Schauspielerin Sienna Miller: „Ich bin heute weniger bereit, unangenehme Situationen zu tolerieren“
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Sienna Miller, Schauspielerin aus Großbritannien, ist ab dem 15. April in „Anatomie eines Skandals“ zu sehen.
© Quelle: Victoria Jones/PA Wire/dpa
In der Serie „Anatomie eines Skandals“ (ab 15. April bei Netflix) entfesselt sich ein Gerichtsdrama, in dem persönliche und politische Skandale von Großbritanniens Elite offengelegt werden. Das Ehepaar James (Rupert Friend) und Sophie Whitehouse (Sienna Miller) lebt zunächst ein sorgloses Leben. James‘ Karriere verläuft steil – mit einem Ministerposten im Parlament und einer liebenden Familie zu Hause. Doch dann droht ein #MeToo-Skandal alles zunichtezumachen. Im Interview spricht Sienna Miller darüber.
„Anatomie eines Skandals“ handelt von einem #MeToo-Fall. Sie spielen Sophie Whitehouse, die Frau eines Ministers, dem von einer seiner Mitarbeiterinnen nach einer Affäre Vergewaltigung vorgeworfen wird. Trotz dessen unterstützt Sophie ihn noch. Wie haben Sie sich in die Situation hineinversetzt?
Es ist kompliziert. Zu Beginn ist Sophie sehr überzeugt von seiner Unschuld. Sie kann sich nicht vorstellen, dass der Mann, mit dem sie seit der Uni ihr Leben teilt, in der Lage zu so etwas ist. Ich kann Sophies erste Reaktion verstehen. Das Brillante an der Serie ist, dass sie zeigt, wie Sophie sich mit der Zeit verändert. Der Mensch, der sie am Anfang ist, unterscheidet sich sehr von dem, der sie am Ende ist. Es ist ein Entwicklungsprozess, den man mit dem Charakter geht. Sie ist in keine der Enthüllungen eingeweiht, sie ist ständig schockiert und beginnt, nicht nur ihre Ehe, sondern auch ihre Komplizenschaft zu hinterfragen.
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„Anatomie eines Skandals“ bei Netflix: das Ehepaar James (Rupert Friend) und Sophie Whitehouse (Sienna Miller).
© Quelle: Ana Christina Blumenkron/Netflix
Eine Freundin von Sophie sagt ihr, dass sie sehr gut verzeihen kann. Wie gut können Sie verzeihen?
Es kommt auf die Umstände an. Sophie hat ihr Leben dem gewidmet, seine Frau und die Mutter der gemeinsamen Kinder zu sein. Sie hatten vorher eine glückliche Ehe auf dem Papier. Ihr erster Instinkt ist ein mütterlicher: Wie halte ich meine Familie zusammen? Wie beschütze ich meine Kinder? Ich verstehe, dass sie den Betrug als eine Art dummen Fehler sieht. Sie denkt sich: Wir arbeiten später an unserer Ehe, jetzt ist es erst mal wichtig für seine Arbeit und für die Kinder, dass der Fall geklärt wird. Ich kann auch gut verzeihen. Aber auf eine andere Art und Weise als Sophie.
Sie sind auch Mutter einer Tochter. Können Sie verstehen, dass dieses Zusammenhalten der Familie einer der Gründe für Sophies Verzeihen ist?
Ja, ich denke, dass ihre Kinder großen Anteil daran haben, dass sie verzeihen will. Wenn man ein Elternteil ist, berücksichtigt man oft die Gefühle anderer. Als ich Sophie gespielt habe, habe ich mir vorgestellt, dass das der Grund für ihr Handeln war. Sie war sehr verletzt, aber sie versteckt es. Das kann etwas typisch Englisches sein, dass sie mit ihren Emotionen zurückhaltend ist. Ich muss das als Person nicht unbedingt haben, aber ich fand es interessant, es zu spielen.
Sie verstecken also Ihre Emotionen eher nicht?
Ich muss besser darin werden, meine Emotionen zu verstecken. Ich bin schrecklich darin. (lacht) Aber mit den Menschen, die man spielt, lernt man Dinge. Sophie behält die Dinge mehr für sich. Als Schauspielerin war es schwierig, das zu zeigen. Das Äußere ist wie ein Schwan auf einem See, aber unter Wasser strampeln die Füße ununterbrochen. Wie spielst du das? Das ist knifflig. Sie hat eine Art nach außen gerichtete Persönlichkeit, die mit der Zeit beginnt zu bröckeln. Das ist interessant.
In dem Me-Too-Fall geht es viel um die Grenze zwischen Konsens und Missbrauch, besonders weil der Minister und seine Mitarbeiterin erst eine einvernehmliche Affäre hatten. Waren Sie jemals in Ihrem Job in Situationen, in denen diese Grenze nicht deutlich war?
