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Pandemie und Dämon – Stephen Kings „The Stand“ bei Amazon Prime

Was einfach wirkt, ist höchste Kunst: Stephen King weiß, was gute Texte ausmacht. Für die Serienversion von „The Stand“ hat er ein vom Roman abweichendes Ende geschrieben.

Was einfach wirkt, ist höchste Kunst: Stephen King weiß, was gute Texte ausmacht. Für die Serienversion von „The Stand“ hat er ein vom Roman abweichendes Ende geschrieben.

Captain Trips heißt das Virus. Es löst eine Grippe aus. Weil dieser mikroskopisch kleine Captain in einem militärischen Labor in Kalifornien „designt“ wurde, ist die Grippe aber keine der Sorte „sich mies fühlen und wieder heile werden“. Deshalb weckt der Soldat Charlie Campion, als ein wenig vom Captain bei einem Unglück entwichen ist, auch Frau Sally und Töchterchen LaVon mitten in der Nacht. „Ist es ein Feuer?“, fragt die Frau verschlafen. „Auf gewisse Weise schon“, antwortet Charlie.

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Und dann geht es in halsbrecherischen Tempo aus der geheimen Einrichtung und man bangt mit der kleinen Familie, dass sie es doch bitte schaffen möge, lieber Gott, während hinter ihnen die Schotten rasch dicht gemacht werden, Türen für immer ins Schloss fallen und offenbar alles getan wird, um „Project Blue“ mit all seinen Mitarbeitern einzukerkern. Atemberaubend ist der Auftakt von Stephen Kings Roman „Das letzte Gefecht“, im Original „The Stand“. Charlies Familie kommt raus, und – so schreibt King – „the virus checked over“. Ein Virus, das bei 99,4 Prozent der Infizierten den Tod zur Folge hat, entvölkert im Handumdrehen die ganze Erde.

Die Serienmacher legen ganz anders los

Auf diesen imposanten und rasanten Auftakt hatte man sich gefreut, seit die Nachricht umging, dass der Streamingdienst Starzplay eine Neuverfilmung von Kings Opus magnum wagen würde. Die ist jetzt endlich da und beginnt ganz anders. Der verklemmte Teenager Harold Lauder (Owen Teague) sieht da zu Serienbeginn durch ein Astloch im Bretterzaun zu, wie sein früherer Babysitter, die hübsche Frances Goldsmith (Odessa Young), in die er verliebt ist, von ihrem gärtnernden Vater versehentlich angehustet wird.

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Überhaupt husten plötzlich viele in Ogunquit, Maine, und bald sind Harold und Frannie die einzigen Überlebenden des Küstenstädtchens. Sie tun sich zusammen und ziehen los – Harold aus Liebe, Frannie aus Überlebens­instinkt. Währenddessen wird in einem weiteren Labor, tief unter der Erde, Stu Redman (James Marsden) aus Arnette, Texas, darauf abgeklopft, warum Captain Trips ausgerechnet ihn verschont hat. Auch die Mitarbeiter dieses Geheiminstituts fangen dann schnell an zu schniefen und zu schnoddern. Das Virus checkt überall ein. Und Stu checkt in letzter Sekunde aus.

Stephen King schrieb der Geschichte ein neues Ende

Man vermutet zunächst, dass der weit horriblere Originalauftakt vermieden wurde, um den Zuschauer, der gerade eine reale Pandemie durchlebt, nicht allzu sehr aufzuwühlen. Bis man auf Aussagen von Regisseur und Produzent Josh Boone und Showrunner Benjamin Cavell stößt, man habe von vornherein und nicht etwa aus Gründen der Pietät auf die vorliegende Erzählstruktur gesetzt. Im Zentrum der Geschichte, so die Serienmacher, stünde eben nicht die verheerende Seuche sondern der Aufbruch der Überlebenden in eine neue Zivilisation, die mythisch mit einem großen Entscheidungskampf von Gut gegen Böse, von göttlichen gegen teuflische Kräfte beginnt.

Selbst der große Maitre d’horreur King scheint mit dieser Lösung einverstanden gewesen zu sein. Auf einer Werbetafel der Mustersiedlung Hemingford Home ist sein Konterfei zu sehen. Und er hat der Serie ein neues Finale geschrieben, das er besser fand als das bekannte mit der Bombe. Die Enden seiner Romane waren oft Kings Schwachstelle, wie es halt bei einem Autor ist, der drauflosschreibt statt zu konzipieren. Dafür ist er seit je der König der grandiosen Anfänge.

