die Automobilindustrie sei im Vergleich zu anderen Industrien wie beispielsweise der Unterhaltungselektronik viel zu schwerfällig und langsam, sieht Meidt differenzierter: „Klar gab und gibt es Marken, die sich immer wieder schwertun, aber eines darf man nicht vergessen: Ein Automodell muss unter den verschiedensten Bedingungen viele Jahre funktionieren und ist ein riesiges Investment, auch in die Fabriken.“
Der Weg von den Richtungspfeilen erster Navigationssysteme in Autoradios bis zu den heutigen hochauflösenden Display- und Monitorlandschaften sei doch ganz schön weit gewesen. Und überhaupt sei doch schon der Auftritt vieler Automobilhersteller in der Öffentlichkeit sehr viel lockerer geworden: „Dass wir heute nicht mehr ständig piekfein mit Anzug und Krawatte dastehen und selbst die CEOs in streng hierarchisch strukturierten Unternehmen in den Bilanzpressekonferenzen ganz locker im Pullover dasitzen, ist doch ein bemerkenswerter Fortschritt.“
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