Mathe, Krieg, Frieden: David S. Goyer hat mit „Foundation“ für Apple TV+ ein Sci-Fi-Meisterwerk geschaffen
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Bewahrerin der geheimnisvollen „Foundation“: Salvor Hardin (Leah Harvey) hat einen abenteuerlichen Weg vor sich.
© Quelle: Apple TV+
Reiche fallen über kurz oder lang, das lehrt die Geschichte. Ihr Zusammenbruch ist eine Folge von Überdehnung, von schlechter, entfremdeter Herrschaft, vom Aufstieg konkurrierender Reiche, und so weiter. Dass in „Foundation“ (ab 24. September bei Apple TV+) ein Mathematiker nun exakt vorhersagen kann, wie und in welchem Zeitrahmen dieser Kollaps erfolgen wird, ist neu und unerhört. Dass eine Zeitspanne von 30.000 Jahren des Chaos bevorsteht, verkündet Hari Seldon im Brustton des Wissens. Mit seinen Methoden könne er die zivilisatorische Finsternis jedoch auf 1000 Jahre verkürzen.
„Psychohistorik“ heißt Seldons Prophezeihungskunst, die eigentlich allerhöchste Mathematik ist, die aber den drei Kaisern der Welt – Brother Dawn, Brother Day und Brother Dusk – wie impertinenter (und bei Weiterverbreitung gefährlicher) Mumpitz vorkommt. Dass ihr Begründer und seine neue noch kindliche Mitarbeiterin Gaal Dornick dafür nicht stante pede hingerichtet, sondern nur an den Rand der Galaxis verbannt werden, auf den Planeten Terminus, wo sie ruhig ihre „Foundation“ aufbauen sollen, ihre Sammlung des – von dienlichen Narrativen befreiten – galaktischen Wissens, nimmt den Zuschauenden Wunder. Vielleicht haben die Imperatoren ja damit gerechnet, dass sich Seldon und seine Anhänger als Siedler am ziemlich gefährlichen „Outer Ridge“ schnell aufreiben würden.
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Natürlich geht vieles schief mit Seldons Mission, was die Spannungsbögen im All und auf diversen Planeten vibrieren lässt. Und natürlich hat Seldon nicht nur seine Zahlenmyriaden und Formelschlangen samt einer faszinierenden holografischen Apparatur, sondern einen feinst ausgeklügelten Plan, der weit über ein geplantes Weltraum-Wikipedia hinausgeht. Diesem Vorhaben kann man ab 24. September beim Streamingdienst Apple TV+ auf die Schliche kommen.
Geht nicht gilt nicht: „Foundation“ war durchaus verfilmbar
David S. Goyer, der mit Christopher und Jonathan Nolan die „Dark Knight“-Trilogie ersann und damit den Maßstab für Comicverfilmungen setzte, hat als Showrunner und Autor Isaac Asimovs (1920–1992) für unverfilmbar gehaltene „Foundation“-Geschichten verfilmen lassen. Geht nicht gilt nicht. Er hat den Roman- und Geschichtenzyklus, der bis in die Vierzigerjahre zurückreicht, in aufregenden Mustern neu gewoben und mit einem Maximum an Mitteln umgesetzt. Wobei Asimovs Geist der „sozialen Science-Fiction“ erhalten bleibt. Und so setzt diese Serie optisch wie erzählerisch Maßstäbe für die Zukunft des Fantastischen. Es ist ganz großes Kino im Fernsehen.
Man lernt in „Foundation“ Welten kennen, deren Völker einander aufgrund einer Äonen zurückliegenden Bluttat unversöhnlich bekriegen. Und erfährt, dass auf dem Wasserplaneten Synnax die Universitäten niedergebrannt wurden, Bücher verboten sind, auf Wissenschaft die Todesstrafe steht. So muss das mathematische Genie Gaal Dornick aus ihrer Heimat fliehen und kommt im Herzen des Imperiums an Seldons Seite sogleich in Teufels Küche. Trantor ist der Planet, von dem aus seit Jahrhunderten die Dynastie der Cleons regiert – ein Kind (Dawn), ein Mann im besten Alter (Day) und ein alter Mann (Dusk).
Mit dem an den christlichen Segensgestus erinnernden Zeige- und Mittelfinger entscheiden sie über Leben und Tod – gefürchtete, allmächtige, zutiefst intrigante Klondespoten, die in einschüchternder Architektur herrschen, längst frei von Empathie und Gerechtigkeitsgefühl, von Verantwortung jenseits der gegenüber dem eigenen Machterhalt. Days erste Tat in der Serie – die Tötung eines treuen Künstlers wegen einer unerlaubten Lektüre – lässt im Zuschauer und in der Zuschauerin sogleich das Gefühl aufkommen: Revolution ist vonnöten – höchste Zeit, Demokratie zu wagen.
