RTL+-Serie „Faking Hitler“: die Sensationsberauschten
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Konrad Kujau (Moritz Bleibtreu, rechts) will ein angeblich von Hitler gemaltes Bild an Sammler Herbert Strunz (Reiner Schöne, links) verkaufen; Experte Heinrich Leutke (Ralf Dittrich) bezweifelt die Echtheit in dieser Szene der RTL+-Serie „Faking Hitler“.
© Quelle: Wolfgang Ennenbach/RTL/dpa
Der Knüller des Jahres, ach was, des Jahrhunderts – er wurde von den Redaktionsmachos dummdreist weiblich konnotiert. „Sonderausgabe, noch eine Sonderausgabe, wir verdoppeln die Auflage, wir verdoppeln die Anzeigenpreise, also finanziell“, feixt Verlagsleiter Richard Dreier, als ihm sein Mitarbeiter Gerd Heidemann einige Kladden exklusiver Herkunft präsentiert, „hört sich das an wie eine Frau mit drei T…?“ Männerlachen, Schenkelklopfen, Tabakschwaden – redaktioneller Alltag in der Ausnahmesituation Anfang 1983.
Seinerzeit bekam Gruner + Jahr die „Hitlertagebücher“ ins Haus an der Außenalster und wähnte sich schon auf dem Olymp exklusiver Nachrichten – da wird daraus ein Medienskandal, der den „Stern“ im Besonderen und die Presse im Allgemeinen so sehr schädigt wie später nur Internet und Streaming. Wer sich 29 Jahre nach Helmut Dietls „Schtonk!“ den zweiten Nachbau jener Ereignisse ansieht, wird jedoch das Gefühl nicht los, es gehe RTL+ gar nicht um frühe Fake News und ihre Folgen. Aber der Reihe nach.
Am Anfang der Reanimation einer legendären Posse fährt Lars Eidinger als Gerd Heidemann im Porsche durchs Vorwende-Deutschland und lässt bei vollem Tempo das Lenkrad los. Kein Wunder: in Rückblenden zeigt uns „Faking Hitler“ fortan sechs Teile lang, wie dieser Bluthund von einem Reporter hochsteigt und tief fällt. Denn nachdem er sich mit Görings Jacht „Carin II“ verhoben hat, sucht Heidemann einen „Knüller“, wie Scoops damals heißen, und findet sie in 62 Tagebüchern, die nur einen Nachteil haben: Geschrieben hat sie nicht der Führer Adolf Hitler, sondern der Fälscher Konrad Kujau, furios gespielt von Moritz Bleibtreu.
Selbstberauschte Egomanen schlagen alle Warnungen in den Wind
Sechsmal 45 Minuten verfeuert die tragikomische TV-Fassung des gleichnamigen Podcasts also das Arsenal wahrhaftigen Wahnsinns: ein Journalist mit NS-Fimmel, der sich samt seiner sensationslüsternen Redaktion um Verlagschef Dreier (Ronald Kukulies) und Ressortleiter Bloom (Hans-Jochen Wagner) für 9 Millionen Mark aufs Kreuz legen lässt. Mit jeder Plastiktüte Bargeld manövrieren sich Heidemann und Kujau – anders als bei „Schtonk!“ unter Klarnamen – schließlich weiter in jenen „Riesenhaufen Scheiße“, den Chefredakteur Rudolph Michaelis (Richard Sammel) von Beginn an wittert.
Nur – es nützt nichts. Wie in der Realität schlagen auch hier vier selbstberauschte Egomanen alle Warnungen in den Wind und rasen von Hamburg über die DDR durchs Ländle gegen die Wand der Enthüllung am 6. Mai 1983, dem Tag, an dem Hitlers falsche Tagebücher platzen. Nach Drehbüchern mehrerer Autoren um Showrunner Tommy Wosch machen die Regisseure Tobi Baumann und Wolfgang Groos aus der Realsatire also denselben Irrsinnsritt wie einst Helmut Dietl – wäre da nicht eine Gewichtung, die beide Storys grundlegend unterscheidet. Während „Schtonk!“ das soziokulturelle Ambiente der Bonner Republik nur als beigebraune Dekoration einer (tollen) Persiflage nutzte, dringt „Faking Hitler“ tiefer ins Gedärm seiner Zeit ein. Dafür bedient sich RTL+ fiktiver Seitenstränge von politischer Tragweite.
Im ersten sucht die junge „Stern“-Reporterin Elisabeth (Sinje Irslinger) nach Belegen für die SS-Mitgliedschaft von Horst Tappert alias „Derrick“ und enttarnt dabei ausgerechnet den eigenen Vater (Ulrich Tukur). Im zweiten ringt sie mit sexueller Gewalt am Arbeitsplatz, die vom eingangs erwähnten Verlagsleiter bis runter ins Großraumbüro des öligen Redakteurs Karg (Tristan Seith) und seiner misogynen Witze reicht.
Gemeinsam schaffen die Fiktionalisierungen einer frauenfeindlichen, geschichtsvergessenen Epoche, was Helmut Dietl in medienpolitischer Travestie erstickte: humorvolle Relevanz eines fabelhaft besetzten, herausragend gespielten, akkurat gestalteten, insgesamt wunderbaren Stücks relevanter Serienunterhaltung.