Unbezaubernde Beanie: Teil 3 von „Disenchantment“ bei Netflix
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Vor den Toren Steamlands: Prinzessin Beanie und Elf Elfo auf dem lachenden Pferd.
© Quelle: Courtesy of Netflix
Könige waren im Mittelalter Herrscher von Gottes Gnaden – von ihrer Gefolgschaft dagegen durften sie Gnade im Zweifelsfall nicht erwarten. Der emotional eher grobkörnige König Zog muss sterben. Das ist der Plan des dreiäugigen Ministers Odval und der heimtückischen Erzdruidin ohne Namen. Sie wollen Dreamland, das Königreich im Herz der Zeichentrickserie „Disenchantment“, in eine freilich nicht minder gewaltstarrende, „strenge Theokratie“ verwandeln.
Verboten soll künftig sein, was Spaß macht: kein Alkohol. Kein Sex. Kein Glücksspiel. Und absolut keine Comedy mehr. „Das betrifft mich ja nicht“, ist der notorisch unkomische Hofnarr erleichtert. Und wird von Odvals Schergen dennoch aus dem Turm geworfen. Sicher ist sicher.
Aber der von dem Umstürzlern auserwählte Kindkönig Derek will lieber mit seinen Puppen spielen, als sich zur Marionette machen zu lassen. Und der einäugige Ritter Sir Pendergast kann sich auch nicht dazu durchringen, seinen alten Chef Zog über die Klinge seines Schwerts springen zu lassen.
Ein „Make Dreamland Great Again“-Banner hängt über dem Portal zum Thronsaal, diesen Wink mit dem Trump-Pfahl konnte sich „Disenchantment“-Macher Matt Groening nicht verkneifen. Aber die im zweiten „Teil“ (ausdrücklich nicht „Staffel“) der Serie anvisierte Revolution von rechts muss im dritten Teil verschoben werden.
Denn nichts läuft wie geplant, obwohl Serienheldin und Königstochter Beanie und ihre besten Freunde Luci (Dämon) und Elfo (Elf) nach der Flucht vom Scheiterhaufen dem alten Papa Zog zunächst nicht zur Seite stehen können. Sie haben in einer unterirdischen Welt alle Hände voll mit den Trogs zu tun, einem Höhlenvolk, das unter der Knute von Beanies Mutter Dagmar lebt, der bösen Königin, die jedes Märchen mit Hochadelsbeteiligung braucht.
Wilde Fabulierlust und Gegenwartsbezüge
„Disenchantment“, Groenings vor zwei Jahren recht holprig gestartete Serie, „die nicht so lustig ist wie die ‚Simpsons‘“ (von vielen so oder ähnlich geäußerte Behauptung), ist wieder da. Und die wilde Fabulierlust, mit der der mittlerweile 66-Jährige seinen Mix aus Mittelalter und Fantasy zelebriert, hält den Zuschauer inzwischen durchaus bei der Lanze.
Auch weil es diese netten Gegenwartsbezüge gibt: „Wer wird als Nächstes brennen?“ fragt ein kleines Mädchen auf den Schultern seines Vaters, als sie gemeinsam von der (misslungenen) Hinrichtung Beanies nach Hause gehen. „Die Nachbarin, deren Chihuahua immer bellt“, weiß der Vater. Tja, und einen solchen Chihuahua samt Todeswunsch kennt ja nun jeder, der Nachbarn hat, oder?
Steampunk neben Märchenwelt
Ein fantastisches Brimborium destilliert Groening aus den Märchenschätzen der Welt und den Träumen von Jules Verne und George R. R. Martin, dazu geizt er nicht mit Filmzitaten, die von Fritz Langs „Metropolis“ bis Steven Spielbergs „Indiana Jones“ reichen. Alles ist möglich in „Disenchantment“, Mittelalter trifft Absolutismus, fast wähnt man sich in Tad Williams‘ Vielweltenwälzer „Otherland“ (by the way – warum hat den eigentlich noch niemand zur Serie gemacht?).
Und ein Stück weg von Dreamland existiert das Steamland, ein kohlegetriebenes Gemeinwesen des Dampfs und der Elektrizität, in dem alle Fortbewegungsmittel steampunkig vernietet sind und ein Industriekapitän namens Alva (der Edison-Wink) das Sagen hat.
