Pixel-Nacktbilder und SMS-Chats: Der Teletext wird 40
Hannover. Hübsch ist er wahrlich nicht, auch seine Bedienung lässt zu wünschen übrig – und doch wird er seit 40 Jahren täglich von mehreren Millionen Menschen genutzt. Die Rede ist vom guten alten Teletext.
Am 1. Juni 1980 ging das erste gemeinsame Videotextangebot von ARD und ZDF “online”. Der Begriff ist falsch, passt aber dennoch ganz gut: Der Teletext konnte nämlich auch damals schon vieles, was das Internet heute kann. Man konnte dort Nachrichten lesen, chatten und sogar verpixelte Nacktbilder sehen, wenn man denn wollte.
Und auch wenn das Konzept inzwischen ziemlich in die Jahre gekommen scheint, ist ein Ende nicht in Sicht: Mehr als zehn Millionen Menschen nutzen täglich den Teletext, für die Fernsehsender arbeiten weiterhin ganze Redaktionen daran. Der ARD-Text beispielsweise wird federführend vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) in Potsdam betreut. Wie eh und je informiert die Redaktion auf den Seiten 101 über Nachrichten, auf Seite 200 über den Sport und auf Seite 300 über das Programm. Desweiteren sind auch Kultur-, Promi- und Medienmeldungen hier zu lesen.
Auch das ZDF sowie sämtliche Privatsender bieten weiterhin Informationen über den Videotext an – dabei gäbe es längst deutlich modernere Alternativen. Wie konnte sich die Technologie so lange halten? Und wer benutzt sie heute noch?
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So wurde der Teletext erfunden
Die Grundidee des Teletexts ist schon bedeutend älter als 40 Jahre. In den Siebzigerjahren kamen Fernsehtechniker der britischen BBC auf eine bahnbrechende Idee.
Kurz und knapp erklärt: Ein analoges Fernsehbild hat nach mitteleuropäischer Fernsehnorm 625 Bildzeilen – davon werden aber nur 576 Zeilen genutzt. Der Rest ist die sogenannte “Austastlücke”, während der sich das Fernsehgerät auf den Empfang des nächsten Bildes vorbereitet. Die britischen Techniker hatten die Idee, in diesem ungenutzten Bereich einfach zusätzliche Informationen zu übertragen – und zwar den späteren Teletext.
1974 wurde der neue Teletextstandard erstmals vorgestellt. Er erlaubte es, auf jeder Seite 25 Zeilen zu je 40 Zeichen Text zu veröffentlichen. Die Seiten konnten mit 96 verschiedenen Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen sowie 128 Grafikzeichen gestaltet werden. Ansonsten war der Teletext von Anfang an ziemlich limitiert: Er kann keine Schriftarten und hat nur exakt acht Farben – daran hat sich bis heute nichts geändert.
1977 wurde dann der erste gemeinsame Videotext von ARD und ZDF auf der Funkausstellung in Berlin vorgestellt. Zwei Jahre später begann zunächst ein Testbetrieb beim damaligen SFB (heute: RBB). Am 1. Juni 1980 startete das Videotextangebot schließlich im Regelbetrieb.
SMS-Chat für 30 Cent pro Nachricht
Für jedermann war das Angebot seinerzeit aber noch nicht geeignet. Vor allem ältere Fernseher hatten ihre Probleme mit dem Teletext – sie bauten jede Seite einzeln aus dem Datenstrom auf, was zu langen Wartezeiten führen konnte. Da nicht alle Seiten gleichzeitig in der Austastlücke kodiert wurden, mussten die Geräte warten, bis die angeforderte Seite ausgestrahlt wurde. Moderne Fernseher mit Seitenspeichern, wie sie heute üblich sind, waren damals noch ziemlich teuer.
Mit der Zeit wurde das Teletextangebot der Sender immer professioneller und auch kreativer – spätestens als auch die Privatsender ins Spiel mit einstiegen. Hier gab es neben Nachrichten, Lottozahlen und Sportmeldungen dann auch Klingeltonseiten oder gar die Möglichkeit, zu happigen Preisen zu chatten.
Die gibt es übrigens auch heute noch: Im RTL-Teletext können Nutzer selbst im Jahr 2020 auf der Seite 670 per SMS miteinander chatten. Der Preis pro Nachricht: 30 Cent. Betrieben wird das Teletextangebot von der Tochterfirmat RTL Interactive. Wie viele Menschen das Angebot tatsächlich nutzen, ist nicht bekannt.
