„Georgetown“: Christoph Waltz’ Kinoregiedebüt startet bei Sky
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Streit im Treppenhaus: Elsa (Vanessa Redgrave) hat Ulrich (Christoph Waltz) durchschaut – Szene aus „Georgetown“.
© Quelle: picture alliance / Everett Collection
Es ist wahrhaft eine Freude, Christoph Waltz zuzusehen, wenn er sich unwohl zu fühlen beginnt. Wie sich sein Körper windet, sein Mundwinkel verrutscht, wie sein Blick klein, beleidigt und böse wird. Und wie der Meister der eloquenten Redewendungen plötzlich grob in die Wörtergosse grabscht. Wer Ulrich Gero Mott zu schaffen macht, den beleidigt er, den überschüttet er auch mit Suppe, den wirft er bekleckert aus dem Hotelzimmer und lässt ihn nicht mehr rein. So ergeht es seiner Frau Elsa Brecht (Vanessa Redgrave), als sie ihn gerade in flagranti mit einem jungen Mann in den Kissen erwischt hat und allen Grund hat, dem Gockel den Kamm zu stutzen. Aber Ulrich Mott ist obenauf, ist immer obenauf, das wäre ja gelacht.
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„Georgetown”, das seine Premiere schon 2019 beim New Yorker Tribeca-Festival feierte, ist Waltz’ erste Hollywood-Regiearbeit (seine zweite überhaupt nach der TV-Komödie „Wenn man sich traut“ von 2000) . Dass er gleich noch die Hauptrolle übernimmt, hätte nicht unbedingt sein müssen.
Aber man sieht ihm ja gern zu, das Ölige, Schmierige, das Hochstaplertum gehen uns bei ihm ganz munter runter. Motts Geschichte, die er mithilfe des pulitzergekürten Dramatikers David Auburn („Proof”) erzählt, hat eine wahre Grundlage.
Auch das Vorbild wurde wegen Mordes verurteilt
Der ostdeutsche Exzentriker Albrecht Gero Muth, der mit seiner mehr als 40 Jahre älteren Gattin Viola Drath in seinem Heim in Georgetown, einem Stadtteil von Washington, rauschende Partys für Washingtoner Amtsadlige und das deutsche diplomatische Corps schmiss, gab vor, Friedenspozesse im Nahen Osten beeinflusst zu haben und zog sich vor erlauchtem Publikum gern exzentrisch an. Ein Netzwerker aus dem Nichts. 2014 wurde er wegen der Ermordung Drahts zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.
Mott geht im Film nach einer Party noch kurz in Georgetown spazieren, als er nach Hause kommt, ist Elsa tot. Das sagt er der Polizei. Er plant ein Begräbnis für die einst namhafte Journalistin in Arlington, wo Tochter Amanda (Annette Bening) ihre Mutter an der Seite des Vaters im Familiengrab wissen will. Er ist hochfahrend, als die Polizei ihm nicht sofort seine Unschuld abkauft, er kanzelt seine Anwälte ab.
Gedrechselte Sätze, als wäre er bei Tarantino
„Sie aß mit Genuss, sie hat sich bestens unterhalten”, erzählt er im Verhör. „Es wird Zeit bleiben für Tränen und Erinnerungen. Aber jetzt muss hart gearbeitet werden”, bläst er der trauernden Tochter ins Ohr. Den Mörder will er finden. Bestraft gehöre der.
Waltz, zweifacher Oscargewinner mit Tarantino-Filmen, herrlich auf Familiendistanz in Polanskis „Der Gott des Gemetzels”, gern genommener Bösewicht – demnächst wieder im Kino bei 007 – schwadroniert und salbadert solche Sätze, die man sich wohl in einem weiteren Film des „Inglorious Basterds”-Meisters gefallen ließe. Die aber hier in dieser Geschichte eines Lügenbarons, der seiner alten Dame und beider Gästen Bären aufbindet, irgendwie aufgeschraubt ohne Gewinde wirken.
Waltz fokussiert den Film ganz auf seine Figur des genialischen Scharlatans. Ein Jammerlappen, der maunzend vor seiner Frau klagt, man verlache ihn nur, nichts wolle einem gelingen. Der aber diabolisch swingt und tänzelt, dass man dazu mit den Fingern schnippen möchte, wenn er schwindeln und vorspiegeln kann und seinen gesellschaftlichen Aufstieg befördert.
Waltz inszeniert Waltz, einen Fisch, der im Aquarium der größeren Fische opulenter blubbert als selbst die großen Blubberer. In Muths wie Motts quasi aus dem Stegreif ersonnenen „Eminent Persons Group” (Gruppe wichtiger Leute), die den UN-Generalsekretär beraten sollte, fanden sich tatsächlich der französische Premier Michel Rocard und der Ex-US-Verteidigungsminister Robert McNamara.
Für die anderen Stars bleibt nicht so viel übrig. An Redgrave überrascht die Schönheit und Anmut des Alters. Die großartige Annette Bening braucht dagegen hier nur einen Gesichtsausdruck – einen Mix aus Empörung und Verständnislosigkeit. Zu wenig für ein Kaliber wie sie.
Der Regisseur Waltz ist (noch) nicht so stark
Und inszenatorisch ist auch Luft nach oben. Manche Momente wirken leer, überflüssig, als hätte man einiges Material nur im Film gelassen, um diesen auf eine gut anderthalbstündige Länge zu bringen. Alles unter 90 Minuten gilt ja als nicht so edel. Der Regisseur Waltz ist (noch) nicht so stark wie der Schauspieler.
Am Ende ist man freilich recht gut unterhalten worden. Und fragt sich, wie so viele kluge Leute so lange dem Fex folgten, der mal mit Augenklappe auftrat, mal ohne und der bei allem ansteckenden Enthusiasmus für gute Projekte immer wieder wirkte, als wäre er irgendwo falsch abgebogen und käme aus einem Operettenuniversum.
Die Geschichte ist näher besehen sogar so unglaublich, dass man sich eine HBO-Miniserie gewünscht hätte. Durchaus mit Waltz als Protagonist, obzwar der Schauspieler gut 40 Jahre älter ist, als der tatsächliche Muth es war. Aber vielleicht doch mit Susanne Bier („The Undoing”) oder Craig Zobel („Mare of Easttown“) auf dem Stuhl des Spielleiters respektive der Spielleiterin. Für etwas mehr Thrill.
Was nicht ist, kann noch werden. Dann aber schnell – niemand wird jünger.
„Georgetown”, 99 Minuten, Regie: Christoph Waltz, mit Christoph Waltz, Vanessa Redgrave, Annette Bening (ab 1. September bei Sky)