Wie man mit Verschwörungsmythen Geld macht – und es wieder verliert
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Alex Jones hat mit Lügen Millionen gemacht.
© Quelle: picture alliance / AA
Hannover. Es ist nur ein kleiner Trost für die Betroffenen – und doch ein Urteil mit Symbolcharakter. Der Radiomoderator und Verschwörungsideologe Alex Jones muss mehr als 49 Millionen US-Dollar Entschädigung an die Eltern eines Opfers des Massakers an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut zahlen. Der Grund: Jones hatte laufend Falschbehauptungen über das tragische Ereignis aus dem Jahr 2012 verbreitet – und das Leben der Hinterbliebenen damit zur Hölle gemacht. Diese klagten schließlich.
Für den rechtsextremen Medienmacher ist das Urteil ein finanzielles Desaster: Seine Firma „Infowars“ hatte bereits im April Insolvenz angemeldet, die Muttergesellschaft „Free Speech Systems“ folgte vergangene Woche. Die zu zahlende Summe ist am Freitag noch mal gestiegen: Erst waren es 4 Millionen Dollar, nun sind es mehr als 49.
Ob die Summe den rechtsextremen Moderator tatsächlich in den finanziellen Ruin treibt, ist unklar. Gerichtsunterlagen zeigen eindrücklich, wie viel Geld Jones in den vergangenen Jahren mit Verschwörungserzählungen gemacht hat – und welch lukratives Geschäftsmodell dahintersteckt. Der Moderator hatte sich mit dem Thema ein echtes Medienimperium aufgebaut.
Vom Radiomoderator zum Verschwörungs-Star
Rückblick: Die Karriere des Alex Jones beginnt in den Neunzigerjahren beim texanischen Talk-Radiosender KJFK. Schon hier sorgen seine Aussagen für Kontroversen. Jones spricht immer wieder über eine angebliche „Neue Weltordnung“, eine heute gängige Verschwörungserzählung, wonach angebliche „Eliten“ eine angeblich autoritäre, supranationale Weltregierung errichten. Auch Unterstützung einer dubiosen religiösen Sekte bekundet der Moderator, ruft seine Hörerinnen und Hörer gar zu Spenden auf. 1999 trennt sich KJFK schließlich von Jones. Werbepartner hätten sich zunehmend von der Show zurückgezogen, heißt es.
Im selben Jahr gründet der Moderator seine berühmt-berüchtigte Website Infowars.com. Diese fungiert zunächst als Versandhaus für Filme, die Verschwörungserzählungen aufgreifen – später wird sie zum Fake-News-Portal der Szene. Gleichzeitig sendet Jones wieder eine Radioshow, die von rund 100 Stationen in den USA übertragen wird.
Am 11. September 2001 verbreitet Jones die Behauptung, das World Trade Center sei nicht von Terroristen attackiert worden – sondern von der Regierung. Damit ebnet er den Weg für eine der bekanntesten Verschwörungszählungen der Welt. Die „Alex Jones Show“ wird derweil immer populärer: Im Jahr 2010 schalten jede Woche rund zwei Millionen ein, 2016 sollen es mehr als fünf Millionen sein. Parallel dazu wächst die Bekanntheit von Jones‘ Inhalten in den sozialen Netzwerken.
Von Pizza-Gate bis Sandy Hook
Jones verbreitet die sogenannte Pizzagate-Verschwörung – das falsche Gerücht, dass Hillary Clinton und prominente Demokraten einen Kindersexring in einem Pizzaladen in Washington betreiben. Er behauptet, dass es in den USA mehr Homosexuelle gebe, weil die Regierung „Chemikalien ins Wasser“ mische. Immer wieder trommelt er mit erfundenen Geschichten für den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Und er konstruiert die Geschichte, dass das Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule in Newton im Jahr 2012 nicht mehr als ein Scherz gewesen sei – die Familien seien Schauspielerinnen und Schauspieler gewesen.
Der Kläger im Prozess, Neil Heslin, erklärt in einer emotionalen Zeugenaussage, was diese Lügen für die Familie bedeuteten. Man habe Onlinebedrohungen, anonyme Telefonanrufe und Belästigungen auf der Straße ertragen müssen, so Heslin vor Gericht. Auch seien sein Haus und sein Auto beschossen worden.
