Aktion gegen sexuelle Vielfalt an Schulen: Wie weit darf die AfD gehen?
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Fähnchen mit dem Logo der AfD liegen beim einem Landesparteitag auf dem Tisch.
© Quelle: Daniel Karmann / dpa
Dresden. Wer in den nächsten Wochen seine Kinder morgens zur Schule bringt, könnte dabei von Politikern der AfD aufgehalten werden: Mit einer sachsenweiten Kampagne soll vor dem Sexualkunde-Unterricht und einer angeblichen Werbung für Geschlechtsumwandlungen gewarnt werden. „Wir wollen natürlich eine Aufmerksamkeit erreichen, welche Dinge im Anlauf sind und warnen, dass diese Dinge nicht an unseren Schulen passieren dürfen“, erklärt AfD-Landeschef Jörg Urban am Mittwoch in Dresden.
AfD will Eltern und Schüler auf Schulwegen ansprechen
Unter der Überschrift „Vorsicht! Genderwahn im Stundenplan“ sollen großflächige Plakate im Umfeld von Schulen platziert werden, auf Transportern an den Bildungseinrichtungen vorbeifahren. Und: Eltern wie auch Schülerinnen und Schüler sollen ganz gezielt auf dem Schulweg angesprochen werden. Darüber hinaus sollen allerorten Infoabende für Eltern angeboten werden, um die „Werbung für Transsexualität“ zu stoppen.
„Viele werden auf den Irrweg getrieben“, sagt Urban über den Sexualkundeunterricht, wie er an sächsischen Schulen derzeit unter anderem im Fach Biologie praktiziert wird. Stattdessen, so meint der AfD-Vorsitzende, solle Schule „die natürlichen Gegebenheiten“ vermitteln – und diese würden aus zwei Geschlechtern, nämlich Mann und Frau, bestehen. „Es muss das Leitbild der Familie aus Vater, Mutter und Kindern gelehrt werden“, fordert Urban und ruft die Eltern auf, „überall ihr Veto einzulegen“.
An Schulen in Sachsen darf keine politische Werbung erfolgen
Tatsächlich stellen sich gleich mehrere Fragen zu der nun angekündigten Kampagne, die Ende Mai beginnen soll. Zum Ersten: Ist eine derartige Parteiaktion an Schulen überhaupt zulässig? In Sachsen gibt es sozusagen eine „Bannmeile“ an und um Bildungseinrichtungen. So ist per Landesrecht ganz klar geregelt: „Politische Werbung von Parteien, Organisationen und Verbänden im Rahmen von schulischen Veranstaltungen oder auf dem Schulgelände während, unmittelbar vor und im Anschluss an schulische Veranstaltungen ist nicht zulässig.“
Außerhalb des Schulgeländes und „im angemessenen Abstand“ zum Eingangsbereich gelten „die Rechtslagen des öffentlichen Raumes“, so das Kultusministerium. Ein genauer Umkreis wird jedoch nicht angegeben. Die AfD hat die Passage offenbar genau unter die Lupe genommen und sich bereits juristisch gewappnet. „Der Schulweg ist ja länger und betrifft nicht nur den Bereich vor der Schule“, stellt Urban klar.
Verfassungsgericht: Diverse Personen nicht diskriminieren
Zum Zweiten geht es um die Frage, was an Sachsens Schulen als Sexualkunde vermittelt wird. Da geht es etwa um Verhütungsmethoden, um die Menstruation, um die Geschlechtsorgane – und selbstverständlich auch um die Formen von Sexualität. „Die Forderung, ausschließlich biologische Aspekte zum Gegenstand der schulischen Familien- und Sexualerziehung zu machen, ist nicht umsetzbar“, erklärt Kultusminister Christian Piwarz (CDU) in einer aktuellen Stellungnahme zu einem ähnlich wie die Kampagne formulierten AfD-Landtagsantrag.