Nein, zum Glück nicht. Ich weiß, es ist eine Seltenheit, aber ich hatte selbst kein Me-Too-Erlebnis. Natürlich hatte ich Erfahrungen in meinem Leben, in denen ich mich unwohl gefühlt habe, aber nicht in der Art. Sophie sagt einen Satz, den ich interessant fand: „Manchmal war es einfach leichter, zuzustimmen.“ Ich erinnere mich, dass es manchmal wichtiger war, das Ego eines Mannes zu bewahren als die eigenen Gefühle. Wenn mir jemand als junge Frau sexuelle Avancen machte, hatte ich nicht unbedingt die Sprache, um Nein zu sagen. Ich fand es interessant, dass Sophie versteht, dass ihr Blick auf die Welt generationenbedingt ist, und sie lernt, anders darauf zu blicken.
Sehen Sie, was diesen Blickwinkel angeht, auch einen Unterschied zu Ihren Eltern?
Absolut. Ich sehe auch einen Unterschied zwischen mir und meiner Tochter. Das ist das Schöne an der Evolution. Es ist schön, dass ich ein Mädchen in einer Zeit großziehe, in der Empowerment von Frauen im Mittelpunkt steht. Ich fühle mich durch diese Bewegung gestärkt. Ich bin heute weniger bereit, unangenehme Situationen zu tolerieren. Ich ziehe ein Kind auf, das dieses Wort absolut in seiner Sprache hat: „Nein“ ist ein sehr wichtiger Teil der Erfahrung der Mädchen heute, und das ist wunderbar. Ich bin inspiriert von den Frauen, die aufgestanden sind und für diese Veränderung gesorgt haben.
Es ist schön, dass ich ein Mädchen in einer Zeit großziehe, in der Empowerment von Frauen im Mittelpunkt steht.
Sienna Miller
Also bringt Ihre Tochter Ihnen auch bei, häufiger Nein zu sagen?
Jeden Tag. Ich bin inspiriert davon, diese Generation von Mädchen zu beobachten und zu sehen, was ihnen in der Schule beigebracht wird. Dass ihnen in der Schule, in der meine Tochter ist, Ethik beigebracht wird, und Philosophie, und die Betrachtung von Menschen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Dinge, mit denen wir nicht großgezogen wurden. Es ist wundervoll, dass es eine Art soziales Bewusstsein gibt, das es nicht wirklich gab, als ich zur Schule gegangen bin. Es ist eine inspirierende Zeit, um eine Frau zu sein. Und auch, um ein Mädchen aufzuziehen.
In der Serie geht es auch auf gewisse Weise um die Privilegien dieses Paares. Auch Sie als bekannte Schauspielerin genießen Privilegien. Wie gehen Sie damit um – und was sind für Sie die Schattenseiten des Erfolgs?
Die Nachteile sind Ergebnis dessen, in jungen Jahren berühmt zu werden. Heute habe ich es geschafft, mir ein privates, ruhiges Dasein aufzubauen. Natürlich mit Momenten echter Aufregung. Menschen kennenzulernen, die ich mein ganzes Leben lang bewundert habe, das sind wunderbare Seiten. Und die negativen Seiten habe ich irgendwann geschafft zu steuern. Als ich bekannt wurde, war es eine ganz andere Landschaft. Junge Frauen waren vor den Boulevardzeitungen und Paparazzi gesprächig. Es war wirklich schwer, zu der Position zu gelangen, in der ich mich jetzt befinde. Das hat eine Weile gedauert.
Hatten Sie irgendwann einen Punkt in Ihrer Karriere, an dem die negativen Seiten die positiven überwogen haben?
Ja, definitiv. Meine Zwanziger waren hart, weil es so viel Lärm gab, und eine Stimmung geschaffen wurde, die durch die Geschichten in den Boulevardzeitungen und Medien geprägt war. Da war definitiv eine Menge Angst vor der Belästigung durch die Presse, und in England gab es Telefon-Hacking und all diese Dinge. Es machte es schwer, das zu genießen, was sonst wahrscheinlich wirklich aufregend und unterhaltsam gewesen wäre. Aber wenn ich auf die Arbeit am Set zurückblicke – diese Zeit war wundervoll.
Wie haben Sie es hinbekommen, das irgendwann zu kontrollieren und Ihr Privatleben besser zu schützen?
Ich kann es ehrlich gesagt nicht jedem recht machen. Ich wurde geradezu streitsüchtig. Ich habe die Paparazzi vor Gericht gebracht, ich habe die Medien vor Gericht gebracht, ich habe einstweilige Verfügungen gegen Paparazziagenturen erwirkt. Ich habe mich einfach wirklich gewehrt.
Die Presse ist in der Serie auch ein Thema. Sophie und ihr Mann werden nach Öffentlichwerden der #MeToo-Vorwürfe regelmäßig von Reportern verfolgt. Das konnten Sie wahrscheinlich gut nachempfinden.
Ich war Expertin für dieses Gefühl. Das war lange Zeit Teil meines Lebens. Und es war unangenehm, durch die Serie in diese Situation zurückzukehren, aber es war schön, dass es eine kontrollierte Umgebung am Set war. Ich hatte in dem Moment definitiv ein Gefühl der Angst. Aber wir konnten im Nachhinein darüber lachen.
„Anatomie eines Skandals“ ist ab dem 15. April bei Netflix streambar.