Das Weltall ist weiblich: Die dystopische Science-Fiction-Serie „Intergalactic“ bei Sky
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Wir schreiben das Jahr 2143: Die Heldinnen der Serie „Intergalactic“ – von links: Candy (Eleanor Tomlinson), Drew (Thomas Turgoose), Tula (Sharon Duncan-Brewster), Emma Grieves (Natasha O'Keeffe), Ash Harper (Samantha Steyn), Echo (Oliver Coopersmith), Verona (Imogen Daines) und Genevieve (Diany Samba-Bandza).
© Quelle: Sky
Wir schreiben das Jahr 2143. Der Klimawandel hat das Antlitz der Erde massiv verändert. Rund um London schwappt das Meer. Auf riesigen Plattformen ist die neue Hauptstadt entstanden, eine Ansammlung gleißender Wolkenkratzer, umgeben von grünen Terrassen. Weit unten, an den Füßen der schönen, neuen, bohrinselartigen Welt, verfällt langsam das alte, deutlich schönere London mit Big Ben, House of Parliament und St.-Pauls-Kathedrale.
Der Anblick lässt uns wieder mal sofort an Greta Thunberg denken und daran, dass die Klimaneutralität Deutschlands 2045 gewährleistet sein soll, dass bis dahin aber wohl die meisten Gletscher geschmolzen sein werden, dass man sich vielleicht doch zu früh von der Atomkraft verabschiedet hat und noch viel zu lange an der Kohle hängt und wie das dann wohl mit den Flüssen und dem Trinkwasser wird.
All das! Science-Fiction-Bilder für schlechte Träume von der womöglich miserablen Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder liefert die neue britische Sky-Dystopie „Intergalactic“. Warum werden wir eigentlich immer wieder von pessimistischen TV-Zukunftsentwürfen angezogen?
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Von der Gesetzeshüterin zur Gefangenen
So geht das Ganze los: Die Polizeipilotin Ash Harper (Savannah Steyn) wird mit der Verfolgung einer Datendiebin beauftragt. Die Festnahme gelingt ihr, abends wird mit Kollegen gefeiert, aber mittendrin wird Ash selbst in Handschellen gelegt. Sie soll ebenfalls einen überaus gravierenden Diebstahl begangen haben, das wird von einer Überwachungskamera belegt (auf gewisse Dinge kann man sich in London eben jederzeit verlassen).
Noch bevor nachgewiesen werden kann, dass jemand anderes das Gerät mit technischem Simsalabim ausgetrickst hat und Ash unschuldig ist, befindet sie sich in dem Gefängnisschiff „Hemlock“ auf dem Weg in eine interplanetarische Verwahranstalt.
Da nützt es ihr gar nichts, dass sie die Tochter des einflussreichen Erzmarschalls Rebecca Harper (Parminder Nagra – „E. R.“, „Tote Mädchen lügen nicht“) ist. Und es ist sehr zu ihrem Schaden, dass die zuvor von ihr verhaftete Verona (Imogen Daines) auf denselben Knastflug gebucht wurde. Die offenbart den anderen schweren Mädchen mit Aversion gegen die Exekutive nämlich Ashs Broterwerb. Was das Gefangenenschiff im Nu ins Schwanken bringt.
„Intergalactic“ wirkt zunächst ziemlich uninspiriert
Manchmal zündet eine Geschichte spät. „Intergalactic“ ist eine Serie dieses Schlags. Nach der ersten Folge ist man zu dem Schluss gelangt, die Serienmacher seien so uninspiriert gewesen, dass ihnen nicht einmal ein charakterisierender Name für ihr Produkt eingefallen sei. Hat was mit Weltraum zu tun – also nennen wir es „Space“, nein, „Universe“ oder, ich hab’s – „Intergalactic!“.
Und so sehen wir Frauen in knallgelben Anstaltsuniformen zu, die durchgeknallt, hyperaggressiv und höchst gefährlich sind und die für Ash nur Gossenvokabular wie „Ratte“ und „Bullensau“ übrig haben. Die tödliche Tula (Sharon Duncan-Brewster) könnte jeden Wettbewerb im Augenrollen gewinnen, ihre Tochter Genevieve (Diany Samba-Bandza) verfügt über endlos lange Würgedreadlocks und das blonde Alien Candy (Eleanor Tomlinson – „Poldark“, „The Nevers“) kann mit seiner gespaltenen Schlangenzunge Angst und Gefahr wittern. Bleibt noch die stille Emma Grieves (Natasha O’Keeffe – „Peaky Blinders“), die mit einem Kieferschutz ausgestattet in die Strafkolonie reist, und vermuten lässt, sie sei von der Hannibal-Lecter-Sorte: Mit einem guten Chianti esse ich jeden.
Vorläufiges Fazit: Yellow is the new blöd
Und so wird geprollt und geflucht, und man kommt zu dem Schluss, in einer etwas ziellosen Weltraumversion der (großartigen) australischen Frauengefängnisserie „Wentworth“ zu sein. Schön immerhin, dass die Diversität in „Intergalactic“ ihr Recht bekommt. Männer wie der drömelige Wachmann Drew (Thomas Turgoose) und der namenlose Pilot der „Hemlock“ sind nur Staffage für die tonangebenden Frauen.
