Das dunkle Blinzeln des Hugh Grant – Thrillerserie „The Undoing“ bei Sky
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Das schöne Leben an der Upper East Side ist zu Ende: Jonathan Fraser (Hugh Grant) wird des Mordes an einer jungen Frau verdächtigt. Grace (Nicole Kidman) muss erfahren, dass ihr scheinbar tadelloser Ehemann eine Affäre mit dem Opfer hatte.
© Quelle: picture alliance / empics
„Dream a little dream of me“, singt Nicole Kidman im Vorspann. Ein zuckersüßes Lied, schon 90 Jahre alt, die bekannteste Version stammt von der Flowerpowerquartett Mamas & Papas. Es geht darin um die Unschuld und Unbeschwertheit der Liebe. In der Serie „The Undoing“ aber bekommt der Song schnell eine zweite Bedeutung: „Erträum mich dir nur schön – in Wahrheit bin ich jemand völlig anderes.“
Es geht in „The Undoing“ um den Kinderonkologen Jonathan Fraser (Hugh Grant), seine Frau, die Psychotherapeutin Grace (Nicole Kidman), und ihren Sohn Henry (Noah Jupe), der eine Eliteschule besucht. Perfekte Familie, verschworene Einheit, Traumwohnung an der Upper East Side. „Manhattan ist ein einsamer Ort“, sagt Grace aus dem Bad zu Jonathan. „Wenn man es recht bedenkt, haben wir nicht sehr viele enge Freunde.“ „Das liegt daran, dass wir alle hassen“, antwortet Jonathan. Sie hilft ihm mit seinem Schlips, sie liebt seinen britischen Humor. Alles ist gut. Dann ist jemand tot. Und Jonathan ist verschwunden, unauffindbar, die Krebskonferenz, zu der er wollte, war frei erfunden. Zwei Detectives tauchen auf. Nur ein paar Fragen. Ein paar unangenehme Fragen.
Die Traurigkeit der schönen Elena
„Du hättest es wissen können“ heißt die Romanvorlage der Schriftstellerin Jean Hanff Korelitz, aus der Serienschöpfer David E. Kelley und die dänische Regisseurin Susanne Bier („The Night Manager“) eine fesselnde Serie über Liebe, Vertrauen, Tod und Lügen gemacht haben. Diesen Hinweis gibt Grace zu Beginn der ersten Episode einer Patientin, die wieder und wieder Pech mit Männern hat: Es gibt immer Anzeichen, meint Grace. Erst den Kerl genau besehen, bevor man ihn sich in Bett, Herz und Leben lädt. Bald jedoch muss sich Grace selbst fragen, was sie an Jonathan übersehen hat.
Die Tote (brutal mit einem Hammer ermordet) ist eine junge Künstlerin aus einfachen Verhältnissen, deren Sohn dieselbe Schule besucht wie Henry. Anmutig wie ihre mykenisch-trojanische Namensvetterin ist Elena (die italienische Schauspielerin Matilda De Angelis), der eine dezente, überaus attraktive Traurigkeit um die Lippen spielt. Wieder und wieder begegnet Grace Elena, und ihre sinnliche Annäherung, ihre Neigung zu scheinbar unbekümmertem Exhibitionismus und ihr Leiden an der unausgesprochenen Zurückweisung durch das Schulkomitee fürchterlich reicher und fürchterlich standesbewusster Mütter, machen Eindruck auf Grace. Ein Kuss im Aufzug, kurz darauf geschieht das Verbrechen, und die Polizisten eröffnen Grace in einem finsteren Verhörraum zwei, drei Sachen über Jonathan, die ihre heile Welt in Scherben gehen lassen.
Kein zweites „Big Little Lies“ – „The Undoing“ ist ein Thriller
Wer sich von „The Undoing“ ein zweites „Big Little Lies“ erhofft hatte, nur weil Produzentin Kidman erneut mit „BLL“-Schöpfer David E. Kelley zusammenarbeitet, der wird zunächst etwas enttäuscht sein. Mit jener raffiniert verschachtelten Mordgeschichte hat die neue Serie ebenso wenig zu tun wie mit anderen Kelley-Klassikern wie „Ally McBeal“ oder „Boston Legal“. „Big Little Lies“ ist ein Drama, „The Undoing“ ein Thriller. Was nicht heißt, dass Kelley nicht auch hier bis in die Nebenrollen hinein glaubwürdige Charaktere erschafft. Genießerisch malt uns Kelley seine Figuren aus, lässt sie uns vertraut werden, um uns alsbald anhand ihrer Heimlichkeiten zu zeigen, dass sie uns genasführt haben, uns im Grunde fremd geblieben sind, dass niemand Vertrauen verdient. Bis sich schließlich ein ungeheuerliches Geheimnis offenbart.