David S. Goyer verpasst literarischen Kultfiguren ein neues Geschlecht
Der serienerfahrene Brite Jared Harris („The Terror“, „The Expanse“, „Carnival Row“) führt in der Rolle des Hari Seldon das Ensemble an, sein Gegenspieler Brother Day (Lee Pace) hat mehr Bildschirmzeit – ein grausamer Monarch in der Tradition von Jay Robinsons Caligula aus „Das Gewand“ (1953), nur ohne Cäsarenwahnsinn.
Asimovs Neigung zu männlichen Hauptcharakteren unterläuft Showrunner Goyer massiv. Mit Lou Llobell als Gaal Dornick und Leah Harvey als Salvor Hardin werden aus zwei weißen Männern der Erzählungen im Film schwarze Frauen (was unzweifelhaft Kontroversen unter den Asimovianern auslösen wird). Als eigentliche Protagonistinnen der Serie reihen sie sich ein in die noch junge Tradition schwarzer Sci-Fi-Heldinnen wie Sonequa Martin-Green (als Michael Burnham in „Star Trek: Discovery“) und die von Dominique Tipper gespielte Naomi Nagata in „The Expanse“ und kämpfen um den Fortbestand der Menschheit und die schillernde „Foundation“.
Demerzel – die zerrissene Robotfrau
Auch Asimovs wohl bekanntester Roboter bekommt ein weibliches Äußeres. In der tragischen Figur der Demerzel (Laura Birn) steht die Verbindung der „Foundation“-Saga mit Asimovs älteren „Robot“-Erzählungen. In der Serie wird Demerzel zu einer den Imperatoren ergebenen Erzieherin, Gesellschafterin und Beraterin, deren Handeln indes in Konflikt mit Asimovs berühmten drei Gesetzen der Robotik kommt: 1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen (wissentlich) verletzen oder durch Untätigkeit (wissentlich) zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. 2. Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren. 3. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.
„Foundation“ wird für Diskussionen sorgen, inwieweit ein Originalwerk für visuelle Medien quasi komplett neu gestaltet werden darf. Es wird aber auch, davon ist man nach Sichtung aller zehn Episoden überzeugt, für Apple TV+ die Serie werden, mit der sich alles ändert, die den Streamingdienst – längst fällig – auf die Überholspur bringt.
„Foundation“ ist eine Serie, die man derzeit unbedingt gesehen haben muss, die zur obersten Qualitätskategorie gehört, dorthin, wo „Game of Thrones“ und „Boardwalk Empire“ stehen, „The Handmaid‘s Tale“ und „Westworld“. „Foundation“ gesellt sich zudem zu den großen Science-Fiction-Kosmen der Populärkultur wie George Lucas’ „Star Wars“, Gene Roddenberrys „Star Trek“ und – gerade eben mit Denis Villeneuves grandioser Verfilmung in den Kinos der Welt – Frank Herberts „Dune“.
Der Hoffnungsschimmer war Goyer wichtig
Und es erzählt – wie die drei vorgenannten Zukunftsvorstellungen – eine Geschichte vom Frieden, respektive dem schweren Weg dorthin. Dass aber am Ende aller Finsternisse ein Morgen graut und die Jedi-Ritter immer zurückkehren. Der Hoffnungsschimmer war Goyer wichtig, wie er in einem Begleitbrief zu seiner Serie schrieb. Nachdem er seine Mutter an Covid-19 verloren hat und als Vater dreier Kinder, die in der Klimakrise mit all ihren Konsequenzen groß werden, generell von Sorge getragen wird, musste da ein Silberstreif schimmern am Horizont.
Der ist schon mal, dass, obwohl die Ereignisse zu Beginn des 13. Jahrtausends einer neuen, imperialen Zeitrechnung spielen, es in diesen sehr fernen Tagen überhaupt noch Menschen gibt, auch wenn sie seit den Tagen des „Verfalls und Untergangs des Römischen Imperiums“ (der „Foundation“-Zyklus basiert auf Edward Gibbons’ Historienklassiker aus dem 18. Jahrhundert) in Sachen Selbstzerstörung wenig dazugelernt haben, übrigens auch nicht in Klimafragen.
Die Zivilisationen des Galaktischen Imperiums lassen sich tatsächlich auf uns – die Menschheit der Erde – zurückführen. Die einstmals blaue Murmel kreist bei Asimov allerdings im letzten „Foundation“-Band „Die Rückkehr zur Erde“ (1986) als radioaktiv verseuchter All-Ball um die Sonne. Dieses wenig silberstreiftaugliche Bild bleibt wahrscheinlich einer späteren Staffel vorbehalten.
„Foundation“, zehn Episoden, von David S. Goyer, mit Jared Harris, Leah Harvey, Lou Llobell, Lee Pace, ab 24. September bei Apple TV+.