Die Anti-Kretschmer: Petra Köppings neue Rolle in der Sachsen-SPD
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Petra Köpping hat als sächische Sozialministerin in der Corona-Krise an Profil gewonnen. In der SPD gilt sie momentan als Favoritin, wenn es um die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2024 geht.
© Quelle: Hendrik Schmidt/dpa
Dresden. Zwei sächsische Minister wollen sich ab sofort regelmäßig interviewen und ganz öffentlich ins Gespräch kommen. „Die A-Seite“ nennt sich der Podcast, den Wirtschaftsminister Martin Dulig und Sozialministerin Petra Köpping (beide SPD) gestartet haben, einiges Tamtam auf ihren Social-Media-Profilen inklusive. Kein trockenes Audioformat schwebt den beiden vor, wie sie in der Beschreibung beteuern. Vielmehr soll es – das versteht sich für zwei Sozialdemokraten von selbst – menscheln. Dulig und Köpping wollen nicht bloß vom „Arbeitsalltag in Dresdens Regierungsviertel“ berichten, sondern versprechen einen „persönlichen Einblick mit Herz und Menschlichkeit“. Mit ebendiesem Herz und ebendieser Menschlichkeit könnte es aber unter Umständen schwierig werden.
In der SPD ist es ein offenes Geheimnis, dass Dulig und Köpping um die Spitzenkandidatur für die nächste Landtagswahl konkurrieren. Seit Wochen beschäftigt die Kandidaten-Frage die Partei. Offen, wie die Antwort der SPD ausfallen wird. Aber momentan spricht nach LVZ-Informationen einiges dafür, dass Köpping 2024 ihre Parteifreunde in die Wahl führt.
Kein Automatismus für Dulig
Selbst intern dürfte das für manchen eine Überraschung sein. Dulig ist zweiter stellvertretender Ministerpräsident, war 2014 und 2019 Spitzenkandidat. Die Bekanntheitswerte des 49-Jährigen waren in der SPD lange Zeit das Nonplusultra. Nun heißt es: „Es gibt keinen Automatismus, dass Dulig Spitzenkandidat wird.“
Die sächsische SPD äußert sich zur Kandidatensuche auf Anfrage allgemein: „Wir sind in der komfortablen Situation, dass wir bei der Spitzenkandidatur innerhalb der SPD mehrere mögliche Varianten diskutieren können“, sagt ein Parteisprecher. „Wir sind hier in einem guten Austausch.“
Parteichef Henning Homann und seine Co-Vorsitzende Kathrin Michel haben das Vorschlagsrecht für die Spitzenkandidatur. In einem Vorstandsbeschluss aus dem Dezember ist festgelegt, dass sie „im dritten, spätestens vierten Quartal 2023“ jemanden benennen: eine Kandidatin, einen Kandidaten oder ein Kandidatenduo – wobei sich ein Duo kaum jemand vorstellen kann. Der Landesvorstand wird vor dem Landesparteitag im November über den Vorschlag beraten.
In der Corona-Krise gewann Köpping an Profil
Die Zeit bis zum Herbst ist nicht lang: Die Wahlkämpfe aller Parteien werden aktuell vorbereitet. Wie die anderen legt die SPD jetzt fest, mit welcher Strategie sie bei den Wählerinnen und Wählern punkten möchte. Früh zu wissen, wer als Spitzenkandidatin oder als Spitzenkandidat in der ersten Reihe steht, hilft die Kampagne auf sie oder ihn zuzuschneiden. Deshalb wird in der SPD erwartet, dass die Dinge möglichst schnell geklärt werden.
Die Wahl zwischen Dulig und Köpping wirkt unvermeidlich. Beide haben sich in den vergangenen Jahren eine Prominenz erarbeitet, an die das übrige sozialdemokratische Spitzenpersonal – die beiden Parteivorsitzenden und SPD-Fraktionschef Dirk Panter – nicht herankommt. Besonders Köpping hat in der Corona-Krise an Profil gewonnen. Sie war es, die den Sächsinnen und Sachsen täglich, wöchentlich die Lage erklärte und oftmals die Verordnungen der Landesregierung verteidigen musste. Sie hat mit ihrer emotionalen Art manchen handwerklichen Schnitzer auffangen können. Das geben auch CDU-Abgeordnete und Grüne zu.
