Lauterbach bei „Maischberger“: „Die dritte Welle ist da und nicht mehr aufzuhalten“

Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD).

Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD).

Ein beliebtes Spiel unter Medienmenschen: das Thema einer Talkshow nur anhand der Gästeliste erraten – ohne die Show gesehen zu haben. In dieser Hinsicht gab es lange keine so harte Nuss mehr wie die Besetzung der Runde von Sandra Maischberger am späten Mittwochabend in der ARD.

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Die Gäste: CDU-Chef und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der omnipräsente Bundesmahnbeauftragte und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, Fußballnationalspieler Ilkay Gündogan von Manchester City und als Kommentatoren Frankreich- und Moralexperte Ulrich Wickert, die stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Alexandra Föderl-Schmid, sowie Kristina Dunz, stellvertretende Leiterin der Hauptstadtredaktion des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).

Landtagswahlen und Impfdebakel

Die Quizfrage also: Worum ging es? Um die schlingernde CDU angesichts von blamablen Landtagswahlen und gierig-korrupten Abgeordneten? Um Fußball? Um Österreich? Um Moral? Moral im Fußball? Moral in Österreich? In der CDU? Medien? Corona? Impfstoff? Menschen? Jogi Löws Rücktritt? Die katholische Kirche? Die richtige Antwort: Tadah! Es ist alles korrekt. Es war ein multithematischer Parforceritt, den die allesamt talkshowgestählten Studiogäste da unter der Leitung der freundlich drängelnden Gastgeberin absolvierten.

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„Nicht optimal gelaufen“: CDU-Chef und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet bei Sandra Maischberger.

„Nicht optimal gelaufen“: CDU-Chef und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet bei Sandra Maischberger.

CDU-Chef Laschet versuchte, sich nach der Wahlschlappe bei den beiden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zunächst nachdenklich bis demütig zu geben. Das misslang. Immer wieder blitzte der multiresistente Ministerpräsident durch. Niederlagen? Hatten wenig mit der Bundespolitik zu tun. „Die Wähler haben zwei sehr populäre Ministerpräsidenten wiedergewählt.“ Pannen im Corona-Management? Gut, vieles sei „nicht optimal gelaufen“, es sei aber auch „kompliziert“, und „das erhöht nicht gerade die Stimmung der Bevölkerung“. Gewiss.

„In jeder Hinsicht schiefgelaufen“

Der Umgang mit dem Impfstoff Astrazeneca aber sei „in jeder Hinsicht schiefgelaufen“. „Da muss schnell Klarheit rein und eine einheitliche europäische Sprache.“ Man solle als Politiker „weniger versprechen und weniger Daten nennen“ sagte er mit Blick auf die Impf- und Testversprechen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Laschets Behauptung freilich, es seien „doch inzwischen so ziemlich alle 80-Jährigen“ geimpft, war schlicht falsch. Mit dem privaten Zorn ihrer eigenen Erfahrung als Mutter geißelte Maischberger auch die mangelnde Vorbereitung der Schulen auf die Wiedereröffnung („Ich rege mich gleich wieder ab ...!“). Die Antworten von Laschet blieben diffus und unbefriedigend. Das kritisierte vor allem Kristina Dunz (RND). Laschet rufe einerseits dazu auf, sich in der Corona-Krise auch mal über bürokratische Hemmnisse hinwegzusetzen, pfeife aber andererseits Kommunalchefs zurück, die eigenmächtig entscheiden wollen, Kitas zu schließen.

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„Die größte Idiotie überhaupt“

Wickert (78) beklagte mit Blick auf das Hin und Her beim Impfen, dass viel Vertrauen in die Politik verspielt worden sei. „Ich würde sofort Astrazeneca nehmen, wenn ich es denn endlich bekäme!“ Dass Hausärzte vorerst noch nicht an der Impfkampagne beteiligt seien, sei „die größte Idiotie überhaupt“.

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Für Dunz war Spahns Ankündigung am Montag, das Impfen mit Astrazeneca auszusetzen, eine „politische Entscheidung“, auch wenn er sich dabei auf eine Bundesbehörde und Wissenschaftler berufen habe, sagte sie. „Viele Menschen werden sich jetzt erst recht nicht mit Astrazeneca impfen lassen.“ Das Problem beim Impfen sei auch: „Wer als Arzt zum Beispiel die Priorisierung durchbricht, weil noch Impfstoff verfügbar ist, kommt in Teufels Küche.“ Und beim Lesen des neuen Verhaltenskodex der CDU habe sie sich bei dem Gedanken ertappt: „Echt, das machen die jetzt erst?“

„Was uns fehlt, ist ein Helmut Schmidt!“

„Deutschland galt immer als super verwaltetes Land“, sagte die gebürtige Österreicherin Alexandra Föderl-Schmid. Inzwischen aber fehle es an einem Geist des Zupackens. Wickerts eher putzige Sehnsucht nach einem alten Kämpen („Was uns fehlt, ist ein Helmut Schmidt!“) war dann doch eher bundesrepublikanische Hochwasserfolklore, milde belächelt von den drei Journalistinnen im Studio.