Als Begründung wird unter anderem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2017 angeführt: Demnach dürfen Personen, deren Geschlechtsidentität weder weiblich noch männlich ist, nicht diskriminiert werden. Deshalb könne auch nicht die Finanzierung von Projekten oder Initiativen, die sich mit der geschlechtlichen Vielfalt beschäftigten, gestrichen werden, wie es die AfD verlangt.
Kultusministerium: Sexualerziehung sensibel und angemessen
Das Kultusministerium stellt außerdem auf LVZ-Nachfrage klar: „Die Familien- und Sexualerziehung erfolgt geschlechtersensibel und altersangemessen. Sie wahrt die natürlichen Schamgrenzen der Schülerinnen und Schüler.“ Darüber hinaus sei ein Vetorecht der Eltern gegenüber Lehrplänen und Unterrichtsinhalten laut Schulgesetz nicht vorgesehen. Eltern könnten aber beispielsweise über die Schulkonferenzen „das Leben an der Schule mitgestalten“.
Die AfD will dennoch an ihrer Kampagne festhalten und einen „größeren Aufschrei“ erzeugen. „Diversität wird zur neuen Normalität erklärt – doch die übergroße Mehrheit der Menschen ist heterosexuell“, meint der AfD-Bildungspolitiker Rolf Weigand, der maßgeblich an der Aktion gegen den „Genderwahn“ beteiligt ist. Und er erklärt: „Wir wollen die Schamgrenzen von Kindern schützen. Sexualität ist eine private Entscheidung, so lange sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt.“
Leipziger Gymnasium ist erste „Schule der Vielfalt“ im Osten
Im Fokus steht insbesondere das Netzwerk „Schule der Vielfalt“, das die AfD gern stoppen möchte. Ziel des bundesweiten Zusammenschlusses ist, dass Schulen zu queerfreundlicheren Orten gemacht werden. Dabei geht es etwa um Workshops und insgesamt darum, Themen rund um sexuelle Orientierungen und Geschlechtlichkeiten dauerhaft im Alltag zu verankern. So muss auch mindestens eine Ansprechperson für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt tätig sein.
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Das Leipziger Reclam-Gymnasium ist im Herbst 2022 als erste Schule in Ostdeutschland in dieses bundesweite Netzwerk aufgenommen worden. „Bereits vor über vier Jahren begann die Zusammenarbeit mit dem Verein Rosa Linde Leipzig“, berichtete damals die verantwortliche Lehrerin Monika Schulze: „Fragen zum Coming-Out und den damit einhergehenden Belastungen haben in den letzten Jahren zugenommen. Vor allem transgeschlechtliche Jugendliche brauchen unsere Unterstützung und professionelle Begleitung.“
SPD und Grüne: Kinder sollen lernen, wie das Leben ist
Auch aus der sächsischen Regierungskoalition erhält die AfD einigen Gegenwind. „In der Schule sollen Kinder lernen, wie das wirkliche Leben ist. Und nicht, wie es nach der Vorstellung einer Partei sein sollte“, kommentiert die SPD-Bildungsexpertin Sabine Friedel die angekündigte Kampagne. Die Fakten für eine verantwortungsvolle und altersgerechte Familien- und Sexualerziehung gebe die Wissenschaft vor – also Biologie, Soziologie und Psychologie. „Die Erziehung zu einem politisch festgelegten Familienbild, wie die AfD es will, lehnen wir ab“, sagt Friedel.
Ähnlich äußert sich die Grünen-Fraktionsvize Lucie Hammecke: „Die Angst vor geschlechtlicher Vielfalt sitzt bei der AfD offenbar tief. Sie versucht, das traditionelle Familienbild als einzig zulässiges zu propagieren – damit negiert sie die Vielfalt von Lebensentwürfen.“ Sexualerziehung sei ein wichtiger Bestandteil der Sozialerziehung und der Persönlichkeitsbildung, meint Hammecke, die auch gleichstellungspolitische Sprecherin ist. Doch statt die Fachkräfte in Schulen und Kitas zu unterstützen, „sät die AfD Misstrauen gegenüber ihrer wertvollen Arbeit“.
DNN