ARD‑„Sommerinterviews“ ab 3.7.

Politikjournalistin Tina Hassel: „Die meisten Gäste stehen spürbar unter Druck“

Tina Hassel, Leiterin des ARD‑Hauptstadtstudios.

Tina Hassel, Leiterin des ARD‑Hauptstadtstudios.

Interviews mit Deutschlands führenden Politgrößen unter freiem Himmel: Auch dieses Jahr will die Leiterin des ARD‑Hauptstadtstudios, Tina Hassel, in der Gesprächsreihe „Bericht aus Berlin – Sommerinterview“ wieder Spitzenpolitikern und Spitzenpolitikerinnen auf den Zahn fühlen. Der traditionsreiche Open-Air-Talk startet am 3.7. (18 Uhr, ARD), wenn Tina Hassel mit Bundeskanzler Olaf Scholz spricht. Danach empfängt sie – im Wechsel mit ihrem Stellvertreter Matthias Deiß und ARD‑Chefredakteur Oliver Köhr – immer sonntags auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses im Berliner Regierungsviertel die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien.

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Frage: Frau Hassel, es sind die ersten „Sommerinterviews“ seit Amtsantritt der Ampelkoalition. Auf welchen Ihrer Gäste freuen Sie sich besonders?

Tina Hassel: Ich freue mich auf alle, denn wir haben diesmal viele neue Gesichter oder auch bekannte Gesichter mit neuen Hüten. Oppositionsführer Merz war noch nicht im Sommerinterview. Darauf freue ich mich, weil scheinbar alles so gut läuft für ihn. Aber läuft es denn wirklich so gut? Wie tritt er auf? Herrn Lindner hatte ich schon mehrfach im „Sommerinterview“, aber noch nie in Regierungsverantwortung als Finanzminister in schwierigen Zeiten. Omid Nouripour als Co-Vorsitzender der Grünen wird neu bei uns sein. Und dass Olaf Scholz als Kanzler den Auftakt der „Sommerinterviews“ macht, freut uns natürlich.

Hat sich der Umgangston zwischen Politik und Journalisten und Journalistinnen in letzter Zeit geändert?

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Hassel: Zunächst einmal hatte sich anfangs der Umgangston innerhalb der Ampelregierung verändert. Nach dem Motto: „Wir machen Selfies mit abgestimmtem Look, wir treten gemeinsam auf und tragen Streit nicht nach außen.“ Das hat sich aber nicht lange durchhalten lassen, man merkt jetzt schon die Spannungen in der Ampel und die Spitzen nach außen. Was die Kommunikation mit den Journalisten und Journalistinnen angeht, hat sich substanziell nicht wirklich etwas verändert. Aber man kann in der Feinbetrachtung feststellen, dass der Kanzler, anders als seine Vorgängerin Angela Merkel, offene Medienschelte betreibt und seinen Unmut mit bestimmten Berichten offensiv nach außen trägt. Das wirkt manchmal ein wenig beleidigt.

Gibt es beim Ablauf der Sendung Neuerungen?

Hassel: Wir haben zum Glück beim „Bericht aus Berlin“ und damit auch bei den „Sommerinterviews“ fünf Minuten mehr Sendezeit. Das gibt uns bei den „Sommerinterviews“ mehr Spielraum, um mit neuen, auch visuellen Elementen überraschender, vielleicht auch unterhaltender zu werden. Wir können das Interview etwas auflockern und so hoffentlich neben den wichtigen politischen Fragen auch den Menschen hinter der Funktion etwas näher kennenlernen.

Wie erleben Sie Olaf Scholz denn rein menschlich?

Hassel: Olaf Scholz ist ein Hanseat, also ziemlich norddeutsch. Er weiß, dass er oft ein bisschen spröde daherkommt und hat daher schon vor der Wahl gesagt: „Ich bewerbe mich als Kanzler und nicht als Entertainer.“ Dabei kann er witzig sein, das habe ich selbst erlebt: Er lacht dann über seine eigenen Witze. Ich erlebe ihn ansonsten als sehr sattelfest in Details, er wühlt sich wie seine Vorgängerin knietief in Dossiers, er wirkt aber in dieser Detailtiefe manchmal besserwisserisch. Seit er wegen der Ukraine-Politik massiv in der Kritik steht, erlebe ich ihn als dünnhäutiger. Er zeigt deutlich sichtbar Nerven, ist schnell gereizt, kritisiert Journalisten und Journalistinnen. Aber Politiker und Politikerinnen sind eben auch Menschen und keine Roboter, zum Glück.

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Ist diese Dünnhäutigkeit für Sie als Gastgeberin auch eine Chance, Scholz im Interview zu knacken?

