Streit um Rundfunkbeitrag: NDR-Chef kritisiert „kalkulierten Verstoß gegen die freie Berichterstattung“

Joachim Knuth, Intendant des Norddeutschen Rundfunks NDR.

Joachim Knuth, Intendant des Norddeutschen Rundfunks NDR.

Der Streit um die gestoppte Erhöhung des Rundfunkbeitrags für ARD und ZDF um 86 Cent monatlich geht in die nächste Runde: Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist die erste Klage eingegangen. Es lägen eine Verfassungsbeschwerde und ein Eilantrag des ZDF vor, sagte ein Gerichtssprecher am Freitag in Karlsruhe. Auch ARD und Deutschlandradio haben Eilanträge angekündigt. Damit ist eine Entscheidung noch in diesem Jahr möglich.

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Da der Landtag von Sachsen-Anhalt nicht über den Medienänderungsstaatsvertrag abstimmen wird, entfällt vorerst die Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2021 um 86 Cent auf 18,36 Euro. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte am Dienstag die Vorlage für den Landtag zurückgezogen, die die Ratifizierung des Staatsvertrags vorsah. Dadurch rettete er seine zerstrittene Regierungskoalition mit SPD und Grünen und verhinderte eine gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD im Parlament. Nach aktueller Rechtslage müssen medienrechtliche Staatsverträge einstimmig von allen Landtagen ratifiziert werden.

NDR-Intendant Joachim Knuth kritisierte das Verhalten von Sachsen-Anhalt als „kalkulierten Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit und gegen freie Berichterstattung“. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) spricht er auch über „gefühlte Unzufriedenheit“, den Sparwillen des NDR und alte Zöpfe:

Herr Knuth, wie beurteilen Sie die Entscheidung des sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff von dieser Woche, die Abstimmung über den neuen Staatsvertrag zurückzuziehen?

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Ich bewerte das, was in Sachsen-Anhalt geschehen ist, als einen kalkulierten Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit, gegen freie Berichterstattung. Denn eine gefühlte Unzufriedenheit mit unserer Informationsgebung, unseren Strukturen und politische Überlegungen sind vermischt worden mit unserer Finanzierung. Das geht nicht, darauf darf Politik in einer Demokratie keinen Einfluss nehmen. Und genau aus diesem Grund gibt es ja die unabhängige Kommission zur Ermittlung unseres Finanzbedarfs, die KEF, die dieses Verfahren vor genau solchen politisch motivierten Überlegungen schützen soll. Die KEF betrachtet uns rein wirtschaftlich und auch mit einer großen Härte, die dazu führt, dass sie das, was wir für notwendig erachten, mit beträchtlichen Abzügen versieht. Dieses ist ein von der Verfassung geschütztes Verfahren, und das gilt es zu beachten.

Eine gefühlte Unzufriedenheit mit unserer Informationsgebung, unseren Strukturen und politische Überlegungen sind vermischt worden mit unserer Finanzierung. Das geht nicht, darauf darf Politik in einer Demokratie keinen Einfluss nehmen.

Joachim Knuth, NDR-Intendant

Sehen Sie angesichts der offensichtlichen Bereitschaft von Teilen der CDU, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen, langfristig eine existenzielle Gefahr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland?

Nein, die sehe ich nicht. Demokratie braucht Streit, und die Freiheit, die in unserer Gesellschaft konstitutiv ist, kann generell anstrengend sein. Wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um grundlegende verfassungsrechtliche Fragen handelt, dann gibt es in unserem Rechtsstaat Gerichte, die entscheiden müssen. Unabhängig davon ist es selbstverständlich, mit der Gesellschaft über unsere Inhalte, unsere Legitimation, unsere Strukturen zu diskutieren. Am Ende entscheidet nämlich die Gesellschaft, repräsentiert durch 16 Länder, welchen Auftrag wir haben und welchen Stellenwert.

In der Politik hat sich der Eindruck verfestigt, ARD und ZDF versuchten überwiegend mit kleineren Maßnahmen, mehr Synergien und technischen Prozessen, ihre Sparziele zu erreichen. Wie wollen Sie diesen Eindruck korrigieren?