Duligs Ansehen hat 2019 gelitten
Dulig wird im Vergleich zu Köpping von Parteifreunden als der „komplettere“ Politiker beschrieben. An der Basis schwärmen sie mancherorts von ihm. Doch Teile der Partei können sich eine erneute Spitzenkandidatur Duligs unmöglich vorstellen: Sein Ansehen hat nach dem desolaten Wahlkampf 2019 schwer gelitten. Er hat bei den anschließenden Koalitionsverhandlungen am Wirtschaftsministerium festgehalten, obwohl es in der SPD teils als Erlösung empfunden worden wäre, hätte sie das ungeliebte Haus abgeben dürfen. Es fehlte wenig und die SPD hätte vor zwei Jahren Dulig die Wiederwahl als Parteivorsitzender verweigert. Am Ende verzichtete er von sich aus.
Eine Spitzenkandidatin Köpping hat in der SPD Befürworter, weil sie im Gegensatz zu Dulig unbelastet von diesen Parteiquerelen starten könnte. Viele wissen, dass Köpping bei trockenen Zahlen und reinen Fakten ins Schwimmen kommen kann. Sie halten das aber wegen ihrer „ehrlich-empathischen“ Art für verschmerzbar. Im Feld der anderen Kandidaten könnte die Sozialministerin herausstechen, ist man überzeugt: Neben Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), AfD-Parteichef Jörg Urban, dem FDP-Mann Robert Malorny würde Köpping als Frau auffallen. Sie wäre neben Justizministerin Katja Meier, dem weiblichen Part im Grünen-Duo, Stand jetzt die einzige Spitzenkandidatin.
Viel Verständnis für ostdeutsche Befindlichkeiten
„Petra Köpping ist eine Art Anti-Kretschmer. Man hat bei ihr nicht das Gefühl, dass sie aus Kalkül mit den Leuten redet“, hört man in der Partei. „Selbst diejenigen, die in anderen politischen Lagern unterwegs sind, zollen ihr Respekt. Und wir müssen Menschen aus diesen Lagern dazu bringen, 2024 SPD zu wählen, damit wir zulegen.“
In Gesprächen wird in diesen Tagen regelmäßig daran erinnert, dass Köpping vor Jahren schon das Selbstwertgefühl der Ostdeutschen stärkte und um Verständnis für manche Wut warb. Ihr Buch „Integriert doch erst mal uns!“ wurde 2018 ebenso im Westen mit Interesse gelesen. Sie bekam viel Aufmerksamkeit – und versuchte schließlich, SPD-Bundeschefin zu werden. Was ihr allerdings misslang.
Nach der Landtagswahl 2019 kam ziemlich schnell das Gerücht auf, Köpping könnte zur Hälfte der Legislaturperiode als Ministerin aufhören. Falls es diese Überlegungen jemals gegeben hat: Sie sind von der Realität überholt worden. Die 64-Jährige erweckt nicht den Eindruck, als wolle sie sich ins Private zurückziehen.
Wird Dulig nur einfacher Abgeordneter?
Die Lage ist für die sächsische Sozialdemokratie trotzdem heikel: Die SPD hat unter den neuen Parteichefs nach langer Zeit die internen Streitereien hinter sich gelassen. Der Landesverband erscheint geeint wie selten. Die Entscheidung zwischen Köpping und Dulig hat das Zeug, zum Störfaktor zu werden. Sie bedingt schließlich, wer bei einer erneuten Regierungsbeteiligung ins Kabinett einzieht.
Niemand in der SPD widerspricht, dass Köpping im Falle ihrer Spitzenkandidatur den ersten Zugriff hätte. Das bedeutet aber auch: Ohne Spitzenkandidatur wäre Dulig als Minister in einem künftigen Kabinett nicht mehr gesetzt. Parteichef Homann und der Fraktionsvorsitzende Panter kämen gleichberechtigt in Betracht. Am Ende könnte Dulig einfacher Abgeordneter sein.
Dulig und Köpping schweigen
Sowohl Dulig als auch Köpping nehmen derzeit zur Kandidatensuche keine Stellung. Sie verweisen auf den Landesverband. Beide schweigen lieber, als sich zu positionieren.
Das Podcast-Projekt der beiden Minister läuft weiter: Die nächste Folge der „A-Seite“ soll spätestens am Mittwoch erscheinen. Vielleicht lässt sich dann schon erahnen, wie es um die Rangordnung im Duo bestellt ist. Das eine oder andere SPD-Mitglied dürfte jedenfalls genau hinhören.