Lip Sync zu Nazi-Musik: Was rechte Gruppen auf Tiktok treiben

Auch rechte Gruppierungen haben die Plattform Tiktok für sich entdeckt (Symbolbild).

Auch rechte Gruppierungen haben die Plattform Tiktok für sich entdeckt (Symbolbild).

Hannover. Tiktok gilt als eine der beliebtesten und am schnellsten wachsenden Social-Media-Plattformen unter Teenagern. Dass sich früher oder später auch die rechte Szene hier tummeln würde, war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Vor allem AfD-Unterstützer mobilisieren seit einigen Wochen verschärft Nutzer auf der Plattform, wie aktuelle Beispiele zeigen – doch es gibt noch deutlich kritischere Inhalte.

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Der Politikberater Martin Fuchs hatte auf seinem Twitter-Account als einer der Ersten auf die Aktivitäten aufmerksam gemacht. „Während andere Parteien noch diskutieren, wie ‚böse‘ dieses Tiktok ist (...), zieht die AfD (bzw. deren Unterstützer) einfach einen Account mit Blick auf #btw21 hoch – mit teilweise 100.000 Views pro Video“, schrieb er Anfang Oktober.

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Gemeint ist ein Account mit dem Namen „btw2021“. Er trägt drei schwarz-rot-goldene Kreuze im Titel und wirkt zunächst wie ein offizieller Account des Bundes. Zu finden sind dort jedoch keine Informationsvideos zur Bundestagswahl im kommenden Jahr, sondern AfD-Werbevideos noch und nöcher – immer wieder gemixt mit Verschwörungstheorien, Impfkritik und Hetze gegen den Islam.

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AfD offiziell nicht auf Tiktok

Das von Fuchs erwähnte Video wurde inzwischen 160.000-mal angeklickt. Es zeigt zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund, die zum Ende des Werbevideos behaupten, sie seien Mitglied in der AfD. Im aktuellsten Video des Kanals ist der AfD-Politiker Tino Chrupalla zu sehen, der sich in einem AfD-Videoformat zur Corona-Pandemie äußert. Ein anderes zeigt ein AfD-eigenes Interview mit AfD-Mann Sebastian Münzenmaier. Auch diverse Wahlwerbespots, Reden und Fernsehauftritte von AfD-Politikern sind hier zu sehen. Dazwischen: immer wieder rechte Influencer, wie etwa eine Ansprache des neurechten Youtubers Tim Kellner. Ein Video zeigt auch die Auseinandersetzung des Verschwörungstheoretikers Attila Hildmann mit der Presse, in einem anderen warnt ein Teenager vor dem Corona-Impfstoff.

Ein weiterer Account dieser Art heißt „afddeutschland“. Auf diesem ist ausschließlich AfD-Material zu sehen: Wahlwerbevideos, Erklärvideos, Porträts von Alice Weidel mit flippiger Musik im Hintergrund. In den Kommentarspalten unter den Videos tummeln sich viele weitere, kleinere Accounts. Ein Nutzer beispielsweise postet auf seinem Profil mit AfD-Logo etwa Reden von Björn Höcke und Aufforderungen wie „wählt die AfD“.

Die AfD selbst will mit diesen Accounts nichts zu tun haben. Auf Anfrage des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ bekräftigte eine Sprecherin, dass die Partei Tiktok nicht nutze. Die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) sei bislang auch nicht auf Tiktok. „Wir prüfen die Anschaffung von Tiktok noch“, wird der JA-Vorsitzende Damian Lohr zitiert.

Die Landesmedienanstalten, die Aufsichtsbehörde für Wahlwerbung und Jugendschutz bei Social-Media-Angeboten, ist aber trotzdem alarmiert: Laut dem Bericht will die Behörde den Account „btw2021“ prüfen lassen. Denn für Wahlwerbung in Deutschland gibt es Regeln: Parteien müssen in sozialen Medien etwa ein Impressum angeben. Auf den AfD-freundlichen Tiktok-Kanälen gibt es ein solches jedoch nicht. Auch sind die Videos nicht als Wahlwerbung gekennzeichnet. Auch mit den Communityregeln von Tiktok selbst könnte es Probleme geben.

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Hetze gegen Flüchtlinge

Die AfD-Unterstützeraccounts gehören allerdings zu den eher harmlosen rechten Accounts auf der Plattform. Deutlich kritischer und vor allem reichweitenstärker sind Accounts wie etwa „thedemokratiesimulation“. Hier wird Hetze gegen Flüchtlinge an 268.000 Follower ausgespielt: Ein Video, das jedoch nachträglich bearbeitet wurde, zeigt beispielsweise den deutschen Kapitän Jürgen Schwandt. In dem verbreiteten Clip wird suggeriert, er wolle auf Flüchtlingsboote einen Torpedo jagen – was er jedoch nie gesagt hat.

Auch Videos des rechten Bloggers Tim Kellner und der rechten Plattform PI-News werden auf dem Kanal verbreitet. In einem Video rappt der Rapper Bloody32: „Für das deutsche Volk halt ich die Fahne hoch. Ich schrei es laut heraus bis zur Atemnot. Heb die Faust hoch für den Widerstand. Das ist unser Leben, das ist unser Land.“

In den Kommentarspalten kommen die Videos gut an. Vor allem der „Witz“ mit dem Torpedo. „Jeder sollte einen Torpedo spenden, dann wäre der Irrsinn schnell vorbei“, meint einer. „Ich habe noch eine Seemine abzugeben“, kommentiert ein anderer.

