Studie des Sozialministeriums

Corona-Folgen in Sachsen: Deutlich mehr seelische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Immer mehr Kinder und Jugendliche sind in Sachsen seelisch krank. Das ist auch eine Folge der langen Schulschließungen während der Corona-Pandemie, stellt jetzt eine Studie fest.

Immer mehr Kinder und Jugendliche sind in Sachsen seelisch krank. Das ist auch eine Folge der langen Schulschließungen während der Corona-Pandemie, stellt jetzt eine Studie fest.

Dresden. Mit dem Wissen von heute wären in den vergangenen drei Jahren einige Corona-Schutzmaßnahmen anders ausgefallen – und hätte es vor allem keine ausgedehnten Schulschließungen gegeben. Das haben Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) und Kultusminister Christian Piwarz (CDU) am Dienstag bei der Vorstellung einer Studie zu psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen eingestanden. Demnach wirkt die Pandemie weiterhin nach: Depressionen, Essstörungen und Ängste haben insbesondere bei Mädchen deutlich zugenommen.

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Die Studie

Das Sozialministerium hatte die erste sachsenweite Studie beim Institut für Gesundheits- und Sozialforschung Berlin (Iges) bereits Ende 2021 in Auftrag gegeben. Die Analyse konzentrierte sich auf Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren, die gesetzlich versichert sind und von einem Arzt oder Psychotherapeuten behandelt wurden. Die Diagnosen wurden anonymisiert ausgewertet und betreffen den Zeitraum zwischen 2018 und Ende 2021. Zudem wurden 33 Experteninterviews durchgeführt.

Köpping stellte klar, dass es sich nicht um eine Vollerhebung der psychischen Situation aller sächsischen Kinder und Jugendlichen handelt. Auch die Auswirkungen anderer Krisen wie Klima, Energie oder Russlands Krieg gegen die Ukraine bleiben unberücksichtigt. Darüber hinaus schreibt die Studie der Staatsregierung noch ins Stammbuch: Bei allen künftigen Entscheidungen sollten die Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen mitbedacht werden.

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Die Ergebnisse

Das wesentliche Ergebnis der 86 Seiten umfassenden Studie lautet: Die Zahl der psychischen Erkrankungen hat zum Teil deutlich zugenommen – und das insbesondere bei Mädchen, die sich laut Köpping früher als Jungen öffnen und Hilfe zulassen. So wurden vor Corona durchschnittlich 1045 Mädchen pro Quartal wegen Depressionen behandelt, während der Pandemie waren es 1275. Ein ähnlicher Anstieg ist bei Angstzuständen festgestellt worden: Hier wuchsen die Fälle von 1400 auf 1750 im Quartal. Dabei stiegen die festgestellten Erkrankungen bei Mädchen „kräftig“, wie es in der Studie heißt, um 35 Prozent. Bei Jungen waren es 22 Prozent, was als „ebenfalls auffällig hoch“ eingeschätzt wird.

Auch die Essstörungen haben stark zugenommen: Wurden ehemals durchschnittlich 530 Mädchen pro Quartal deswegen behandelt, sind es während der Pandemie 660 gewesen. Dabei waren die 15- und 16-Jährigen besonders betroffen, bei ihnen wurde ein Anstieg der Fälle um 28 Prozent registriert. Doch auch immer mehr Jungen leiden unter Essstörungen – und das auch noch relativ frühzeitig: So gab es bereits bei 12- bis 14-Jährigen eine Erhöhung um 12 Prozent.

Insgesamt stellt die Studie fest, dass die Neuanfragen für entsprechende Behandlungen während der Pandemie stark gestiegen sind, obwohl die Beratungs- und Therapiemöglichkeiten schon vor Corona ausgelastet gewesen seien. Deshalb würden die Wartezeiten immer länger, so Köpping, und müsse das Angebot deutlich ausgebaut werden. Beängstigend ist eine weitere Entwicklung: Neben den Fallzahlen hat sich auch die Dringlichkeit – etwa aufgrund von suizidalen Gedanken und Selbstverletzungen – erheblich erhöht.

Die Einordnung

„Mit den heutigen Erkenntnissen hätten wir einiges anderes gemacht“, räumte Köpping am Dienstag ein, „doch damals hatten wir wenig Wissen über das Virus.“ Nichtsdestotrotz sei stets „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt worden. Dabei sind die Schulschließungen der wohl wesentlichste Punkt: Insgesamt 86 Tage gab es in Sachsen keinerlei Präsenzunterricht, hinzu kamen weitere Einschränkungen durch sogenannte Wechselmodelle oder aufgrund von zahlreichen Ausfällen unter den Lehrkräften.

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Auch Piwarz stellte klar: „Die Kinder und Jugendlichen haben teilweise einen sehr hohen Preis gezahlt, damit andere Gruppen geschützt werden.“ Aus heutiger Sicht hätte es die Schulschließungen nicht in diesem Umfang geben müssen – selbst wenn Sachsen bundesweit die wenigsten Schließtage aufweise. Speziell die Bundes-Notbremse im Frühjahr 2021 sei „völlig unnötig“ gewesen, was die Kinder und Jugendliche betreffe, so der Kultusminister: „Das große Problem war, dass man sich zu sehr auf die virologische Sicht bezogen hat. Manche Stimme der Kinder- und Jugendärzte wurde zu wenig gehört.“ Für den Fall, dass es erneut eine Pandemie geben sollte, müsse gelten: Schließungen von Kitas und Schulen dürften erst der letzte Schritt sein – „bei Corona war es leider der erste Schritt“.

Die Konsequenzen

Beide Minister verwiesen am Dienstag darauf, dass derzeit präventive Maßnahmen an den Schulen ausgebaut werden, um die Früherkennung von psychischen Problemen bei Schülerinnen und Schülern zu verbessern. So soll die Zahl der Schulpsychologen von 58 auf 109 fast verdoppelt werden, womit Sachsen in der Bundesrepublik einen Spitzenplatz einnehmen wird. Die Ausschreibungen für die Stellen haben begonnen. Auch in der Schulsozialarbeit wurde das Budget für dieses und nächstes Jahr erhöht: Standen 2022 noch 32,5 Millionen Euro zur Verfügung, sind es aktuell 36 Millionen und 2024 insgesamt 37 Millionen Euro. Allerdings werden diese Summen nicht ausreichen, um an jeder Schule tatsächlich Sozialarbeit anbieten zu können.

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Daneben werden etwa das Beratungszentrum für Essstörungen in Leipzig, das Landesprogramm Suizidprävention und die (Re-)Aktivierung von örtlicher Jugendarbeit gestärkt. Laut Piwarz soll auch mit Hilfe von Ganztagsangeboten und durch das Corona-Aufholprogramm die Resilienz der Schülerinnen und Schüler gefördert werden. Dahinter verbergen sich Programme zur Stressverarbeitung und zum Sozialtraining sowie Kunst-, Tanz-, Theater- und Sportangebote, um psychosoziale Belastungen abzubauen. „Die Schließungen von Kitas und Schulen hatte Folgen für die seelische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen, die für mich gravierender sind als entstandene Bildungslücken. Bildungsdefizite lassen sich aufholen – das ist bei den psychosozialen Folgen ungleich schwerer möglich“, sagte der Kultusminister.

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