Die dann wieder sämtliche chauvinistischen Vorurteile über feminine Logikdefizite bestätigen, indem sie bei der unvermeidlichen Meuterei den wichtigsten Mann für ihre Kursänderung Richtung Freiheit voreilig liquidieren. „Du hast den Piloten erschossen, Mama. Du hattest doch gesagt, nicht den Piloten!“ Tja, was soll man als Zuschauer dazu sagen? Vielleicht: „Yellow is the new blöd.“ Das Ende des Steuermanns war aber im Grunde auch die einzige Möglichkeit für Drehbuchautorin Julie Gearey, die Exekution der Heldin Ash zu verhindern. Ash wird gebraucht, sie kann jedes Schiff fliegen.
Bis zur dritten Folge bekommt man dieses Urteil nicht los: Space-Stuss – eine der fürchterlichsten Serien aller Zeiten. Was an der Figurengestaltung ebenso liegt wie an so manch sprachlos machender Dialogzeile. Immer wieder mal hat man auch in den weiteren Folgen das Gefühl, bei „Intergalactic“ gehe nicht alles mit logischen Dingen zu. Zudem, dass man aus dem Mangel an Budget immer wieder eine Tugend machen wollte, es aber nicht geschafft hat. So manche Höhle erinnert im Design an „Star Trek 1966″. Und wenn etwa die Schuppenfrau Candy nach acht Jahren wieder in ihrer Heimat eintrifft, sieht es aus, als bewohne ihr Volk die Kulissen des frühen irdischen 20. Jahrhunderts. Selbe Architektur, selbe Flora. Der Planet Skov wirkt, als seien hier schon diverse Filme über das Dritte Reich gedreht worden.
Nicht aufgeben, lieber Zuschauer: Trotz ihrer offensichtlichen Schwächen gelingt es der Serie in Folge vier die Kurve zu kratzen. Die bislang eindimensionale Handlung – Hindernisse auf dem Weg zum gelobten Planeten Arcadia – wird komplexer. Denn die Hanni Lecter ist in Wahrheit eine vermeintliche Staatsfeindin Nummer Eins mit einem großen Geheimnis, die die ganz und gar nicht edle Commonworld unbedingt wieder in ihre Gewalt bekommen möchte.
Des einen Terroristin ist des anderen Freiheitskämpferin – es existiert auch eine Rebellengruppe namens Arc, die der Commonworld den Kampf angesagt hat (und die für den Tod von Ashs Vater verantwortlich sein soll). Und die Feindseligkeiten zwischen Ash und den Knastinnen werden – graduell unterschiedlich – abgebaut, die Antagonisten und Antagonistinnen wachsen in der Not zusammen zu einer Art Bad-Bitch-Batch, um an eine gerade eben erst bei Disney+ angelaufene sehr sehenswerte Serie zu gemahnen.
Es ist noch genug zu tun für eine zweite Staffel
So will man trotz weiterhin bestehender Schwächen am Ende durchaus wissen, wie es mit dieser – um den Weltraumpiraten Echo (Oliver Coopersmith), eine charmante Figur aus der Spezies der Han-Solo-Artigen, bereicherten – Desperado-Truppe weitergeht. Ein wenig erinnert „Intergalactic“ (der Titel bekommt tatsächlich noch eine tiefere Bedeutung) jetzt an Mark Fergus und Hawk Ostbys „The Expanse“ (by the way – das ist freilich eine der besten Sci-Fi-Serien aller Zeiten). Hier ist noch Potenzial und man stünde als Zuschauer durchaus bereit für eine zweite Staffel. Schließlich müssen noch zwei Lovestorys auserzählt, ein Verräter zur Strecke gebracht, ein Paradies erkundet und eine Weltregierung gestürzt werden.
Die technischen Zukunftsaussichten der Autorinnen Gearey und Laura Grace suchen übrigens ihresgleichen. Hat die Menschheit es knapp 140 Jahre nach Erfindung des Automobils noch nicht einmal an den Lobbys vorbei zur ebenfalls nicht besonders umweltfreundlichen Zwischenstation einer durchgängigen E-Mobilität gebracht, sehen die beiden „Intergalactic“-Schöpferinnen nur 122 Jahre von heute Flüge in nicht unbeträchtliche Weltraumtiefen als möglich. Feiert die Menschheit von 2021 sich dafür, 52 Jahre nach der ersten Mondlandung auf dem Mars nach Spuren einstigen Winzigstlebens zu fahnden, hat man im Jahr 2143 schon diverse Begegnungen der Dritten Art mit menschenähnlichen Spezies hinter sich gebracht. Irgendwie ist diese Dystopie ganz schön optimistisch.
Und dann wieder doch nicht. Musikalische Popüberlebende aus unserer Zeit sind nämlich weder Elvis, Dylan, Beatles oder Stones. Phil Collins ist es, dessen „Another Day in Paradise“ auf dem Planeten Pau Rosa aus den Boxen schlufft. Patrick Bateman, der Serienmörder und Collins-Analytiker aus Brad Easton Ellis Roman „Amerian Psycho“, hat es immer gewusst.
„Intergalactic“, bei Sky, acht Episoden, von Julie Gearey, Laura Grace, mit Savannah Steyn, Natasha O’Keeffe, Oliver Coopersmith, Eleanor Tomlinson (bereits streambar)