Lip Sync zu Rechtsrock

Bereits Anfang des Jahres hatte die Amadeu-Antonio-Stiftung vor rechten Netzwerken auf der Teenieplattform gewarnt. Seinerzeit hatten Gruppierungen das Netzwerk genutzt, um teils verbotene Musik unter die Leute zu bringen. Zu finden war da etwa das Video einer Frau, die Songs von Rechtsrockbands mit den Lippen synchronisiert hatte. Der Nutzername der Frau trug rechtsextreme Zahlenkombinationen. Ein anderer soll Musik der verbotenen Band Landser synchronisiert haben, seine Videos wurden mehrere Mundert Male gelikt.

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Die Stiftung berichtete auch von einem Rechtsrocksong, der sich voyeuristisch mit dem Thema Kindesmissbrauch beschäftigt. Das Lied soll sich bis Anfang des Jahres in vielen Videos verbreitet haben, oft mit Hashtags oder Beschriftungen versehen, die „Todesstrafe für Kinderschänder“ forderten. Über die Hashtags vernetzte sich die rechte Szene auch auf der Plattform, hieß es. Eine Gruppenfunktion oder Ähnliches gibt es auf Tiktok nicht.

Auf die Beiträge hatte das Netzwerk seinerzeit rasch reagiert. Wie die Initiative „Hass im Netz“ berichtet, seien die gemeldeten Verstöße zügig von der Plattform entfernt worden.

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Jüdische Vereinigung kritisiert Tiktok

Im Juli sorgte dann ein anderer Fall für Aufsehen. Der Präsident des World Jewish Congress (WJC), Ronald S. Lauder, hatte gesetzliche Maßnahmen in der EU gegen rechtsextreme Videos in sozialen Medien, gefordert – und dabei vor allem Tiktok kritisiert. „Über die vor allem bei Jugendlichen beliebte Plattform Tiktok werden immer mehr Videos mit antisemitischer Hetze oder Leugnung des Holocausts verbreitet“, so Lauder damals.

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Lauder berichtete von einem „Querschnitt unerträglicher Postings“. „Da erklingt etwa in einem Video ein Lied mit dem Refrain ‚Wir machen einen Ausflug nach Auschwitz, es ist Zeit zu duschen!‘“ Zu diesen Tönen sehe man einen skorpionartigen Roboter, der mit einem Hakenkreuz Menschen töte. Laut einer Analyse der BBC hatte das Video seinerzeit mehr als sechs Millionen Zugriffe weltweit.

In einem anderen Video trinke ein junger Mann eine milchartige Flüssigkeit und beschwere sich über den Geschmack. Ein Freund kläre ihn daraufhin auf, dass er gerade aus einer Büchse die Asche von Anne Frank in sein Getränk geleert habe, berichtete Lauder. Das Video habe seinerzeit 1,3 Millionen Likes erzielt.

Tiktok entfernt Videos

Am Institut für Terrorismusbekämpfung an der Universität Haifa seien von Februar bis Mai 2020 viele Tiktok-Videos untersucht worden. Dabei seien 200 Postings entdeckt worden, „die eindeutig rechtsextreme Inhalte aufwiesen, vor allem durch die Leugnung oder Verhöhnung der Shoah“, so Lauder damals.

Die Plattform hatte die Vorwürfe des WJC-Präsidenten im Sommer zurückgewiesen. „Unsere Community-Richtlinien machen deutlich, was auf unserer Plattform akzeptabel ist und was nicht. Wir tolerieren keine Inhalte, die Hassreden enthalten“, hieß es. Dazu würden auch die erwähnten antisemitischen Videos und Sounds zählen, „die wir bereits entfernt haben“, so die Pressestelle.

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Platzform will stärker gegen Hetze vorgehen

Erst in der vergangenen Woche hatte Tiktok angekündigt, neue Maßnahmen gegen Diskriminierungen und Rassismus auf den Weg zu bringen. Man wolle die sogenannten „Trust & Safety“-Teams, die die Moderation der Inhalte übernehmen, für weitere hasserfüllte Beiträge sensibilisieren, heißt es in einem Blogeintrag von Mittwoch.

Neben rechtsextremistischen Ideologien und Inhalten der „White Supremacy“-Bewegung sollen künftig auch „benachbarte Ideologien“ wie der weiße Nationalismus, Verschwörungstheorien rund um weißen Völkermord sowie Bewegungen wie der Identitarismus und die männliche Vorherrschaft entfernt werden.

Auch wolle man weitere Schritte unternehmen, um gegen Antisemitismus vorzugehen. Künftig würden keine Beiträge mehr zugelassen, „die den Holocaust oder andere gewaltsame Katastrophen leugnen oder verharmlosen“. Falschaussagen oder verletzende Vorurteile gegenüber jüdischen, muslimischen und anderen Gemeinden sollen ebenfalls verstärkt entfernt werden.

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