Und den Rest besorgt dann ein überwiegend starkes Ensemble. Die wie stets souveräne Nicole Kidman, die sich immer stärker dem Format Serie zuwendet und eine Garantin für Qualitätsfernsehen geworden ist, spielt eine Frau, die sich selbst Moment größter Demütigung sammelt, sich zu Stärke und sogar zu Loyalität gegenüber ihrem betrügerischen Mann aufrafft, um ihr Kind zu schützen. Anders als ihre Celeste in „BLL“ macht sich Kidmans Grace indes keine Illusionen, dass ihre Familie über den anstehenden Mordprozess hinaus bestehen bleibt.
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Hugh Grant hat immer noch dieses blinzelnd-schelmische Blickvermeiden drauf, mit dem er vor einem guten Vierteljahrhundert erst der Prince Charming des Brit- dann der des Weltkinos wurde. Er setzte es in den vergangenen Jahren aber immer öfter in dunklen Rollen ein, und auch in „The Undoing“ fehlen ihm noch vier Hochzeiten zum Todesfall, um den Zuschauer mit der einst als romantisch empfundenen Masche einwickeln zu können. Mit diesem Mienenspiel räumt er gegenüber Grace eine Affäre mit Elena ein und versichert sie seiner Unschuld an Elenas Tod – dem DNA-Nachweis zum Trotz. Man misstraut ihm auch später, wenn er gegenüber Grace behauptet, beider Liebe sei zu groß, um sie „aufzulösen“ (to undo). Ist es tatsächlich Liebe?
Das Ensemble macht Schwächen der Serie mehr als wett
Donald Sutherland schließlich ist Franklin, Grace’ steinreicher Vater, ein einsamer Mann in einer riesigen Villa, der da ist, Rat weiß, Geld für Jonathans Kaution hat, nett scheint. In Wahrheit ist er aber voller Wut und zeigt urplötzlich – etwa gegenüber Schuldirektor Connaver (Jeremy Shamos), der den „hässlichen“ Skandal für sein Haus kleinhalten und deshalb Franklins Enkel von der Schule verweisen will – aus dem Lächeln heraus Raubtierzähne: „Sie sind wahrer Hässlichkeit bis jetzt noch nicht begegnet“, warnt er den Prinzipal. Und den Zuschauer fröstelt. Des Weiteren machen Lily Rabe als Grace’ beste Freundin Sylvia, Edgar Ramirez und Michael Devine als Cops von Columbo-Lästigkeitsniveau und Noma Dumezweni als hochkarätige Anwältin Jonathans Schwächen der Serie mehr als wett.
Denn manches hätten die Macher besser in eine „to undo“-Liste aufgenommen. Es gibt Rückblenden, von denen nicht immer klar ist, ob sie nun Grace‘ Träume, Erinnerungen oder einfach Flashbacks des auktorialen Erzählers sind, dazu öfter mal sinnfreie Stadtimpressionen, Meer- und Himmelsbilder. Und es finden sich erzählerische Schwächen – zuweilen möchte man die Figuren geradezu schütteln, wenn sie Dinge tun, mit denen sie sich ganz offenkundig selbst schaden.
Und um Klischees kommt auch ein Meister wie Kelley nicht herum: Natürlich mochte der Vater den Schwiegersohn nie, natürlich will er ihn jetzt endgültig aus Grace’ Leben drängen. Er weiß um das böse Herz der Männer, schließlich, so enthüllt er Grace, hat er selbst seine Frau hintergangen. Niemand ist gut genug für die Tochter. Hat möglicherweise Franklin zum Hammer gegriffen?
Nein, wir Kritiker wissen auch nicht, wer die schöne Elena Alves nun umgebracht hat. Würden es Ihnen auch nie verraten. Gemeinerweise wurden nur fünf der sechs Episoden zur Verfügung gestellt. Und so hat man sogar im Buch nachgelesen, um dem „Whodunnit?“ von „The Undoing“ auf die Schliche zu kommen, es aber schnell wieder zugeklappt, denn – angefangen vom Namen des Opfers bis zur amerikanischen Herkunft Jonathans (Hugh Grant hätte den Akzent hingekriegt!) – ist dort vieles ganz anders als im Fernsehen. Bier und Kelley haben aus der Originalgeschichte etwas Neues, Eigenes gemacht, so traut man ihnen auch einen anderen Mörder zu als im Buch. Die Kamera ruht immer wieder auf versteinerten, lauernden, sonst wie unergründlichen, befremdlichen Gesichtern.
In 60 Minuten kann so viel passieren
Aber wir haben durchaus einen Hauptverdacht, der freilich auf nichts gründet als auf einem seltsamen Blick des unsympathischen Schuldirektors. Im letzten Bild der fünften Episode blickt man dann in einen Violinkoffer und eine Sekunde lang fühlt man sich durch das, was man sieht, bestätigt. Doch schon im Abspann zweifelt man wieder, denn in den fehlenden 60 Minuten kann in dieser Serie wieder alles Mögliche passieren. Einmal muss Nicole Kidman singen: „Dream a little dream of me“. Dann werden wir’s erfahren.
„The Undoing“, bei Sky, sechs Episoden, von David E. Kelley, Regie: Susanne Bier, mit Nicole Kidman, Hugh Grant, Noah Jupe, Lily Rabe (streambar ab 30. November)
RND