Neue Praktika, erleichterte Anerkennung: Sachsen öffnet sich für internationale Arbeitskräfte
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Sachsen braucht pro Jahr bis zu 15.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland, um seine wirtschaftliche Leistung halten zu können.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Dresden. Die Mahnungen sind allgegenwärtig: Sachsen gehen die Arbeitskräfte aus. Schon jetzt suchen Tausende Betriebe händeringend nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Für das Jahr 2022 wurde soeben der Rekord von 92.500 freien Stellen gemeldet – das sind elf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Doch die Lage wird sich weiter verschärfen, besagen Prognosen: Aufgrund des demografischen Wandels werden bis 2030 – also schon in sieben Jahren – mindestens 150.000 Sachsen weniger als heute auf dem Arbeitsmarkt sein, bis 2035 wahrscheinlich weitere 60.000. Mit anderen Worten: Es werden weitaus mehr Beschäftigte in Rente gehen als es Neueinsteiger geben wird.
Sachsen braucht pro Jahr bis zu 15.000 Zuwanderer
Deshalb rechnet Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) damit, dass künftig pro Jahr bis zu 15.000 ausländische Arbeitskräfte notwendigsein werden, um die einheimischen Abgänge zu kompensieren: "Es geht um den Erhalt von Arbeitsplätzen, um die Existenz von Unternehmen – und das mittlerweile in allen Branchen." Das bedeute: Der Freistaat müsse sich noch weiter für die internationalen Arbeitskräfte öffnen. So sieht es auch der Chef der Landesarbeitsagentur, Klaus-Peter Hansen: "Sachsen ist ein Land, in dem sich gut arbeiten und leben lässt. Damit das so bleibt, braucht Sachsen Zuwanderung."
Ziel sei, so erklärt Dulig gegenüber der LVZ, ein "Pakt für Zuwanderung" mit der Wirtschaft, der Wissenschaft und allen gesellschaftlich relevanten Gruppen. Zuletzt hatte die schwarz-grün-rote Landesregierung einen ersten Maßnahmenplan beschlossen, der nun ebenfalls praktisch untersetzt wird.
Anwerbung von Jugendlichen soll verstärkt werden
„Wir werden die Zusammenarbeit mit Staaten, die einen hohen Jugendüberschuss haben und über ein hohes Bildungsniveau verfügen, verstärken. Dazu zählen unter anderem Vietnam, Kirgisistan, Ägypten oder Brasilien“, kündigt Dulig nun an. Vorgesehen sei unter anderem ein Modellprojekt zur Förderung von Praktika internationaler Arbeitskräfte in sächsischen Unternehmen. „Durch den Wegfall der sogenannten Vorrangprüfung zur Aufnahme einer Ausbildung können zudem mehr internationale Auszubildende gewonnen werden“, meint der Wirtschaftsminister.
Ausländischer Anteil in Sachsen steigt – aber weit unter Bundesdurchschnitt
In Sachsen gibt es derzeit 1,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Davon kommen 6,8 Prozent aus dem Ausland – der Bundesdurchschnitt liegt mit 14,1 Prozent mehr als doppelt so hoch. Allerdings kamen im aktuellen Jahresvergleich zu 2021 rund 15 Prozent mehr ausländische Beschäftigte hinzu: Damit gehen fast drei Viertel des Arbeitskräftezuwachses in Sachsen auf das Konto von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern. Unter den Herkunftsländern machen Polen (18.485), Syrien (17.985), Rumänien (11.480) und Russland (8815) die größten Anteile aus.
Daneben arbeiten derzeit schon 5200 Menschen aus der Ukraine im Freistaat, das sind 2700 mehr als im Frühjahr 2022. Allerdings sind parallel auch noch 19.800 Ukrainerinnen und Ukrainer als arbeitssuchend gemeldet.
Anerkennungsverfahren sollen deutlich zügiger gehen
Um verstärkt Zuwanderung zu ermöglichen, sollen Anerkennungsverfahren von ausländischen Abschlüssen, die derzeit im Durchschnitt anderthalb Jahre dauern, durch Personalaufstockungen unter anderem in der Landesdirektion Sachsen viel schneller gehen. Darüber hinaus sind unter anderem Integrationszentren auch in kleineren Städten, Sachsen-Botschafterinnen und -Botschafter mit Migrationshintergrund sowie Stellenangebote auf Englisch geplant. Dafür werden bis Ende 2024 vorerst 17,5 Millionen Euro veranschlagt.
Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth (CDU) hält darüber hinaus ein Abschiebeverbot für potenzielle Fachkräfte für denkbar: Die Ausländerbehörden müssten sensibilisiert werden, das Potenzial der Antragssteller ergebnisoffen zu prüfen.
Bundesregierung plant weitere Erleichterungen für Zuwanderung
Flankiert werden die sächsischen Bemühungen von einem neuen Programm, das die Bundesregierung plant. Demnach soll zum Beispiel stärker auf die Einschätzung des Arbeitgebers vertraut werden, ob eine internationale Arbeitskraft für die Beschäftigung auf einer bestimmten Stelle geeignet ist: Die im Ausland erworbenen Qualifikationen müssen dann nicht mehr bereits vor der Einreise anerkannt sein, stattdessen kann die Arbeit begonnen werden und die Berufsanerkennung parallel dazu erfolgen.
Haben die Beschäftigten im Ausland eine zweijährige Ausbildung absolviert und darüber hinaus mindestens zwei Jahre Berufserfahrung, soll ein Berufsanerkennungsverfahren überhaupt nicht mehr erforderlich sein. „Das ist eine gute Ausgangsposition für alle sächsischen Unternehmen, die wollen“, erklärt Dulig.
Dulig: Kulturwandel zu einem Einwanderungsland notwendig
Sowohl der Minister als auch der Arbeitsagenturchef verweisen allerdings auf einen wesentlichen Punkt: Entscheidend sei, so Dulig, dass sich eine "Willkommens-, Ermöglichungs- und Servicekultur" entwickele. "Unser gemeinsames Ziel muss sein, dass Sachsen ein attraktives Ziel für die Menschen ist, die zu uns kommen. Letztlich brauchen wir einen Kulturwandel hin zu einem Einwanderungsland für Fachkräfte, das international konkurrenzfähig ist." Letztlich sei aber die "Haltungsfrage" jedes Einzelnen maßgeblich, ob Zuwanderung künftig besser gelingt – das könnten keine verordneten politischen Instrumente leisten, , betont der Wirtschaftsminister. Deshalb wirbt auch Hansen für eine, wie er sagt, "echte Willkommenskultur" in Sachsen.