„Mein Leben wurde bedroht. Ich fürchte um mein Leben, ich fürchte um meine Sicherheit“, so Heslin weiter. Er und seine Frau Scarlett hatten bei dem Massaker ihren Sohn, den sechsjährigen Jesse, verloren. Insgesamt waren bei dem Ereignis 20 Erstklässlerinnen und Erstklässler sowie sechs Mitarbeiterinnen getötet worden.
Ideologie oder Geschäftsmodell?
Jones‘ bizarre Ideen kommen nicht von ungefähr: Der Moderator wird bereits in jungen Jahren von Gary Allen inspiriert. Dessen Buch „None Dare Call It Conspiracy“ findet Jones laut der „New York Times“ im Bücherregal seines Vaters. Darin wird die Erzählung propagiert, die Entscheidungsfindung im Land gehe nicht von gewählten Politikerinnen und Politikern aus, sondern von internationalen Bankern.
Die Ereignisse der vergangenen Jahre lassen allerdings vermuten, dass Jones‘ Arbeit nicht ausschließlich ideologiegetrieben, sondern vor allem eines war: ein ziemlich lukratives Geschäftsmodell.
Mit allen Plattformen verdient Jones über die Jahre gutes Geld, etwa durch Werbeeinblendungen. Den meisten Umsatz macht der Verschwörungsideologe allerdings mit seiner eigenen Website Infowars.com, genauer gesagt mit dem eigenen Fanshop. Hier werden allerhand Produkte für die Verschwörungsszene verkauft, die Jones schließlich zum Millionär machen.
Wundermittel für mehr Männlichkeit
Wer auf der Website surft, sieht noch heute, was da so angeboten wird. Es sind allerhand vermeintliche Wundermittel in dunkelbraunen Dosen, Nahrungsergänzungsmittel in weißen Plastikverpackungen und sogar Zahnpasta, die hier verkauft wird. Alle Produkte haben ein und dasselbe Werbeversprechen: Sie dienen der Vorbereitung auf einen vermeintlichen Tag X, auf die Apokalypse, auf die „Neue Weltordnung“.
Noch heute im Shop angeboten wird etwa ein „Ultimate Immune Support Pack“ für 59,95 US-Dollar – ein angebliches Wundermittel, das das Immunsystem mit einem Schutzschild ausstatten soll. Immer wieder bringt Jones die Lüge auf, die US-Regierung verunreinige absichtlich das Leitungswasser, um Menschen zu verblöden – Produkte im Infowars-Shop sollen dem Immunsystem helfen, gegen die Chemikalien anzukämpfen.
Ein Produkt mit dem Namen „Brain Force Plus“ verspricht im Werbetext: „Wir werden von giftigen Waffen in der Nahrungs- und Wasserversorgung getroffen, die uns dick, krank und dumm machen. Es ist an der Zeit, sich mit Brain Force PLUS von Infowars und Infowars Life, der nächsten Generation fortschrittlicher neuraler Aktivierung und Nootropika, zu wehren.“
Waffenteile und schusssichere Westen
Andere Produkte sollen den Körper vorbereiten auf einen möglichen Kampf – und ihn fitter machen. Dazu gehört etwa ein Abnehmmittel. Dieses habe Jones selbst geholfen, 37 Pfund innerhalb von nur zwei Monaten abzunehmen, wie er sagt. In einem Video zeigt der Moderator oberkörperfrei seinen Bizeps. Ein Testosteron-Booster aus dem Shop habe ihm zudem geholfen, stärker und männlicher zu werden. Und dann wäre da noch eines von Jones‘ Lieblingsprodukten: Fisch-Öl. Dieses wird in kleinen Kügelchen verkauft und sei ein „magischer“, „unglaublicher“ Energielieferant fürs Hirn, wie Jones in einem Video anpreist.
Ein weiteres Produktfeld aus dem Infowars-Shop sind sogenannte Prepper-Produkte. Dazu gehört etwa Outdoor- und Survival-Ausrüstung wie Zelte, Uhren und Atemschutzmasken, Messer, Taschenlampen, Wasserflaschen und Radios. Auch Fanartikel lassen sich über Infowars bestellen – darunter etwa ein Sticker mit dem Satz „9-11 war ein Inside-Job“.