„Wir haben ja nicht mal Reggae“
Der unterhält eine Armee kleiner Glühbirnenrobots, die an Daniel Düsentriebs Helferlein erinnern und zwar nicht so clever, aber umso gefährlicher sind. Und er will Beanie an sich binden, um seinen Technostaat mit der Magie von Dreamland zu verbandeln. Aber die resolute Prinzessin, die sich gern haut und betrinkt und die darunter leidet, dass ihre grausame Mom „bezaubernder“ ist als sie, will gewiss nicht Gespielin eines Machtmenschen werden.
Sie glaubt wohl auch noch – wiewohl sie das jetzt vehement verneinen würde – an den tollen Prinzen. Leider waren alle elterlicherseits anvisierten Kandidaten tumbe oder eitle Luschen oder beides. Mit Beanies resoluter Verweigerung einer Zwangsehe ging Beanies Odyssee in „Teil 1“ überhaupt erst los. „Wir haben keine Magie“, resümiert Beanie deshalb auch jetzt in Verneinung einer möglichen Vermählung, „wir haben ja nicht mal Reggae“.
Das mit dem Humor läuft in „Disenchantment“ immer beiläufiger und zweitrangiger neben dem Abenteuer, und wer Freude an Matt Groenings immer noch witzigen (aber früher doch sehr viel witzigeren) „Simpsons“ hat, wird manche Scherze hier, nun ja, eher matt finden. Die bösen Reviews, deren Fazit, gelinde gesagt „bleibt hinter den Erwartungen zurück“ war, sind jedoch übertrieben bis ungerechtfertigt. In „Disenchantment“ lässt es sich halt vorwiegend auf Schmunzelebene gnickern, wenn etwa unter dem Eingangsschild des „Armenfriedhofs“ zu lesen ist: „Hier wird einmal ein Geister-Bürogebäude stehen.“
Man hat sich daran gewöhnt, dass „Disenchantment“ kein „Simpsons mit Rittern“ ist
Oder wenn die hinreißende „Liga der lustwandelnden Entdecker“ mit ihren Zwangslagen zwischen Yeti und Bigfoot aufschneidet. Oder wenn die Erzdruidin auf einem Motorrad aus Zogs Schloss flieht, und einer der verfolgenden Ritter seinem Schlachtross zuflüstert: „Ich wünschte, du hättest mehr PS, Smokey!“
„Disenchantment“ hat mehr Schauwerte als Brüller. Ist trotzdem nicht das Schlechteste – man hat sich gut daran gewöhnt, dass „Disenchantment“ kein „Simpsons mit Rittern“ ist.
Nichts für die kleinen Trickfilmfans - zu „explizit“
Für die kleinsten Trickfilmfans ist das allerdings eher nix: Auch wenn die langen Haare von Meerjungfrauen altväterlich bieder deren nackte Brüste verdecken, ist textilfreie Zweisamkeit zwecks Lustgewinn doch – neben Saufen und Kiffen – immer wieder Thema. Der ewige libidinöse Underdog Elfo hat in einer Gruft Sex mit dem Trogs-Mädel Trixie und massiert auf erotische Art den Rücken von Königin Dagmar. Das Loblied „hübscher Pobäckchen“ wird gesungen und wenn Beanie behauptet, „ein guter Lutscher braucht keinen Sabber“, dann müssten Eltern darauf hoffen, dass ihre Sprösslinge an dieser Stelle nicht nachhaken.
Zudem ist hier die bevorzugte Anredeform die Beleidigung, die Vokabelgruppe der Schimpfworte ließe sich prima erweitern. Also: vielleicht besser nicht unter zwölf, liebe Erziehungsberechtigte!
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Am Ende der zehn Episoden ist dann alles ganz anders, als alle geplant haben, und ganz weit entfernt von happy. Beanie bräuchte jetzt dringend ihre Getreuen um sich, doch die sind ähnlich ungemütlich überallhin verstreut, wie es Tolkiens Gefährten nach dem ersten „Herr der Ringe“-Film (respektive -Buch) waren.
Der Schlamassel ist groß, die Kräfte des Bösen lassen in ihrer Niedertracht nicht nach. „Ihr könnt uns vertrauen“, gibt der intrigante Odval an einer Stelle den wohl vertrauensunwürdigsten Satz überhaupt aus. Es bleibt unterhaltsam – allerdings erst wieder in einem Jahr.
„Disenchantment, Teil 3“, bei Netflix, zehn Episoden, von Matt Groening, Animationsserie (bereits streambar)