Zehn Jahre Instagram: Die Welt als Werbefoto
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Instagram wird zehn Jahre alt. Sie kam zum richtigen Zeitpunkt, wissen wir heute - schließlich ist die App populär wie nie. Die Frage sei berechtigt: Ist diese Art der (Selbst-)Darstellung gut für uns?
© Quelle: imago images/Panthermedia/RND Montage Behrens
Hannover. An mein allererstes Instagram-Bild erinnere ich mich noch ziemlich genau. Eine Seitenstraße im schottischen Edinburgh, an der nichts, aber auch wirklich gar nichts spannend ist. Doch es gab plötzlich eine Möglichkeit, sie sehr viel spannender zu machen: Den Retro-Filter. Mit echtem, vergilbtem Polaroid-Rahmen. Ein Traum für mittelmäßig begabte Amateurfotografen wie mich – und natürlich auch ein Traum für alle mittelmäßig spannenden Seitenstraßen.
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Wahrscheinlich völlig zu Recht hat mein allererstes Instagram-Bild bis heute kein einziges Like erhalten. Dennoch: Die Erfindung der Retro-Filter hat Anfang der 2010er-Jahre alles geändert. Fristeten Fotos in den sozialen Netzwerken bis dato ein weitestgehend kontrastloses Dasein, so änderte sich das schlagartig mit der Einführung von Instagram.
Instagram wird zehn
Die App traf zu diesem Zeitpunkt haargenau den Zeitgeist. Die 2010er-Jahre waren das Jahrzehnt der Hipster, Retro-Klamotten feierten ihr Comeback, ebenso die Vinyl, plötzlich war Vintage wieder voll angesagt. Und Instagram-Filter mit Namen wie “Valencia”, “Hefe” und “Crema” erlaubten, diesen Trend auch in der Internetwelt sichtbar zu machen. Alles wurde beige und braun, Kontraste härter, Farben stärker. Zudem gab es noch die Besonderheit des quadratischen Formats. Denn in den Anfangstagen von Instagram war es weder möglich, Hoch- noch Querformatfotos zu veröffentlichen. Ging bei Polaroids schließlich auch nicht.
Ich erinnere mich, dass Instagram zunächst weniger als eigenständiges soziales Netzwerk wahrgenommen wurde. Wozu auch? Man hatte ja schon Facebook. Vielmehr diente die App als eine Art Photoshop für Amateure. Eine App, mit der man schnell und ohne viele Kenntnisse mittelmäßige Fotos gewollt alt aussehen lassen und diese dann bei Facebook teilen konnte. Auch ich habe damals praktisch alles retrofiziert. Schiffe, Strände, Atomkraftwerke, ja sogar Rudi Völler.
Am 6. Oktober 2020 feiert Instagram seinen zehnten Geburtstag. Und seither hat sich eine Menge getan: Aus Vintage-Fotos wurden mit der Zeit Hochglanzfotos. Aus Amateurfotografen wurden Influencer. Und aus Instagram selbst wurde eins der bedeutenden sozialen Netzwerke unserer Zeit.
Exklusiv für iPhone-Nutzer
Wagen wir einen Blick in die Geschichte: Entwickelt wird Instagram Ende der 2000er-Jahre vom US-Amerikaner Kevin Systrom und dem Brasilianer Mike Krieger. Ursprünglich plante man offenbar eine Art Foursquare-Konkurrenten, doch die Idee wird später zugunsten von Instagram verworfen. Hintergedanke der App: Das Teilen von Fotos solle künftig schneller und kreativer werden, zudem solle das plattformübergreifende Teilen einen Vorteil gegenüber anderen Apps bieten. Das Wort Instagram setzt sich daher auch aus den Wörter “instant” (sofort) und “Telegram” als Synonym fürs Versenden zusammen.
Interessant: In den ersten zwei Jahren ist Instagram ausschließlich für iPhone-Nutzer zugänglich. Erst am 3. April 2012 erscheint die App auch im App-Store von Android. Warum das so ist, ist heute nicht bekannt. Doch das Erbe dieser Entscheidung klingt noch lange nach: Über Jahre hinweg beschweren sich Android-Nutzer in Onlineforen, die App sei schlecht für ihr Gerät optimiert. Vor allem von argen Qualitätsverlusten bei geteilten Fotos ist die Rede. Bei Reddit fragt ein Nutzer etwa: “Warum schert sich Instagram nicht um Android?” Die Bildqualität seiner Posts würde schlichtweg “fürchterlich” aussehen. In einem Artikel des Magazins “Giga” wird im Januar 2015 gemutmaßt, dass möglicherweise ein Algorithmus beim Runterrechnen der Bilder daran schuld sein könnte.
Doch das Qualitätsproblem tut dem raketenhaften Aufstieg von Instagram keinen Abbruch. Im September 2012 übernimmt Facebook schließlich Instagram für eine Milliarde US-Dollar. Der Rekordpreis lässt die Fachwelt staunen. Fortan implementiert Instagram nahezu im Monatstakt neue Funktionen. Im Dezember 2012 erhält die App eine eigene Messengerfunktion, im Juni 2013 erlaubt sie erstmals das Teilen von Videos, im November 2013 erscheinen die ersten bezahlten Werbeanzeigen in den Feeds der Nutzerinnen und Nutzer.
Alles nur geklaut
Ab 2015 sind bei Instagram auch Foto-Slideshows, sogenannte Karussells möglich, gleichzeitig löst sich die Plattform vom Quadratzwang. Ein Jahr später führt Instagram, ähnlich wie Facebook, einen algorithmusbasierten Feed ein, chronologisch aufgeführte Posts sind nun passé.