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Trumpf sind die Darsteller, Problem ist die Erzählweise

Das Ensemble um Marsden, der einen nie um Lösungen verlegenen All American Guy im John-Fogerty-Gedächtnishemd spielt, ist der unbestreitbare Trumpf dieses Neunteilers (von dem lediglich vier Folgen zur Sichtung überlassen wurden). Jovan Adepo als Musiker Larry Underwood, Amber Heard als zwielichtige Lehrerin Nadine Cross und Whoopi Goldberg als Gottvertraute Mutter Abagail Freemantle ziehen den Zuschauer über ihre Figuren in die Story.

Und Alexander Skarsgard („True Blood“, „Big Little Lies“) ist gewohnt charismatisch als postapokalyptischer Dämon Randall Flagg mit Cowboystiefeln und Skorpiongürtel. Vom ersten Flüstern an, mit dem er seine künftige rechte Hand Lloyd Henreid (Nat Wolff) im Todestrakt einer Strafanstalt rekrutiert, entfaltet er die Aura des bezwingenden Bösen.

Es sind die Schauspieler, nicht die Erzähler hinter ihnen, die die Verfilmung von „The Stand“ sehenswert machen – Kings wohl einflussreichsten, tief in sein Gesamtwerk hineinstrahlenden Roman. Ausgehend von einer TV-Reportage über biologische Kriegsführung hatte der Schriftsteller aus Maine so etwas wie einen amerikanischen „Herrn der Ringe“ schreiben wollen. Und mit 1400 Seiten Umfang kann man damit nicht nur Zeit totschlagen.

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Die Serienschöpfer tun nun leider alles Nötige zur Dekonstruktion von „The Stand“. Ihr Hauptwerkzeug ist dabei eine irrwitzige Anzahl von den Betrachter verwirrenden Schnitten. In Rückblenden werden die Protagonisten skizziert, ihr Weg durch das „globale Auslöschungs­ereignis“ (J. K. Simmons in der Nebenrolle eines Viersterne­generals) bis zum zivilisatorischen Neuanfang aufgezeigt.

Ein Vorgriff erweist sich als fataler Fehler

Jeder mögliche Effekt dieser immerhin oft spannenden Szenen, wird aber durch einen gewaltigen erzählerischen Missgriff zunichtegemacht. Früh, schon in der ersten Episode, springen die Macher quasi in die Mitte des Romans, nach Boulder, Colorado, wo die Überlebenden ihr Elysium der Guten begründet haben. Alle scheinen zufrieden zu sein, selbst Harold grinst breit und scheint kein Deut eifersüchtig, obwohl die sichtlich schwangere Frannie doch dem offenkundigen Anführer Stuart zugeneigt scheint.

Mit diesem Schlag ins Kontor werden all die nachgereichten Davorereignisse, die den Charakteren zwischen den Verheerungen von Captain Trips und der Ankunft in der Siedlung widerfuhren, uninteressant. Wieso soll man sich Sorgen um die Odyssee von Leuten machen, von denen man doch weiß, dass sie in ihrem Ithaka angekommen sind?

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Man fragt sich, ob hier ein schusseliger Cutter den Fehler seines Lebens begangen hat und ob bei Testvorführungen alle, die diesen gewaltigen Kinken hätten korrigieren können, geschlafen haben. Aber schnell wird klar, dass Boone und Cavell auch diese Fehlentscheidung mit Absicht getroffen haben. Chronologische Mixe sind schließlich total angesagt. Und so fühlt sich das Leben im Refugium von Boulder für den Betrachter in etwa so an wie ein paar Folgen mit den „The Walking Dead“-Leuten von Alexandria – nur ohne Zombies.

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Botschaft aus dem Reich des Bösen

Natürlich ist Harold nicht wirklich glücklich und Stu nicht wirklich ein flugunfähiger Superman. Hibbelig aber wird der Zuschauer erst wieder, als ein Sportwagen aus Las Vegas in Boulder auftaucht – mit einem Mann am Steuer, der Spuren einer Kreuzigung an seinem Leib trägt und der mit allerhand seltsamem Gebaren und zeitweilig schwarzen Augäpfeln eine Botschaft aus dem Reich des Bösen übermittelt: „He’s coming – er kommt!“ Gemeint ist unzweifelhaft Randall Flagg. Zeit für Skarsgard. Da hofft man, dass diese Serie den Mordversuch ihrer Väter doch noch überlebt. Und Kings alternatives Ende will man auch sehen.

„The Stand“, bei Prime Video, neun Episoden, von Benjamin Cavell, mit James Marsden, Odessa Young, Owen Teague, Greg Kinnear, Alexander Skarsgard, Amber Heard (streambar ab 3. Januar)

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