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„Wir sind irgendwie eingeschlafen als Land“, zürnte Wickert. „Wir haben uns nicht angestrengt in den letzten zehn Jahren. Der Letzte, der eine große Reform gemacht hat, war Schröder.“ Nicht alles war neu in dieser Sendung, wieder ging es um Faxgeräte in Gesundheitsämtern und die stockende Digitalisierung, dennoch beschrieb die Runde den Geist der Zeit kenntnisreich und präzise. „Ich habe den Eindruck, wir schwanken zwischen deprimiert und depressiv“, sagte Dunz. Auch sie kritisierte die überbordende Bürokratie in Deutschland. Man werde als Bürger vom Staatsapparat „doch ziemlich gegängelt“. Es gebe „Formulare, die ich als Journalistin eigentlich verstehen müsste, und ich frage mich trotzdem: Was soll ich da jetzt eintragen?“ Allein die Tatsache, dass am Sonntag noch immer nicht geimpft werde, obwohl es doch für viele Berufe lebensnotwendig sei, zeige das Problem.

Lauterbach: „Vieles spricht dafür, dass die Thrombosen auf Astrazeneca zurückzuführen sind“

SPD-Gesundheitsexperte und Pandemieerklärer Karl Lauterbach – erst am Montag kurzfristig bei Frank Plasbergs ARD-Talk „Hart aber fair“ eingesprungen – wiederholte zwei Tage später bei Maischberger seine Vermutung, dass die Thrombosen, die nach einzelnen Impfungen mit Astrazeneca aufgetreten sind, durchaus mit dem Impfstoff zusammenhängen könnten.

„Diese sehr spezifischen Nebenwirkungen sprechen schon dafür, dass es einen Zusammenhang mit dem Impfstoff gibt“, sagte er. „Denn die Blutgerinnungsstörung, die dann auftreten kann, ist ähnlich wie das, was wir bei bestimmten Verläufen von Covid-19 sehen.“ Trotzdem handle es sich um einen „sicheren Impfstoff, weil diese Komplikation sehr selten ist und die Betroffenen auch ein höheres Risiko gehabt hätten, an Covid-19 zu sterben“. Er rechne mit einer Wiederzulassung. Denn: „Astrazeneca hilft bei der Vermeidung von Tod durch Covid. Der Nutzen überwiegt bei Weitem.“

„Wir müssen die Notbremse ziehen“

Lauterbach warb vehement für einen strengeren Lockdown. „Die dritte Welle ist da und nicht mehr aufzuhalten. Ich würde auf keinen Fall öffnen. Die Möglichkeit, noch mal ohne Lockdown durchzukommen, gibt es gar nicht.“ Es gebe bei den Beratungen der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin am Montag in Berlin also nur zwei Möglichkeiten: „Entweder, wir entscheiden uns für einen sofortigen, strengen Lockdown, oder wir bekommen später noch einmal einen langen Lockdown. Denn wenn wir warten, wird es nur noch schlimmer – es wird nicht weggehen.“ Lauterbach forderte erneut eine „Teststrategie für Schulen und Betriebe, und bis dahin müssen wir in den Lockdown zurück. Wir müssen die Notbremse ziehen“.

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Auch Fußballer Gündogan, selbst im September 2020 mit Corona erkrankt, warb vehement für das Impfen. „Ich hatte Fieber, Gliederschmerzen, Geschmacksverlust, Halskratzen – ich habe mich zwei Wochen lang so schlecht gefühlt wie noch nie. Seitdem nehme ich Corona noch ernster.“ Eine Fußball-Europameisterschaft in zwölf Ländern, wie sie die UEFA noch immer plant, könne er sich „momentan nicht vorstellen“. „Es ist verrückt: Es sind weniger als drei Monate“, sagte er – aber einen echten Plan gebe es nicht. „Ich warte jetzt einfach mal ab.“

„Es kann nichts anderes geben als die Notbremse“

Dunz kritisierte das Hin und Her bei den Inzidenzwerten und die Entscheidungen Anfang des Monats: „Im vollen Wissen, dass die dritte Welle kommt und die britischen Mutationen sich ausbreiten, haben die Ministerpräsidenten Öffnungsschritte beschlossen.“ Am Montag könne „nichts anderes entschieden werden als die Notbremse: also der Lockdown, wie er vor dem 3. März galt“. Durch das Hin und Her werde immer schwerer, die frustrierten Menschen noch mitzunehmen.

"Sind wir in Deutschland zu vermauschelt?": Moderatorin Sandra Maischberger.

"Sind wir in Deutschland zu vermauschelt?": Moderatorin Sandra Maischberger.

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Am Ende erwies sich die Sendung als thematisch übervoll, aber informativ und kompakt. Mehrmals blitzte Maischbergers Privatzorn auf – was der Show guttat. Schließlich war sie es, die die bundesdeutsche Gemengelage in folgender Frage präzise zusammenfasste: „Sind wir in Deutschland zu vermauschelt?“

Die Symptome der Krankheit sind also klar. Die Diagnose ist gestellt. Nur auf die richtige Therapie warten wir weiter.

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