2015 erfährt die App Snapchat einen raketenhaften Aufstieg und macht Instagram vor allem bei der jüngeren Zielgruppe ernsthafte Konkurrenz. Hier ist es möglich, sogenannte Storys zu teilen, die innerhalb von 24 Stunden wieder verschwinden. Instagram reagiert umgehend – und kopiert die Funktion einfach für seine eigene App. Die Storys sind heute eine der beliebtesten und meistgenutzten Instagram-Funktionen.
2018 kündigen die Gründer Systrom und Krieger ihren Rückzug von Instagram an. Adam Mosseri von Facebook übernimmt die operative Führung. Im selben Jahr plant Instagram den nächsten Angriff, diesmal auf die Videoplattform Youtube. Fortan ist es möglich, lange Videos von bis zu einer Stunde über die Funktion IGTV zu teilen. Im Sommer 2020 führt Instagram schließlich die Funktion “Reels” ein - eine 1:1-Kopie der beliebten Wischvideos der chinesischen Plattform Tiktok.
Die Philosophie der Plattform ist zu diesem Zeitpunkt längst eindeutig: Instagram ist schon lange keine Plattform für Fotos mehr. Instagram ist ein Supernetzwerk. Nutzerinnen und Nutzer sollen auf Instagram gehalten werden, und zwar dauerhaft und um jeden Preis. Und sollte auch nur irgendetwas Cooleres daherkommen, dann wird es weggeklaut und implementiert.
Kein Platz für Hässlichkeit
Doch so sehr sich die technische Seite Instagrams in den vergangenen Jahren entwickelt hat, so sehr haben es auch seine Nutzerinnen und Nutzer. Die Vintage-Filter gibt es zwar auch heute noch, doch sie sind nicht mehr als ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Wer heute auf Instagram ein Publikum erreichen will, der produziert keine Vintage-Fotos, sondern Hochglanzbilder, die denen aus einem Werbekatalog ähneln. Die Welt von Instagram ist Perfektion, hier gibt es keine Makel. Meine Vintage-Straße von damals? Heute nur noch eine hässliche Gasse ohne jede Berechtigung.
Influencerinnen und Influencer befeuern dieses Image. Der Account von “Bibis Beauty Palace” zeigt die Welt einer heilen, überglücklichen Familie, Pamela Reif ist immer perfekt ausgeleuchtet, hat niemals unreine Haut und schon gar kein Gramm zu viel auf den Hüften. Bachelor Andrej Mangold ist immer durchtrainiert, motiviert, fokussiert.
Hier ist wenig Platz für Nischen, für Zwischentöne, für Traurigkeit und Hässlichkeit, für Dinge abseits des Mainstreams. Essen auf Instagram ist immer perfekt angerichtet, Wohnungen immer aufgeräumt. Landschaftsfotografen inszenieren die Welt als makelloses Paradies.
Und wir tun Selbiges, denn Perfektion auf Instagram bringt Likes. Und Likes machen glücklich. Das haben sogar Studien herausgefunden.
Die Angst, etwas zu verpassen
Man kann sich schon die Frage stellen, was Instagram in den vergangenen zehn Jahren eigentlich mit uns gemacht hat. Denn im Vergleich zur Welt von Instagram erscheint das normale Leben wenig aufregend. Man steht auf, geht zur Arbeit, und dann wieder nach Hause – während der Fitness-Influencer schon das nächste Adventure-Bild gepostet hat und lauthals dafür beklatscht wird.
In einer landesweiten Umfrage in Großbritannien der Royal Society for Public Healt (RSPH) wurden 14- bis 24-Jährige über die beliebtesten sozialen Netzwerke befragt. Instagram landete dabei überraschend auf dem letzten Platz. Ein Grund: Es transportiert es oftmals unrealistische Körperbilder für junge Menschen. Ein anderer: Instagram befeuert massiv das sogenannte FOMO-Problem. Die Angst, etwas zu verpassen (”Fear Of Missing Out"), beeinträchtigt viele Nutzer demnach erheblich negativ.
Ein Problem, das Instagram ernst nehmen sollte – denn auch das Mutterschiff Facebook kennt das schon. Wenn Nutzer nicht mehr glücklich werden, sondern ein Netzwerk zunehmend als Belastung empfinden, dann bleiben sie irgendwann weg.
Urlaub fürs Gehirn
Am Ende kommt es wahrscheinlich darauf an, wie und in welchem Ausmaß man Instagram in sein Leben lässt. Für mich ist die Plattform heute so etwas wie Urlaub fürs Gehirn. Ein Ausflug raus aus der Wirklichkeit.
Man muss wissen, dass das alles nicht echt ist, was man dort sieht. Natürlich läuft bei Bibi nicht immer alles perfekt – und dass Andrej Mangold am Ende doch kein Supertyp ist, wissen wir seit dem “Sommerhaus der Stars”.
Natürlich sind die Wohnungen nicht wirklich so aufgeräumt, und natürlich hat der Pragser Wildsee in Wirklichkeit nicht so viel Kontrast. Aber man wird ja wohl mal träumen dürfen.
Vielleicht schafft Instagram ja langfristig den Spagat. Ein bisschen weniger Perfektion, ein bisschen mehr Wirklichkeit. Da könnte es auch noch die nächsten zehn Jahre mit uns klappen.