Leipziger Netzwerk koordiniert Ukraine-Hilfe: „Das Engagement der Zivilgesellschaft ist unglaublich groß“
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Die Sammelstelle in der Russenstraße – inzwischen ist diese in den Kohlrabizirkus umgezogen. Rechts Boris Parasochka, Initiator von „Leipzig helps Ukraine“.
© Quelle: Wolfgang Sens/Alexander Hertel
Leipzig. „Wir brauchen im Kohlrabizirkus aktuell noch helfende Hände, bitte kommt vorbei“, schreibt jemand. Und davor heißt es: „Hallo, ich bin eine Dolmetscherin, braucht ihr Unterstützung?“ In der Chatgruppe „Leipzig helps Ukraine“ (Telegram) laufen aktuell sehr viele Fäden zusammen, wenn es um gezielte Unterstützung aus der Messestadt für Menschen aus den ukrainischen Kriegsgebieten geht. Die LVZ sprach mit Initiator Boris Parasochka (30 Jahre) über das engagierte Netzwerk.
Wie kam es zur Initiative „Leipzig helps Ukraine“?
Meine ganze Familie und viele Freunde leben noch in der ukrainischen Stadt Sumy, nordöstlich von Kiew. Als der Krieg begann, musste ich nicht lange überlegen: Ich habe sofort die Telegram-Gruppe „Leipzig helps Ukraine“ gestartet. In kurzer Zeit kamen sehr viele Menschen dazu, aktuell haben wir bereits 3500 Mitglieder in der Hauptgruppe. Dazu gibt es noch mehrere themenspezifische Untergruppen – wie zum Beispiel zur Organisation von privaten Unterkünften, zum Sammeln von Spenden, Hilfe für Kinder, Hilfe für Geflüchtete aus Minderheiten, für LGBTQ-Personen, für Menschen mit Behinderungen und für Übersetzungsaufgaben. Wir wachsen pro Tag um etwa 500 Mitglieder. Wir sehen unsere Hauptaufgabe beim Vernetzen, beim Kooperieren und Koordinieren.
„Dynamik in der Gruppe ist enorm hoch“
Kümmert Ihr Euch eher um die Geflüchteten die herkommen oder um die Hilfe in der Ukraine selbst?
Wir sind eine Plattform für alle. Sowohl für die Menschen, die hier sind, als auch für alle, die jetzt aus der Ukraine kommen und für Hilfsangebote in die Ukraine hinein. Die Dynamik in der Gruppe ist enorm hoch. Fast jede Sekunde passiert etwas, wird ein neues Thema aufgemacht, gibt es Angebote, Nachfragen. Das Engagement der Zivilgesellschaft in Leipzig ist unglaublich groß. Wir können selbst natürlich nicht alles organisieren, versuchen dann über die Gruppe Kooperationspartner zu finden, die weiterhelfen. Zuletzt gab es beispielsweise Probleme bei der Ausreise von nigerianischen Studenten aus der Ukraine. Dann haben wir ein Team aufgebaut, dass sich konkret auch mit der Flucht von People of Color (PoC) beschäftigt.
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Am Donnerstagabend lud die Stadt Leipzig erstmals verschiedenste Initiativen der Ukraine-Hilfe zum Vernetzungstreffen ins Neue Rathaus ein.
© Quelle: Dirk Knofe
Nun gab es das erste Treffen mit der Stadt Leipzig. Was erwarten Sie von der Verwaltung?
Wir freuen uns auf die Kooperation mit der Stadt und den anderen Initiativen hier in Leipzig. Wir wollen verstehen, wen es alles gibt und was die Probleme der anderen Organisationen sind. Es ist sinnvoll, dass jemand Dinge koordiniert und schaut, wer bei bestimmten Fragen der richtige Ansprechpartner sein könnte. Wir wollen aber auch, dass die Stadtverwaltung offen sagt: Das sind unsere Probleme, hierbei könntet ihr uns vielleicht helfen. Zum Beispiel bei Übersetzungen: Wir haben inzwischen bei „Leipzig helps Ukraine“ schon einen Pool mit Übersetzerinnen und Übersetzern aufgebaut und die Verwaltung könnte davon profitieren.
Zur Person
Der 30-jährige Boris Parasochka wurde in der Ukraine geboren und lebt seit 2013 in Deutschland. Seine Familie und viele Freunde sind noch in seiner Heimat Sumy – einer Großstadt im Nordosten der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Parasochka arbeitet ansonsten als Data Analytics Consultant in Leipzig.
Beratungsräume und rechtliche Unterstützung benötigt
Wobei braucht ihr dringend Hilfe?
Wir wollen weiter unabhängig bleiben, müssen uns deshalb eine rechtliche Form geben. Bei der Vereinsgründung bräuchten wir Unterstützung. Wir wollen auch künftig schnell agieren können und nicht lange warten müssen, ehe es Hilfe bei konkreten Dingen gibt. Wenn es Infoblätter braucht, die am Bahnhof verteilt werden sollen, dann muss das schnell passieren. Ganz wichtig sind auch Räume, in denen wir uns treffen können. Bisher passiert alles in der Gruppe ausschließlich digital. Das sollten bestenfalls zentrale Räume sein, in denen 100 Menschen und mehr zusammen kommen können. Darüber hinaus wären Kontakte zu Anwälten oder Notaren sehr hilfreich, die uns vielleicht bei rechtlichen Detailfragen beraten können. Nicht zuletzt freuen wir uns natürlich auch über Spenden.
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Aktuell ist die Zahl der Geflüchteten, die bis nach Leipzig kommen, noch überschaubar. Was denken Sie, wie viele Menschen werden noch kommen?
Wir sind in engem Kontakt mit einer Partnerorganisation in Berlin. Dort sind Schätzungen zufolge bereits 80.000 Geflüchtete angekommen. Die werden nicht alle in der Hauptstadt bleiben können. Wir rechnen deshalb schon in den nächsten Tagen mit deutlich mehr, die hier in Leipzig Unterstützung brauchen.
Von Matthias Puppe