Pornopixelbilder und kreative Videotextkunst
Ebenso kreativ nutzte später auch die Sexindustrie den Teletext für ihre Belange. Das Projekt “Teletext Babez” vom deutschen Künstler Dragan Epenscheid hat auf einer Website die schönsten Teletext-Erotikseiten zusammengestellt.
Hier sind ein Haufen nackter Frauen zu sehen, alle natürlich in Videotextoptik – also: in pixeligen Bauklötzchen zusammengesetzt. Daneben die erotischen Sexhotline-Aufrufe der Neunzigerjahre: “Blitzschnell erfahrene Frauen 35+ am Ohr” oder “Diskreter Telefonsex mit unbefriedigter Hausfrau” – darunter eine 0190-Nummer zum Preis von 3,63 Mark die Minute.
Die öffentlich-rechtlichen Sender wurden mit der Zeit anderweitig kreativ – denn auch Kunst kann über den Teletext vermittelt werden. Der britische Medienkünstler Dan Farrimond begeistert die Zuschauerinnen und Zuschauer immer wieder im ARD-Text mit seinen farbenfrohen und humorvollen Pixelbildern. “Ich liebe Teletextkunst, weil sie eine der ursprünglichsten Formen der digitalen Kunst ist”, so Farrimond zu dem Projekt. Ausstellungen seiner Kunst gibt es seither auch auf den Teletextseiten im deutsch-französischen Kulturkanal Arte.
Warum nutzen Menschen den Videotext?
Doch abseits vom Retrocharme: Warum gibt es den Teletext heute überhaupt noch?
Eine Antwort könnte sein, dass er ziemlich schnell zu bedienen ist – das hat man in den letzten 40 Jahren schließlich gelernt. Der Weg zu Nachrichten, Lottozahlen und Programminformationen ist nur eine Taste auf der Fernbedienung entfernt – man muss nicht mal sein Smartphone entsperren.
Eine andere Antwort könnte sein, dass viele Nutzer möglicherweise gar kein Smartphone besitzen. Das ZDF hatte dem Magazin “Vice” 2015 bestätigt, dass den Videotext “tendenziell eher das ältere Publikum” nutze. Das dürfte auch heute noch so sein.
Ein anderer wichtiger Punkt: In der Kürze liegt die Würze. Spricht die ARD von ihrem Teletextangebot, dann fällt häufig die Formulierung “kurz und gut”. Weil die Zeilen- und Zeichenanzahl beim Teletextangebot begrenzt ist, sind die Verfasser gezwungen, sich kurz zu halten – viele Nutzer dürften die schnelle und knappe Information schätzen.
Laut ARD, ZDF und RTL werden vor allem Sportergebnisse besonders gerne gesucht. Das bestätigten die Sender dem Medienmagazin “Menschen Machen Medien”. Insbesondere Informationen bei Übertragungen der Qualifikationsspiele der DFB-Elf oder dem Formel 1 Grand Prix würden besonders häufig abgerufen.
In Deutschland erfüllt der Telext zudem noch eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe: Der Teletext ermöglich nämlich den barrierefreien Zugang zu Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen. Auf der Text-Seite 150 der ARD werden Untertitel für gehörlose Zuschauerinnen und Zuschauer ausgestrahlt.
Die Nutzung geht zurück
Doch wird der Teletext tatsächlich ewig leben? Vermutlich nicht. Schon jetzt lässt sich absehen, dass die Nutzerzahlen der Angebote sinken. Hatte das Teletextangebot der Sender 2006 noch 17 Millionen Nutzer, so waren es zehn Jahre später nur noch zehn Millionen.
Zudem gibt es mit HbbTV auf modernen TV-Geräten längst einen neuen Standard, der deutlich mehr Zeichen und eine viel moderne Darstellung ermöglicht. Auch ein elektronischer Programmguide ist über HbbTV aufrufbar. Zusätzlich bietet der “neue Teletext” eine Schnittstelle zu den Mediatheken.
Auch die öffentlich-rechtlichen Sender erkennen offenbar einen Trend weg vom Teletextknopf auf dem Fernseher: Das Textangebot der ARD beispielsweise gibt es seit einiger Zeit auch als Smartphone-App, Gleiches gilt für Angebote des RBB oder des österreichischen ORF.
In anderen Ländern derweil ist das Schicksal des Teletexts längst besiegelt: In Großbritannien wird seit der Umstellung auf Digital-TV inzwischen kein Teletext mehr übertragen. Die Angebote der BBC finden sich heute ausschließlich in den modernen HbbTV-Formaten.