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Ich halte diesen Eindruck für falsch, aber wann immer er entsteht, müssen wir argumentativ entgegenhalten: Es geht nicht um Kleinigkeiten! Wie gesagt: Allein im NDR haben wir in den kommenden vier Jahren 300 Millionen Euro an Kürzungen und Einschnitten zu schultern, in allen Bereichen des Hauses; in Verwaltung und Produktion, beim Personal und im Programm. Mein Eindruck: Das nehmen Politik und auch Zuschauer, Hörer und Nutzer unserer Onlineangebote nicht als „kleinere Maßnahmen“ wahr, sondern als das, was es ist; nämlich Einschnitte und Kürzungen erheblichen Ausmaßes. Wenn es jetzt keine Beitragsanpassung geben sollte, wird die Lage noch schwieriger.

Allein im NDR haben wir in den kommenden vier Jahren 300 Millionen Euro an Kürzungen und Einschnitten zu schultern.

NDR-Intendant Joachim Knuth

Warum ist das Programm denn sakrosankt? Böte der aktuelle Spardruck nicht auch Gelegenheit, mit Verweis auf die politischen Notwendigkeiten den einen oder anderen alten Zopf abzuschneiden?

Sakrosankt sind für mich die Rundfunk- und Pressefreiheit und die Verpflichtung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, möglichst alle Menschen mit seinen Angeboten zu erreichen. Besonders an dieser Stelle wollen wir im NDR besser werden, weil vor allem jüngere Menschen uns nicht mehr durchgängig nutzen. Journalismus ist eine Annäherungs- und Alltagsprofession. Und ich bin weit davon entfernt zu glauben, dass alles perfekt sei. Welche große Redaktion, welches Medienhaus kann das schon behaupten? Wir modernisieren gerade unsere Strukturen. Mit dem Ziel, durchgängig crossmedial zu arbeiten und Inhalte auf mehr Ausspielwegen anzubieten – also Radio, Fernsehen, Audio- und Mediathek und überall dort, wo Menschen nach ihnen suchen könnten.

Was bedeutet das aber für die „alten Zöpfe“?

Wenn wir Budgets so umschichten, dass das Lineare und das Nonlineare künftig gleichrangig betrachtet werden, dann fallen unweigerlich ‚alte Zöpfe‘. Das ist wirtschaftlich notwendig, programmlich angezeigt und hat nichts mit „politischen Notwendigkeiten“ zu tun. Und genau das dürfte ja auch nicht sein: dass wir wegen politischer Notwendigkeiten unser Programm verändern. In unserer Programmgestaltung sind wir nämlich frei – um politische Einflussnahme zu verhindern.

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Am wenigsten Druck gäbe es wahrscheinlich, wenn der Rundfunkbeitrag auf 99 Cent gesetzt werden würde.

NDR-Intendant Joachim Knuth

Aber warum brauchen Sie dafür 86 Cent pro Monat mehr? Ein freiwilliger Verzicht auf eine Erhöhung hätte den Legitimationsdruck auf ARD und ZDF doch gewaltig verringert.

Na ja, am wenigsten Druck gäbe es wahrscheinlich, wenn der Rundfunkbeitrag auf 99 Cent gesetzt werden würde. Wenn Sie allerdings die Erwartungen an uns betrachten – wir müssen nicht nur herausragendes Programm machen oder kultureller wie gesellschaftlicher Faktor im Sendegebiet sein, sondern zum Beispiel auch ein guter Arbeitgeber –, dann werden Sie feststellen, dass es das nicht zum Nulltarif gibt. Gutes Programm mit unverwechselbaren Protagonistinnen und Protagonisten, mit Innovationen, audiovisuellen Traditionen und mit vielen Inhalten, die nur wir so breit anbieten – zum Beispiel das große Hörfunkfeature, aufwendige Dokus, regionale und überregionale Kulturberichterstattung, Investigation –, kostet Geld. Wie viel es kosten darf, ermittelt die KEF.

In der Politik war zuletzt die Rede von einem „Skalp“, den ARD und ZDF liefern müssten, um ihre Sparbereitschaft zu dokumentieren. Wie könnte ein solcher Skalp aussehen?

„Skalp“ ist mir etymologisch ein viel zu martialischer Begriff. Im NDR haben wir auch aufgrund unserer besonders schwierigen finanziellen Lage längst eine Priorisierungsdebatte angestoßen. Wir schützen in besonderer Weise Information und Regionalität. Dafür lassen wir an anderer Stelle Dinge weg. Der Beifall für dieses Weglassen ist meist deutlich mäßiger, als man denkt.

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