Hassel: Herrn Scholz muss man überraschen und das ist nicht ganz einfach, denn er ist schon viele Jahre Politiker. Aber man kann ihn manchmal ein wenig provozieren, um ihn aus der Reserve zu locken, damit er mal etwas sagt, was er sich vorher nicht genau überlegt hat. Der Kanzler ist am besten, wenn er sein Skript weglegt und spontan reagiert. Das ist im Bundestag so und auch im übertragenen Sinne bei einem Interview.

Es sind auch die ersten „Sommerinterviews“ seit Beginn des russischen Angriffskriegs. Welche Rolle spielt das für die Sendung?

Hassel: Die Zeitenwende als Reaktion auf den brutalen russischen Angriffskrieg, nur zwei Stunden Flugzeit entfernt von Berlin, spielt natürlich eine zentrale Rolle. Aber wir wollen mit den Gästen auch über andere Themen sprechen, die wegen dieses Konflikts etwas in den Hintergrund geraten sind und nicht das ganze Interview dem Krieg in der Ukraine widmen.

Wie entstehen überhaupt die Fragen an die Gesprächspartner und ‑partnerinnen? Denken Sie sich die im stillen Kämmerlein aus?

Hassel: Wir besprechen in der Redaktion erst in einer größeren Runde welche Themen relevant und interessant sind. Dann recherchieren wir, ob unser Gast zu unseren möglichen Fragen schon einmal etwas gesagt hat, in diesem Fall ist es dann schon nicht mehr so spannend. Wir picken uns also möglichst neue Aspekte raus oder fragen nach, wo unser Gast zuvor bei früheren Interviews ausgewichen ist. Genau hier versuchen wir nachzuhaken, denn da wird es erst richtig interessant.

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Glauben Sie, dass irgendeiner Ihrer Gäste noch aufgeregt ist?

Hassel: Die meisten Gäste, die zu uns kommen, stehen jedenfalls spürbar unter Druck, die setzen sich nicht sommerlich leichtfertig in den roten Sessel und plaudern. Dafür ist es eine zu lange Gesprächsstrecke, und jeder hat Punkte, bei denen er oder sie sich vorher sehr genau überlegt hat, wie er oder sie im Interview damit umgehen will.

Sie stehen als Gesprächsführende ja selber im Fokus der Aufmerksamkeit. Macht es Sie nervös, dass jedes Ihre Worte auf die Goldwaage gelegt wird?

Hassel: Nein. Ich finde, dass sich Moderatorinnen oder Moderatoren zurücknehmen sollten, da der Gast im Mittelpunkt steht. Mein Fokus bei einem Interview ist maximaler Erkenntnisgewinn. Es würde mich eher nervös machen, wenn ich feststellen müsste: Egal welche Fragen ich stelle, er oder sie sagt einfach nichts, was von Bedeutung ist oder blockt. Während des Interviews denke ich sicher nicht ständig an mögliche Zuschauerreaktionen. Man wird es ohnehin nie allen recht machen können. In der digitalen Welt wird schnell geurteilt, es gilt: Daumen rauf oder Daumen runter. Damit muss man souverän umgehen.

Voriges Jahr sind Sie allerdings in die Kritik geraten, als Sie in der letzten Frage an Annalena Baerbock deren Kinder erwähnten, das stieß einigen Zuschauern und Zuschauerinnen übel auf.

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Hassel: Stimmt, die letzte Frage hat zu einigen Kontroversen geführt. Ich ärgere mich generell, wenn ich mich mal missverständlich ausgedrückt habe, und im Zweifelsfall habe ich kein Problem damit, mich zu korrigieren oder so wie damals zu entschuldigen. Wenn ich „Sorry“ sage, breche ich mir keinen Zacken aus der Krone.

Gab es im Lauf der Jahre mal eine schlimme Panne?

Hassel: Einen großen Gau hat es noch nicht gegeben: So hat etwa noch nie ein Gast vor Wut das Set verlassen, auch ein großes technisches Problem hatten wir glücklicherweise noch nicht. Aber bei einem Interview mit der Kanzlerin mussten wir einmal sehr kurzfristig von der Terrasse am Bundestag ins Studio umziehen. Wir hatten bis zuletzt gewartet, weil auf der Terrasse die Bilder viel schöner sind, auf der Spree fahren die Boote, und gegenüber sitzen Leute, manchmal wird spontan geklatscht oder auch gebuht. Dann kam ein Unwetter auf und wir mussten mit dem Set extrem schnell ins Studio umziehen. Das war schon sportlich!

Tina Hassel wurde 1964 in Köln geboren, war in den neunziger Jahren ARD‑Korrespondentin in Paris und leitete von 2012 bis 2015 das Washington-Studio des Senders. Seit sieben Jahren steht sie an der Spitze des ARD‑Hauptstadtstudios in Berlin. Tina Hassel ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Berlin.

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