Auch schusssichere Westen für 300 Dollar verkauft Infowars. Und Komponenten für Waffen, die man zu Hause zusammenbauen kann. Man wolle sich schließlich selbst verteidigen, wirbt Jones in einem Video mit dem Erfinder der Produkte. „Du hast dazu beigetragen, Amerika wieder großartig zu machen.“
Mit Lügen Einnahmen in Millionenhöhe
Allein zwischen den Jahren 2015 und 2018 soll Jones‘ Shop 165 Millionen Dollar eingebracht haben, wie nun Gerichtsunterlagen aus dem Sandy-Hook-Prozess zeigen. Anwälte des Verschwörungsideologen hatten – offenbar versehentlich – den gesamten Inhalt seines Smartphones an die Anwälte der Klägerin und des Klägers geschickt. Im Jahr 2018 soll die Verschwörungsplattform allein täglich 800.000 US-Dollar eingenommen haben.
Dieses Vermögen allerdings schwindet nun. Bereits in den vergangen Monaten war der Verschwörungsideologe mehrfach verklagt worden. Seither hatte er zugegeben, dass das Schulattentat in Newton tatsächlich stattgefunden hat – anders, als er zuletzt immer wieder behauptet hatte.
Auch die Eltern eines Opfers des Sandy-Hook-Massakers werfen Jones vor, er habe mit Falschbehauptungen Einnahmen in Millionenhöhe erwirtschaftet – und wurden nun dafür entschädigt.
Auch für „Querdenker“ wird es brisant
Die Verurteilung von Alex Jones dürfte möglicherweise nicht die letzte gewesen sein. Auch in Deutschland stehen bekannte Verschwörungsideologen inzwischen im Fokus der Ermittlerinnen und Ermittler. Auch sie haben aus dem Spiel mit der Lüge ein Geschäftsmodell gemacht.
Der frühere Vegankoch Attila Hildmann hatte sein Abdriften in die Verschwörungsszene im Frühjahr 2020 ebenfalls dazu genutzt, eigene Produkte an sein neues Publikum zu vertreiben. Auf einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen warb Hildmann für seine eigene Firma, die „Attila Hildmann Empire GmbH“. Auch in seiner Telegram-Gruppe versuchte der Verschwörungsideologe, seine veganen Produkte an den Mann und die Frau zu bringen. Mittlerweile hat sich Hildmann in die Türkei abgesetzt: Gegen den früheren Kochbuchautoren liegt ein Haftbefehl vor, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung in mehreren Fällen.
Michael Ballweg, Gründer der „Querdenken“-Bewegung, war im Juni festgenommen worden und sitzt seither in Untersuchungshaft. Gegen den Verschwörungsideologen liegt ein Haftbefehl wegen des Verdachts auf Betrug und Geldwäsche vor. Seit Mai 2020 hatte Ballweg wiederholt um finanzielle Zuwendungen seiner Unterstützerinnen und Unterstützer gebeten. Laut einer Mitteilung der Stuttgarter Polizei und Staatsanwaltschaft soll der Verdächtige dabei aber über die beabsichtigte Verwendung getäuscht haben. Es gehe nach bisherigen Ermittlungen um einen „höheren sechsstelligen Betrag“, den er für sich selbst verwendet habe. Ballwegs Anwalt Ralf Ludwig bestätigte die Festnahme und erklärte, die Vorwürfe seien „konstruiert“.
Ist die Strafe nur „Kleingeld“?
Im Falle von Alex Jones ist nicht ganz klar, ob die Verurteilung tatsächlich den finanziellen Ruin für den Verschwörungsideologen bedeutet. Jones selbst behauptet, dass seine Firma Infowars bei einer Strafe über 2 Millionen US-Dollar „untergehen“ würde. Dafür spricht, dass Jones bereits seit einigen Jahren mit fehlender Aufmerksamkeit zu kämpfen hat. Im Jahr 2018 hatten nahezu alle großen Plattformen, darunter Facebook, Apple, Youtube und Spotify, sämtliche Inhalte von Jones und Infowars wegen Richtlinienverstößen entfernt. Seither bleiben Jones nur noch seine eigenen Plattformen.
Der Anwalt der Klägerinnen und Kläger, Mark Bankston, sieht mit dem Urteil das Karriereende des Verschwörungsideologen – zumal es nicht das einzige bleiben dürfte. „Da noch (...) mehrere weitere Klagen wegen Verleumdung anhängig sind, ist klar, dass die Zeit von Herrn Jones auf der amerikanischen Bühne endlich zu Ende geht“, wird dieser in US-Medien zitiert.
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